In einer gestörten Welt bedeutet psychosoziale Arbeit, die krank machenden Weltverhältnisse nicht einfach auszuhalten.

„Psychische Störungen sind vor allem menschliche Reaktionen auf unmenschliche Erfahrungen.“ Dieser Satz formuliert unsere Überzeugung, dass sich psychische Leiden weder vermeiden noch bewältigen lassen, wenn sich nichts an den ursächlichen Lebens-, Gewalt- und Ausgrenzungsverhältnissen ändert.

Das Leid Einzelner ist insofern immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Wir unterstützen daher psychosoziale Ansätze, in denen individuelles Leid als geteilte kollektive Erfahrung wahrnehmbar wird. Gegen die Privatisierung von psychischem Leiden setzt medico auf emanzipatorische Sorgebeziehungen, die Menschen über Grenzen hinweg in Empathie und Solidarität verbinden; als soziale Räume, in denen Verletzungen und Trauer geteilt, aber auch Wut und Sehnsüchte kollektiv artikuliert werden können; als Ermutigung, sich weiterhin für würdige Lebensbedingungen einzusetzen.

In Jahrzehnten psychosozialer Arbeit im globalen Handgemenge ist es immer wieder gelungen, inmitten gesellschaftlicher Erschütterungen solidarische Beziehungen zu knüpfen. Im Engagement für eine gerechte Welt geht es weiterhin darum, Beistand für jene zu leisten, die an den Verhältnissen krank geworden sind, und Verhältnisse zu schaffen, die neben Würde und Recht auch die bestmögliche Gesundheit fördern: physisch wie psychisch.

Über medico international

Wir über uns

Solidarische Hilfe. Globale Gerechtigkeit.

Seit 50 Jahren leistet medico international Hilfe für Menschen in Not und arbeitet an der Beseitigung der strukturellen Ursachen von Armut und Ausgrenzung.…

Südafrika: Unterstützung in widrigen Lebensverhältnissen

Armut macht krank, körperlich wie seelisch. Eben damit sind in Südafrika die Community Health Workers konfrontiert. Als „unsichtbare Basis“ des Gesundheitssystems sind sie an den Rändern der Städte und auf dem Land oft dort tätig, wo die Lebensverhältnisse kaum auszuhalten sind. Dort leisten sie Gesundheitshilfe, aber auch psychosoziale Hilfe – indem sie empathisch zuhören, verstehen und präsent sind. Boniwe aus Northern Cape sagt es so: „In den Communities ist bloße medizinische Versorgung nicht ausreichend. Es braucht auch emotionale Sorge.“ Dabei lebt sie wie fast alle der 30.000 Community Health Workers – zumeist sind es schwarze Frauen, viele sind alleinerziehend – selbst in Armut. Der Staat beutet ihre Sorgearbeit aus, indem er sie mit prekären Kurzzeitverträgen und schlechter Bezahlung abzuspeisen versucht. Doch die Gesundheitsarbeiter:innen nehmen das nicht mehr hin. Unterstützt von medico-Partnerorganisationen wie SINANI Survivors of Violence, Khanya College und People’s Health Movement haben sie sich organisiert, landesweit vernetzt und politischen Druck erzeugt. Längst hat ihr Kampf um Anerkennung erste Erfolge verzeichnet. An der Seite der Sorgenden unterstützt medico so den Aufbau einer psychosozialen Infrastruktur, die dort wirkt, wo sie am dringendsten benötigt wird.

Guatemala: Kampf gegen Straflosigkeit

„Wir werden respektiert, nicht mehr diskriminiert“, sagte vor einigen Jahren eine der Klägerinnen anlässlich eines Aufsehen erregenden Gerichtsurteils in Guatemala-City. Im Fall Sepur Zarco wurden erstmals Ex-Militärs wegen sexualisierter Gewalt an indigenen Frauen im Bürgerkrieg schuldig gesprochen. Geklagt und die Verbrechen persönlich bezeugt hatten 15 Bewohnerinnen des Dorfes Sepur Zarco, die in den 1980er-Jahren verschleppt und über Jahre missbraucht worden waren. Zu dem Prozess beigetragen hatten mehrere medico-Partnerorganisationen, darunter das Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial (ECAP). Seit Langem leisten die Aktiven psychosoziale Ausbildungs-, Sensibilisierungs- und Advocacyarbeit für von Gewalt und Unrecht betroffene Gemeinschaften. So haben sie auch die Frauen von Sepur Zarco begleitet, vor, während und nach dem Prozess. Der Weg dahin war weit und selbst solche Erfolge sind brüchig. Tatsächlich erlebt Guatemala ein politisches Rollback: Grundrechte sind eingeschränkt, die Justiz wird unter Druck gesetzt, Verteidiger:innen von Menschenrechten werden verfolgt. Trotz allem und gerade deshalb setzt ECAP seinen Einsatz für Gerechtigkeit fort.

Debatten führen

In den vergangenen Jahrzehnten hat medico in Publikationen und öffentlichen Diskussionen immer wieder in psychosozialen Diskursen Positionen bezogen. So ist bereits Mitte der 1990er Jahre die Streitschrift „Schnelle Eingreiftruppe Seele“ erschienen. Sie wandte sich gegen die sich rasant verbreitende Pathologisierung von traumatischen Erfahrungen in Kriegs- und Katastrophengebieten und die damit einhergehende standardisierte Interventionspraxis. Später rückte die Kritik an den Verkürzungen des Konzepts von Resilienz und deren Förderung in den Mittelpunkt, etwa 2015 in dem Symposium und dem Sammelband „Fit für die Katastrophe?“. Über die Stärkung der Widerstandfähigkeiten von Einzelnen und Communities in Krisenszenarien hinaus bleibe es Teil der politischen Verantwortung, Menschen solchen Zumutungen und Überforderungen gar nicht erst auszusetzen. 2021/2022 hat die Ringvorlesung „Turbulente Psyche(n)“ die Erschütterungen erkundet, die die Corona-Pandemie weltweit – gesellschaftlich wie individuell – ausgelöst hat. In einem Austausch über sechs Kontinente wurde gemeinsam darüber nachgedacht, wie den wachsenden Ängsten, Ressentiments und autoritären Affektpolitiken eine solidarische Politik umfassender Fürsorge gegenübergestellt werden kann

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