Danke an diejenigen, die das alles organisiert haben oder uns heute helfen. Ich kann Euch nicht alle aufzählen, aber Ihr alle – jede und jeder einzelne von Euch – Ihr wisst hoffentlich, dass Ihr gemeint seid. Danke!
Ich will nur über drei Punkte von vielen sprechen, die mir wichtig sind:
Erstens: über die Lage unserer Partner:innen im Gazastreifen, deren Schicksale stellvertretend für so viele Menschen dort stehen. Das Grauen mag vielen hier in Zahlen und Fakten bekannt sein. Vielleicht geht es dennoch nicht nur mir so, sondern auch anderen, dass das schiere Ausmaß des Leids einen oft überfordert. Ich meine das so, dass die Wucht, mit der uns die Wut und die Traurigkeit angesichts der Grausamkeit packen, uns dem Geschehen emotional oft entrückt, vielleicht sogar meistens. Wir können nicht annährend nachempfinden, wie sich Menschen in einem Genozid fühlen, während er stattfindet.
Drei Stimmen aus Gaza. Bassam Zaqout, Arzt bei unserer Partnerorganisation Palestinian Medical Relief Society, deren Gesundheitseinrichtungen die israelische Armee alleine in den letzten Tagen zwei Mal bombardiert hat:
„Die größte Gefahr besteht immer noch darin, bombardiert zu werden. Überall fallen Bomben. Es ist kaum auszuhalten bei der Arbeit zu wissen, dass die Kinder zu Hause eigentlich nicht sicher sind. Sie sind 15 und 17 Jahre alt. Wenn ich denke, dass es zu gefährlich ist, nehme ich sie manchmal mit. Zum Beispiel, wenn in der vorherigen Nacht viele Bomben fielen. Meistens sind meine Kinder jedoch Zuhause. Ich habe ihnen strikt verboten, das Haus zu verlassen, egal was passiert. Draußen ist es ja noch unsicherer. Wir sind eine Familie, die außer humanitärer Arbeit nichts tut und wir hoffen inständig, dass nichts passiert.“
Ich möchte, dass jede:r hier einen Moment innehält und sich fragt: Wie würde ich mich fühlen, wenn ich absolut gar nichts tun könnte, um die zu schützen, die ich am meisten liebe, für deren Wohlergehen ich vielleicht sogar Verantwortung trage?
Die beiden anderen Stimmen gehören Najlaa Abu Nahla und Mohammed Abu Lahia, die ein Museum für die Geschichte Gazas gegründet hatten und dann ihre Mayasem Association for Culture and Art quasi über Nacht zu einer Hilfsorganisation umbauten:
„Die Menschen brauchten etwas zu tun und einen Ort, an den sie gehen konnten. [...] Wir mieteten ein Grundstück [...] für den Bau einer Schule. [...] Schon im Herbst 2024 war die Schule in Betrieb und funktionsfähig, mit fast 3.000 Schüler:innen und 35 festangestellten Lehrer:innen. [...] Im Mai 2025 erhielten wir von der israelischen Armee einen sofortigen Zwangsräumungsbefehl für ganz Al-Qarara. Wir hatten nur ein paar Stunden Zeit, um zu gehen. [...] Zwei unserer Kollegen, 19 und 20 Jahre alt, wurden bei ihrer Rückkehr, um weiteres Material zu holen, von israelischen Soldaten getötet. [...] Am Tag nach ihrer Ermordung bombardierte die israelische Armee unsere Schule, die Suppenküche und den verbliebenen Teil des Museums. [...] Die Schule, die wir in Al-Qarara gebaut hatten, war für uns etwas ganz Besonderes, und wir haben gesehen, was Bildung für die Kinder und Eltern bedeutet: einen Raum der Halbnormalität zu haben, trotz der Hungersnot, der Vertreibung, der Massenmorde usw. Die Schule gab ihnen eine Art Sinn, und wir haben verstanden, dass wir das irgendwie wiederherstellen müssen. Wir haben auch psychosoziale und Kunsttherapie integriert. [...] Das ist der Stand der Dinge. Jetzt hoffen wir, diesen Krieg zu überleben.“
Spenden, die heute hier gesammelt werden, unterstützen unter anderem die Arbeit dieser Menschen.
Zweitens: Wir müssen Entwicklungen betrachten, deren Bedeutung über Gaza hinausgeht: Diese betreffen den Umgang mit Menschen, ja sogar mit ganzen Bevölkerungsgruppen, die, wie im Fall der Palästinenser:innen in Gaza, offenbar seit so langer Zeit als überschüssig markiert worden sind, dass der israelische Staat sie schon vor Oktober 2023 völkerrechtswidrig kollektiv wegsperren, im gesamten Gebiet systematisch unterdrücken und periodisch in größerer Zahl töten konnte. Kein einziger der mit Israel verbündeten demokratischen Staaten des sogenannten „freien Westens“ hat sich daran je so weit gestört, dass er irgendwelche wirksamen Maßnahmen dagegen ergriffen hätte. Im Gegenteil, israelische Regierungen unterschiedlicher Couleur wurden mit der Intensivierung der politischen Beziehungen und der wirtschaftlichen, militärischen sowie wissenschaftlichen Zusammenarbeit sogar noch belohnt.
Mittlerweile scheinen wir einen solchen Grad der Entmenschlichung erreicht zu haben, dass es nicht einmal ein größeres Debattenthema ist, wenn die Armee eines unserer engsten Verbündeten einen Algorithmus über Leben und Tod von tausenden Zivilist:innen entscheiden lässt, ja, wenn diese Armee der angeblich einzigen Demokratie im Nahen Osten sich dieser Errungenschaft der künstlichen Intelligenz sogar noch rühmt, als sei sie ein zivilisatorischer Fortschritt und weniger grausam als das Morden von Menschen von Angesicht zu Angesicht.
Die Dehumanisierung bleibt nicht in Gaza – oder in Israel. Die offensichtliche Tatenlosigkeit unserer Regierungen, ja, sogar die aktive Unterstützung des Mordens werden nie auf Palästina beschränkt bleiben, sind es schon jetzt nicht und waren es nie. Und trotzdem ist Gaza ein untrügliches Zeichen für unsere Ankunft in einer dystopischen Gegenwart, nicht für eine ferne, drohende Zukunft. Zeitenwende.
Das bringt mich zu meinem dritten und letzten Punkt: Wer wollen wir sein? In wessen Augen wollen wir morgens im Spiegel blicken? Für welche Rechte, für wessen Rechte wollen wir kämpfen? Für Rechte? Oder für Privilegien?
Gleichgültigkeit gegenüber dem massenhaften Töten hat auch hier Konsequenzen. Nicht in dem Sinne, dass der Horror, den wir jetzt in Gaza zulassen, eines Tages auch uns selbst treffen wird. „Nein, nichts derart Schreckliches wird euch in einer fernen Zukunft heimsuchen“, schreibt der Schriftsteller Omar El-Akkad, „aber ihr sollt wissen, dass jetzt etwas Schreckliches mit euch geschieht. Es wird von euch verlangt, einen Teil eures Selbst abzutöten, der andernfalls in Ablehnung der Ungerechtigkeit schreien würde. Ihr seid gefragt, die Maschinerie eines funktionierenden Gewissens zu demontieren.“
Wir sind nicht bereit, das mit zu tragen. Deshalb sind wir hier, für die Menschen dort, aber auch in Verteidigung der Menschlichkeit hier.
Vielen Dank.