El Salvador

Alle in Sicherheit?

08.06.2025   Lesezeit: 6 min  
#autoritarismus  #lateinamerika 

Eine Gesellschaft im Ausnahmezustand.

Von Jana Flörchinger

Mitte März erhielt El Salvador unerwartet große Aufmerksamkeit: Das kleine Land in Zentralamerika durfte am Tisch der globalen extremen Rechten Platz nehmen. Trotz Untersagung durch das höchste US-Gericht wurden 238 Venezolaner:innen in den Strafvollzug nach El Salvador abgeschoben. Zum einen war das „Geschäft“ mit den Menschen, vor allem Arbeitsmigrant:innen und ein paar Kriminelle, ein Ritterschlag für El Salvadors Präsident Nayib Bukele, der ihm eine Legitimation der Menschenrechtsverletzungen im Zuge des autoritären Umbau des Landes lieferte. Zum anderen bot der Deal Donald Trump die Gelegenheit, sich über das Gesetz zu stellen und zugleich seiner entmenschlichenden Rhetorik Taten folgen zu lassen.

Was die Männer in den Hochsicherheitsgefängnissen El Salvadors erwartet, kann nur gemutmaßt werden. Familien von Inhaftierten kritisieren, dass ihre Angehörigen ohne Anklage, ohne Urteil und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden. Die wenigen, die freikommen, berichten von entmenschlichenden Haftbedingungen, von psychischer wie physischer Folter. Sie kehren ausgehungert und in desolatem Gesundheitszustand zurück zu ihren Familien. Mindestens 375 Menschen sind in den drei Jahren des immer wieder erneuerten Ausnahmezustands in den Gefängnissen gestorben, darunter 26 Frauen und vier Babys. Menschenrechtsorganisationen berichten von Folterspuren an den Körpern der Toten.

Jahrelang galt El Salvador als eines der gefährlichsten Länder der Welt, fest im Griff krimineller Banden. Nachdem an einem Wochenende im März 2022 87 Menschen ermordet worden waren – als blutige Antwort der Banden auf gescheiterte Verhandlungen mit der Regierung – ließ Bukele den Ausnahmezustand ausrufen. Seitdem werden vor allem junge Männer, die dem mutmaßlichen Profil eines Bandenmitglieds entsprechen, bei Razzien festgenommen. Die massenhafte Inhaftierung von inzwischen über 84.000 Menschen wird, wie auch bei den abgeschobenen Venezolaner:innen, begleitet von demütigenden, entmenschlichenden Bildern – eine Pädagogik der Grausamkeit. Mit dramatischer Musik unterlegte Pressevideos demonstrieren Macht und Stärke von Militär und Polizei. Assoziationen mit faschistischer Ästhetik liegen nahe, wenn Tausende Männer in weißer Sträflingskleidung von vermummten Wärtern in die gigantischen Betonhallen des Antiterrorgefängnisses getrieben, mit auf den Rücken gebundenen Händen zu Boden gezwungen und in Sammelzellen gepfercht werden.

Die drastischen Bilder gehen um die Welt und Bukele rückt ins Rampenlicht: Nicht nur in Lateinamerika wird er als Held gefeiert, der es geschafft hat, die Gewalt der Banden zu beenden. Zwar ist die Mordrate in dem kleinen Land deutlich gesunken und ist die Gesellschaft von der alltäglichen Angst vor Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Erpressungen befreit. Die Sicherheit hat allerdings einen hohen Preis: Rechtstaatliche Prinzipen sind außer Kraft gesetzt, autoritäre Willkür regiert. Doch darüber sprechen nur wenige. Wer Menschenrechtsverletzungen thematisiert oder willkürliche Festnahmen kritisiert, muss um seine eigene Sicherheit fürchten. Zuletzt wurde Ruth López, die Leiterin einer der wichtigsten NGOs im Land, festgenommen. Aus Angst vor Verhaftung verließen zudem mehrere Journalisten des investigativen Nachrichtenportals „el faro“ das Land.

Mit dem Ausnahmezustand wurde das Versammlungsrecht massiv eingeschränkt und der Rechtsstaat ausgehebelt. Seither gibt es kaum Gerichtsverfahren, Hunderte Menschen werden entweder en bloc verurteilt oder das Verfahren um Jahre aufgeschoben, in denen die Inhaftierten in Untersuchungshaft gehalten werden. Betroffen sind vor allem junge Männer. Doch mittlerweile trifft es zunehmend auch Frauen, Aktivist:innen und Menschen, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Manche sagen, es könne alle treffen, doch das lässt außen vor, dass die allermeisten aus Arbeiter:innenvierteln oder abgelegenen Gemeinden jenseits der urbanen Zentren kommen.

Samuel Ramírez ist Teil des Movimiento de Víctimas del Régimen de Excepción (MOVIR), dem einzigen Zusammenschluss von Familien der Inhaftierten, die öffentlich gegen Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug protestieren. Er berichtet, wie sich Angst und Misstrauen ausgebreitet haben. „Der Frieden währte nur kurz. Nach dem Bürgerkrieg, der 70.000 Todesopfer forderte, kamen die Banden und jetzt haben wir den Ausnahmezustand unter Bukele.“ Gleichzeitig sei für viele Salvadorianer:innen die Erleichterung über das Ende der Bandenkriminalität und damit verbundene Traumata weiterhin so wirkmächtig, dass sie bereut sind über die Gewalt im Ausnahmezustand hinwegzusehen.

Das „sicherste Land der Amerikas“

„Wir waren das gefährlichste Land der Welt“, proklamierte Bukele in einem Video zum Jahreswechsel auf Instagram, „aber im Jahr 2024 waren wir das sicherste der westlichen Hemisphäre“. Sicherheit, wie er sie versteht, bedeutet jedoch vor allem die Abwesenheit von Bandenkriminalität. Bukeles Inszenierungen zeigen eine Lust an der Entmenschlichung. Weder eröffnen sie einen Weg zur Wiedergutmachung noch verhindern sie zukünftiges Leid. Sie leben allein von dem Versprechen auf Rache.

Die Journalistin Celia Medrano nennt das punitiven, also strafenden Populismus. Sie plädiert dafür, hinter die Inszenierung zu schauen und das faschistische Narrativ zu erkennen. Bukele inszeniere sich als Befreier, der das Volk aus dem Würgegriff der Banden herausgeführt habe. Und er tut so, als sei das Land von seiner starken Führung abhäng. „Wenn ich nicht mehr da bin, kommen die Banden zurück“, drohte er unverhohlen vor seiner verfassungswidrigen Wiederwahl zum Präsidenten im vergangenen Jahr. „Aus dem Regieren im Ausnahmezustand ist eine Regierung der Kontrolle geworden“, sagt Medrano über den Wandel der letzten Jahre. „Heute sind es nicht mehr die Banden, die die Leute erpressen, es sind Soldaten.“

Das Versprechen von Sicherheit und die Politik der harten Hand haben eine lange Tradition in den gewaltgeplagten Gesellschaften Lateinamerikas. Von Mexiko bis Brasilien versuchen Regierungen aller Couleurs, die Gewalt einzudämmen. Dabei agieren sie oft ebenso repressiv wie in El Salvador. Der Unterschied ist, dass Bukele Erfolge vorweisen kann. Entsprechend populär ist der cool auftretende Millennial in der Region. Den Zuspruch, den er für sein hartes Vorgehen bekommt, genießt er zunehmend auch auf dem Parkett der globalen extremen Rechten. Denn Bukele ist es spätestens mit dem Abschiebedeal gelungen, das Zusammenspiel von drakonischer Repression und Entrechtung im Strafvollzug als Blaupause für autoritäre Sicherheitspolitik zu inszenieren. Unter diesem Deckmantel findet der Umbau von Staat und Gesellschaft statt.

Gleichzeitig passt es in die Logik der US-Regierung, den Strafvollzug auszulagern. Berichte über Massenabschiebungen und Videos von Bürgerwehren, die Migrant:innen ohne Papiere denunzieren, erzeugen Bilder der Grausamkeit und nähren die Fantasie einer Allmacht des repressiven Staates. So konnte die US-Administration in der Allianz mit Bukele Erfahrungen sammeln, wie Abschiebungen noch schneller und effizienter durchgeführt werden können. Während heute noch Migrant:innen betroffen sind, können schon morgen andere unliebsame Gruppen, auch US-Bürger:innen, die sich der Faschisierung unter Trump widersetzen, ins Visier geraten. Straf- und Migrationspolitik werden zum Instrument von Repression und Kriminalisierung.

Unter den Bedingungen des Ausnahmezustands hält das Museo de la Palabra y la Imagen (MUPI) mit medico-Unterstützung die Erinnerung an die Geschichte des Kampfes um Demokratie und Menschenrechte in El Salvador aufrecht. Ausstellungen und Bildungsprojekte sollen verhindern, dass soziale Konflikte und politische Krisen in Vergessenheit geraten oder von rechts umgeschrieben werden. Insbesondere junge Menschen lernen im MUPI für eine demokratische Zukunft des Landes – und den Grundsatz, dass niemand über dem Gesetz steht.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico rundschreiben 02/2025. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Jana Flörchinger

Jana Flörchinger ist Referentin für Mexiko und Zentralamerika in der Abteilung für transnationale Kooperation und arbeitet zu Strategien gegen rechts bei medico international.

Twitter: @jj_floerch
Bluesky: @jfloer


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