Gaza

Trauer und Hilfe

Hunderttausende sind auf israelische Anordnung in den Süden Gazas geflüchtet. Doch auch hier fallen Bomben, Hunderte Menschen sind bereits gestorben. medico-Partner:innen helfen in ihren Einrichtungen.

Von Riad Othman

Majeda Al Saqqa ist eigentlich eine fröhliche Frau, die gerne und viel lacht und dabei Zigaretten raucht. In Kreuzberg würde sie nicht auffallen, in Gaza ist sie eine Ausnahmeerscheinung: kurze graue Locken, die sie nicht bedeckt, oft im Kapuzenpulli, im Herbst und Winter gerne auch mal mit Lederjacke. In diesen Tagen ist zumindest von Deutschland aus wenig von Majedas Fröhlichkeit zu spüren. Die Direktorin für Außenkommunikation der feministischen Culture & Free Thought Association (CFTA) ist erschöpft. In Sprachnachrichten informiert sie uns über die Situation in Khan Younis im südlichen Gazastreifen, die Stimmung unter ihren Kolleg:innen, bei sich zu Hause.

„Es tut mir sehr leid: Das Projekt in Ga’al Al Gurein ist vollständig zerstört worden.“ Die CFTA hatte sich dort mit medico-Unterstützung um Kinder mit angeborenen Hörstörungen gekümmert, ihnen Hörgeräte besorgt, außerdem Workshops für Kinder und Jugendliche angeboten. Wie diese Arbeit weitergehen kann, ist angesichts des Krieges und der Zerstörung unklar. Neben diesem Projekt arbeiten wir seit Jahren mit CFTA in der Unterstützung von Krebspatientinnen in Gaza. Die Kolleginnen der Association kümmern sich rührend um die Frauen, betreuen sie gesundheitlich und psychologisch.

Und jetzt? „Wir haben unsere Zentren für Binnenvertriebene geöffnet, nicht alle Zentren, nur die, die wir für etwas sicherer halten und die zumindest geeignet sind, die Menschen aufzunehmen. Wir haben ca. 250 Menschen untergebracht. Bei mir zu Hause und rundherum beherbergen wir jetzt auch 180 Menschen oder mehr. Wir haben aufgehört zu zählen.“ Vor einer Woche noch rannten Majeda und ihre Familie zwischen ihrem und dem Haus ihrer Schwester hin und her, je nachdem, wo weniger bombardiert wurde, wo sie es für sicherer hielten. Das war vor den ominösen Warnungen der israelischen Armee und dem Evakuierungsbefehl an 1,1 Millionen Menschen im nördlichen Teil der Enklave. Jetzt ist alles anders im Süden Gazas. „Ich versuche, die Situation hier und in den Zentren irgendwie zu managen.“

Majeda und ihre Kolleg:innen haben mit kleineren Spenden von Privatpersonen unmittelbar begonnen, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. „Ich habe versucht, Matratzen, Essen und anderes für die Leute zu kaufen, aber es war so schwierig. Ich habe ein paar Matratzen auftreiben können und wir konnten Familien zumindest mal Hygienepakete mit dem Nötigsten geben, aber das war nicht genug. Natürlich helfen die Familien einander, aber die Situation ist so schwierig. Wir haben zusätzlich viele ältere Menschen, manche mit Behinderungen oder besonderen Bedarfen, hier sind Leute mit Niereninsuffizienz. Die meisten meiner Kolleg:innen haben auch Familien aufgenommen, der Rest ist selbst obdachlos oder binnenvertrieben.“ Im Laufe dieser Woche beginnt die medico-Unterstützung bei der Beschaffung von Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern für die Binnenvertriebenen.

Die Bedingungen ihrer Arbeit sind schwer. Internet steht kaum noch zur Verfügung. Computer können nicht mehr betrieben werden und Mobiltelefone müssen sparsam zur Kommunikation verwendet werden, weil deren Aufladung eine besondere Herausforderung darstellt. Das erschwert die Logistik zur Unterstützung dieser Menschen enorm. Der Schlafmangel tut ein Übriges. Hinzu kommt die Gewalterfahrung – zum x-ten Mal.

„Gestern haben sie in meiner Straße ein Haus zerstört. Wir haben unsere Nachbarn verloren, elf Menschen, und es war so schwer sie zu sehen, sie dort herauszuholen. Heute haben wir eine unserer Freiwilligen und ihre Kinder verloren. Ihr Mann ist ein Kollege einer anderen Organisation, ein Freund. Wir kennen die Familie sehr gut, die Kinder kamen immer zu unseren Programmen in die Zentren. Und er konnte nicht einmal hingehen, um sie zu sehen. Die Situation ist wirklich schwierig, schwieriger als du dir vorstellen kannst, schwieriger als irgendwer es sich vorstellen kann.“

Sie können die Hilfe unserer Partnerorganisationen in Israel und Palästina mit einer Spende unterstützen.

Veröffentlicht am 17. Oktober 2023

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


Jetzt spenden!