Gaza

Zum ewigen Frieden

28.10.2025   Lesezeit: 6 min  
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Wenn ein Charakter wie Donald Trump Gaza „ewigwährenden Frieden“ verspricht, sollte man ganz genau hinsehen.

Von Riad Othman

Wenn ein Charakter wie Donald Trump Gaza „ewigwährenden Frieden“ verspricht und darin auch noch von dem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesuchten Machiavellisten Benjamin Netanjahu unterstützt wird, sollte man ganz genau hinsehen. Und wer das tut, wird rasch erkennen: egal, ob Phase 2 und 3 dieses Plans ausverhandelt werden und mit welchen genauen Ergebnissen – mit Frieden für die palästinensische Bevölkerung wird dies wenig bis gar nichts zu tun haben. Zu befürchten ist vielmehr ihre gewalttätige Befriedung im Interesse Israels, ihre fortlaufende Unterwerfung unter ein wie auch immer geartetes Protektorat, das sich als ein auf Dauer gestelltes Provisorium entpuppen könnte, so wie der Osloer Friedensprozess, der vieles gebracht hat, bloß keinen Frieden. Nur wird das Ganze in Gaza unter ungleich schlimmeren Bedingungen ablaufen.

Dort sollen die Waffen – mit erwartbar regelmäßigen Ausnahmen – endlich schweigen. Die Bedeutung dessen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn der Unterschied besteht für täglich 15 bis 150 Menschen buchstäblich in Leben oder Tod, wenn man die durchschnittlichen Tötungsraten der israelischen Armee während ihres Genozids gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza in den letzten Wochen zugrunde legt. Das bezieht sich selbstverständlich nur auf die Todesopfer direkter militärischer Gewalt. Indirekte Opfer, die infolge der systematischen Vernichtung der Lebensgrundlagen und der Zerstörung des Gesundheitssektors verstorben sind, finden in diesen Zahlen keine Berücksichtigung. Auch die Tausenden nach wie vor unter Trümmern liegenden Leichen nicht.

Erleichterung und Ungewissheit in Gaza

Natürlich herrscht in Gaza Erleichterung darüber, dass zumindest dieses Massenmorden vorerst beendet scheint. Unsere Partnerinnen und Partner geben Unterschiedliches von sich. Während den einen die Tatsache vorsichtig optimistisch stimmt, dass wieder mehr Lebensmittel auf den Märkten zu haben sind und die Preise dafür sinken, bricht über der anderen eine große, dunkle Welle zusammen: Jetzt, wo sie nicht mehr tagein, tagaus um ihr Leben fürchten müssen, jetzt, wo sie nicht mehr jede einzelne Nacht mit der Ungewissheit beginnen, ob sie den nächsten Tag noch erleben werden, realisiert sie, in welchem Ausmaß ihr Leben zerstört worden ist. Die Vernichtung ist existentiell, und keine Waffenruhe der Welt wird dies ungeschehen machen. Kein Deal wird die Häuser wiedererstehen und die unter grauem Staub bedeckten kontaminierten Felder wieder erblühen lassen. Kein Versprechen einer Riviera wird die Toten wieder zum Leben erwecken. Und doch erscheint als das Wichtigste im Augenblick, dass die Überlebenden bei allen widersprüchlichen Gefühlen, bei aller Verzweiflung und Hoffnung, den Willen haben ihr Zuhause wiederaufzubauen.

Doch genau das wird noch zum Problem werden, sowohl der historischen Erfahrung nach zu urteilen als auch nach allem, was von Trumps und Netanjahus Plänen bekannt ist. Nach keiner der früheren Verwüstungen der Enklave konnten je alle Kriegsschäden beseitigt werden. Sogenannte doppelt, also zivil und militärisch nutzbare Materialen unterliegen seit rund 20 Jahren strengsten Einfuhrbeschränkungen. Die israelische Regierung ging dabei deutlich über die nach internationalen Standards wie dem Wassenaar-Abkommen üblichen Listen hinaus. Nach den verheerenden Angriffen auf Gaza von 2014 konnten die Vereinten Nationen beispielsweise nicht einmal mehr die Holzleisten einführen, die zur Reparatur von Zimmertüren vorgesehen waren, weil diese eine bestimmte Länge überschritten. Natürlich zählte die israelische Besatzungsbehörde auch Zement und Baustahl seit Jahren zu den doppelt nutzbaren Gütern. Begründet wurden solche strengen Regelungen immer mit „legitimen israelischen Sicherheitsinteressen“. 

Mit anderen Worten, die israelische Regierung schaffte es, Hilfsorganisationen und der palästinensischen Bevölkerung das Leben schwer zu machen, während die Hamas sich die für ihren Tunnelbau erforderlichen Materialien sowieso anderweitig besorgen konnte. Anders als die israelische Regierung wiederholt behauptet hat, dürften diese Materialien jedoch nicht aus Projekten des Wiederaufbaus internationaler Organisationen gestammt haben, sondern vom freien Markt bzw. vom Schwarzmarkt. Jedes Hilfsprojekt jedoch, das für Baumaßnahmen Materialien wie Zement, Stahl, Konstruktionsvollholz oder ähnliches nach Gaza importieren musste, konnte dies nur mit israelischer Genehmigung tun. Um diese überhaupt beantragen zu können, verlangte die israelische Besatzungsverwaltung CoGAT unter anderem den Bauplan des Gebäudes, das Mengengerüst der erforderlichen Materialien sowie die GPS-Koordinaten des Bauplatzes. Ohne diese Angaben war es schlicht unmöglich, Baumaterialien als Hilfsorganisation nach Gaza zu bringen. Unterdessen steht mit neuen israelischen Regelungen zu befürchten, dass der Zugang für internationale NGOs weiter eingeschränkt oder gar komplett verweigert wird, falls sie sich nicht nach dem Willen der israelischen Regierung verhalten.

Der legitime Wunsch nach Sicherheit der palästinensischen Bevölkerung unter der Besatzung bzw. im dauernden Belagerungszustand spielte dabei keine Rolle. Das Recht auf Selbstbestimmung und das Sicherheitsbedürfnis nach wiederholten Militärkampagnen, die sich nie nur gegen militante Gruppen in Gaza richteten, sondern immer überproportional die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zogen, spielen auch in den jetzigen Szenarien bestenfalls rhetorisch eine Rolle.

Internationale Truppen?

Die Staaten in der Region, die das neue Abkommen unterstützen sollen, sind bereits hintergangen worden: Der letztlich veröffentlichte Vertragstext entsprach nicht mehr der zwischen Trump, Ägypten, Qatar und der Türkei abgestimmten Version. Die israelische Regierung durfte nachträglich Änderungen in ihrem Sinne vornehmen. Mit der Idee einer internationalen Truppe in Gaza kann die israelische Führung zwar wenig anfangen, wagt es aber nicht, sich den USA offen zu widersetzen. Die im Westen gerne als gemäßigt porträtierte Opposition in Israel treibt die Regierung vor sich her, indem sie von einem Kontrollverlust in Gaza spricht. Mit einer internationalen Truppe von Trumps Gnaden würde es für die israelische Armee schwieriger, sich dort weiterhin so aufzuführen, wie sie es in Libanon seit bald einem Jahr trotz Waffenruhe tut: Seit deren Inkrafttreten hat sie laut UNIFIL mit 950 Geschossen und 100 Luftangriffen nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums 270 Menschen getötet und etwa 850 verletzt. Dass aber selbst die Anwesenheit ausländischer Truppen keine Sicherheitsgarantie birgt, zeigen die wiederholten israelischen Angriffe auf UN Peacekeeper. Gaza könnte es ähnlich gehen.

Auch der Hamas dürfte die mögliche Anwesenheit einer anderen Ordnungsmacht kaum passen. Die Gruppe hat seit dem Beginn der Waffenruhe wieder die Kontrolle übernommen. Zwar hat sie die öffentliche Ordnung verbessert, aber ihre Rückkehr geht mit schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zu extralegalen Hinrichtungen einher. Betroffen sind Personen, denen Kollaboration mit Israel vorgeworfen wird oder die sich während des Genozids mit Unterstützung der israelischen Armee an Plünderungen beteiligten, bei denen sie auch Palästinenser:innen ermordet haben sollen. Unterdessen berichtet das renommierte Gaza Community Mental Health Programme, dass Bewaffnete, vermutlich Hamas-Mitglieder, Personal und Patient:innen der Einrichtung mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen haben, ihr Gebäude zu räumen. Danach quartierten sie kurzerhand ihre eigenen Familien dort ein. So eine Willkür fände in gleich welchem künftigen Szenario hoffentlich ein Ende.

Die Bevölkerung Gazas kann nur hoffen, dass sie nicht weiterhin zwischen den verschiedenen Akteuren aufgerieben wird. Ihre Rechte, auch und gerade das Recht auf Selbstbestimmung, haben zumindest bislang in der praktischen Ausformung der Überlegungen zum „ewigen Frieden“ Trumps keinen Ausdruck gefunden. Zu befürchten steht eher: »Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden. Denn alsdenn wäre er ja ein bloßer Waffenstillstand, Aufschub der Feindseligkeiten, nicht Friede, der das Ende aller Hostilitäten bedeutet, und dem das Beywort ewig anzuhängen ein schon verdächtiger Pleonasm ist.« So schrieb es Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“. Die Pläne sehen bislang nicht nach einem Arrangement aus, das die Bezeichnung Frieden verdient hätte.

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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