Gaza

Koloniale Phantasie

01.12.2025   Lesezeit: 6 min  
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Die Mitte November verabschiedete Resolution 2803 des UN-Sicherheitsrates zu Gaza hat dramatische Konsequenzen für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser:innen.

Von Riad Othman

In der Nacht vom 17. November verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 2803 (2025) mit 13 Ja- und keinen Gegenstimmen. China und Russland enthielten sich. Diese Resolution kodifiziert den 20-Punkte-Plan von US-Präsident Donald Trump für Gaza, der die Schaffung einer internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) vorsieht und, so der Wortlaut, "endlich (die Voraussetzungen) für einen glaubwürdigen Weg zur Selbstbestimmung und Staatlichkeit der Palästinenser schaffen könnte."

Die Entscheidung veranlasste Balakrishnan Rajagopal, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf angemessenen Wohnraum, zu folgender Bemerkung: "Diese beschämende Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Gaza steht in grundlegendem Widerspruch zum Völkerrecht. Es handelt sich um eine koloniale Phantasie, für die es in der Geschichte der Vereinten Nationen kaum Präzedenzfälle gibt. Sie wird wahrscheinlich scheitern und muss von allen Staaten und Einzelpersonen abgelehnt werden."

In traditioneller Trump-Manier verwendet die Resolution vage Formulierungen in Bezug auf Rechte und offen formulierte Aussagen über Maßnahmen, die von der israelischen Armee ergriffen werden können, um ihre Besatzung und Angriffe im Gazastreifen fortzusetzen. Genau diese Streitkräfte stehen derzeit wegen Völkermordes in Gaza in Den Haag vor Gericht.

Ein Unrechtsplan

Aufgrund einer undefinierten Einrichtung namens "Friedensrat", ermächtigt die Resolution zudem Donald Trump bis Ende 2027 zum obersten Garanten für alles im Zusammenhang mit Gaza. Dieses Gremium ist mit umfassenden Kontrollbefugnissen ausgestattet und wird die ISF, eine vorläufige palästinensische technokratische Regierungsinstanz, eine lokale Polizeitruppe, die Bewegung von Menschen in und aus Gaza sowie die Überwachung der Hilfslieferungen nach Gaza beaufsichtigen. Obwohl nicht ausdrücklich angegeben ist, wer dem sogenannten Friedensrat angehören wird, war vom ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair die Rede, der aufgrund seiner Rolle bei der Invasion und Besetzung des Irak, aber auch verschiedener anderer, teils privater Unternehmungen eine katastrophale Bilanz seines Wirkens in der Region mitbringt.

Das Mandat der ISF sieht vor, dass die Truppe "zur Sicherung der Grenzgebiete beiträgt und die Sicherheitslage in Gaza durch die Gewährleistung der Entmilitarisierung des Gazastreifens stabilisiert". Darüber hinaus soll sie "Zivilist:innen schützen, einschließlich humanitärer Operationen", wobei nicht angegeben wird, vor wem sie geschützt werden müssen. Die ISF soll auch "die sicherheitsüberprüften palästinensischen Polizeikräfte ausbilden und unterstützen, sich mit relevanten Staaten abstimmen, um humanitäre Korridore zu sichern" und zusätzliche, nicht näher bezeichnete Aufgaben erfüllen, die sich im weiteren Verlauf ergeben können.

Bislang gibt es keine Vereinbarung oder Rahmenbedingungen darüber, wer an diesem Einsatz beteiligt sein wird. Israel hat jede Beteiligung der Türkei vor Ort abgelehnt, die aufgrund der Größe und Finanzierung ihrer Streitkräfte bei weitem über die meisten Ressourcen verfügt, um in ein solches Unterfangen zu investieren. Während Israel eine politische Fehde mit der Türkei behauptet (obwohl die Handelsbeziehungen und der Informationsaustausch auf einem ähnlichen oder höheren Niveau sind), wird die Türkei von der Hamas als relativ neutral und nicht explizit feindselig angesehen, wie beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate. Ägypten und andere arabische Staaten wie die VAE, Katar und Jordanien sind bereit, sich an der Initiative zu beteiligen, sofern ihre Streitkräfte nicht in prekäre politische Situationen gebracht werden, wie zum Beispiel die erzwungene Entwaffnung palästinensischer Gruppen oder eine direkte Konfrontation mit israelischen Streitkräften. Israelische Angriffe auf die ISF wie die in Libanon auf die UNIFIL, könnten die Streitkräfte dieser Länder und damit auch ihre politische Führung in eine gefährliche Lage bringen. In ähnlicher Weise haben Pakistan und Indonesien ihre Bereitschaft bekundet, Streitkräfte zur Verfügung zu stellen, jedoch keine finanziellen Mittel dafür bereitzustellen. Aserbaidschan, ein starker Verbündeter Israels, dem Kriegsverbrechen in Berg-Karabach vorgeworfen werden, hat sich sehr bereit gezeigt, Truppen und finanzielle Mittel für jedes Mandat bereitzustellen.

Die Hamas hat die Resolution bislang abgelehnt, unter anderem wegen der darin enthaltenen Entwaffnung palästinensischer Gruppen. Während des gesamten Krieges und auch schon zuvor hatte die Organisation immer wieder erklärt, dass sie die Entwaffnung als eine Art Endstatusfrage betrachte. Wenn ein palästinensischer Staat gegründet wird, wäre sie demzufolge bereit, ihre Waffen an die neue Regierung zu übergeben, da diese dann nutzlos und überflüssig würden. Die Regierungen Trump und Netanjahu haben diese Ablehnung genutzt, um den Wiederaufbau und die Hilfslieferungen zu verlangsamen oder ganz zu unterbinden.

Verweigerte Selbstbestimmung

Abgesehen von der ungelösten Frage der Entwaffnung ist die gesamte Resolution für die UN ein massiver Rückschritt in Bezug auf das inhärente Recht der Palästinenser:innen auf Selbstbestimmung. Tatsächlich steht der Beschluss nicht nur konträr zu Dutzenden vorherigen UN-Beschlüssen der vergangenen Jahrzehnte. Er widerspricht auch einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom Sommer 2024, als eine überwältigende Mehrheit der Richter:innen des Gremiums feststellten, dass "das palästinensische Volk infolge der jahrzehntelangen Politik und Praxis Israels über einen langen Zeitraum seines Rechts auf Selbstbestimmung beraubt wurde und eine weitere Fortsetzung dieser Politik und Praxis die Ausübung dieses Rechts in Zukunft untergräbt".

Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass die "Einverleibung von Teilen ihres [d. h. des palästinensischen] Hoheitsgebiets in das Hoheitsgebiet der [israelischen] Besatzungsmacht" eben jenes Recht auf Selbstbestimmung verletze. Er machte zudem deutlich, "dass das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung angesichts seines Charakters als unveräußerliches Recht nicht von Bedingungen seitens der Besatzungsmacht abhängig gemacht werden kann".

Die Resolution verweist ausführlich darauf, dass die Palästinensische Autonomiebehörde so lange nicht in den Prozess einbezogen wird, bis "Reformen" durchgeführt worden sind. Es handelt sich hierbei um einen seit langem verwendeten, absichtlich vagen Maßstab für die Ausübung der Selbstbestimmung durch die Palästinenser:innen. Es bleibt schlichtweg unklar, was diese Reformen umfassen müssen und wann den externen Reformansprüchen genüge getan sein wird. Viele Palästinenser:innen erinnert dies an die Osloer Verträge, wonach sie selbst konsequent und kontinuierlich Bedingungen schaffen müssen, die für Israel günstig sind, während die israelische Seite bestenfalls Teile des Abkommens umsetzt. Obwohl Oslo eigentlich 1999 auslaufen sollte, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein:e israelische:r Offizielle:r auf eine angebliche palästinensische Verletzung der Osloer Verträge hinweist, während die Verstöße des Staates Israel exponentiell schlimmer und weitreichender sind. 

Und so ist es nicht verwunderlich, dass der neue "Plan", der einen Anhang zur Resolution bildet, sehr vage endet: "Die Vereinigten Staaten werden einen Dialog zwischen Israel und den Palästinensern etablieren, um sich auf einen politischen Horizont für eine friedliche und prosperierende Koexistenz zu einigen". Dies passt zu Trumps konsequenter Darstellung, dass es sich um eine Art dreitausend Jahre alte "Blutfehde" handelt, anstatt um das, was es tatsächlich ist: eine illegale Besatzung und Kolonisierung, die von UN-Gremien, Einrichtungen des internationalen Rechts und internationalen Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten als solche angeprangert wird.

Die UN-Resolution 2803 ist der Versuch, das Illegale zu legalisieren. Währenddessen hängt die Beendigung der illegalen militärischen Präsenz Israels von der US-amerikanischen Interpretation ab und die Gewährung grundlegender Menschenrechte für Palästinenser:innen von Trumps "gutem Willen". 

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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