Covid-19 und die Folgen

Lehren aus der Pandemie

Weltweit hat die Corona-Krise Leid verursacht. Zugleich hat sie die Not der Gesundheitsversorgung und das Elend der globalen Zusammenarbeit offengelegt. Was ist zu tun?

Kommunikationsströme für ein Netz globaler Aktionen

Die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich eine Berechnung vorgelegt, derzufolge die Covid-Pandemie dreimal so viele Todesfälle wie die offiziellen 5,4 Millionen verursacht haben könnte. Das ist umso schockierender, weil die Wissenschaft schnell Antworten auf Covid gefunden hatte: Isolierung, Impfstoffe, inzwischen auch Medikamente. Die hohen Sterbezahlen hängen also mit Ungleichheit und unterlassenen politischen Maßnahmen zusammen. Hieraus sollten wir Lehren ziehen.

Erstens: Noch nie in der Geschichte der Wissenschaft sind wirksame Impfstoffe so schnell entwickelt worden. Das verdankt sich der starken Förderung der Forschung mit öffentlichen Mitteln. Die Impfstoffe sind aber in der Breite der Bevölkerung nicht angekommen, weil die Pharmakonzerne, die von den staatlichen Beihilfen profitiert hatten, sich die Ergebnisse privat angeeignet haben. Es ist an der Zeit, diese Logik zu ändern und das Patentsystem durch ein System zu ersetzen, das eine an dem Recht der Bevölkerung auf Gesundheit orientierte Forschung fördert: ein System, das öffentlich finanziert ist, freien Zugang zu Wissen gewährleistet und Forschungsprioritäten durch Ausschüsse festlegt, in denen die Wissenschaft, Gesundheitsbehörden und soziale Bewegungen vertreten sind.

Zweitens: Die Globalisierung hat Grenzen abgebaut und die Macht der Nationalstaaten verringert. Entstanden ist eine Machtsphäre, die von Unternehmen beherrscht wird. Aber wer kümmert sich dabei zum Beispiel um den Schutz der Gesundheit der Menschen? Wir sehen uns globalen Problemen gegenüber – Klimawandel, Finanzkrisen, Pandemien –, die Nationalstaaten alleine nicht bewältigen können. Wir müssen eine globale Demokratie schaffen, die die Ressourcen dort einsetzt, wo sie gebraucht werden. Das erfordert demokratische supranationale Institutionen, die gemeinsamen Ziele der Menschheit definieren. Erforderlich ist auch ein internationales Steuersystem – für Finanzströme, CO2-Emissionen, die Gewinnung von Mineralien und fossilen Brennstoffen, Flugreisen usw. –, das die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Mittel aufbringt.

Drittens: Überall auf der Welt haben soziale Bewegungen gegen die Pandemie gekämpft, mitunter aufeinander bezogen. Aber die Kommunikationsflüsse, die sie zu einer gemeinsamen Kraft hätte machen können, waren noch zu schwach. Es wäre ein großer Schritt nach vorn, wenn diese vielfältigen Erfahrungen in ein Netzwerk globaler Aktionen münden könnten: für das Recht auf Gesundheit, für öffentliche Systeme, die dieses Recht gewährleisten, und für eine globale Verteilung des Wohlstands, die dieses Recht weltweit verankert.

Antonio Martins, Brasilien

Die TRIPS-Ausnahmeregelungen in ihrer ursprünglichen Form

Covid-19 hat deutlich gemacht, wie wichtig qualitativ hochwertige öffentliche Gesundheitssysteme sind, die Zugang auf Grundlage des Bedarfs gewährleisten und nicht der Zahlungsfähigkeit. Wird eine hoch ansteckende Krankheit bei unversicherten Personen nicht behandelt, ist das nicht zu rechtfertigen. Es widerspricht aber auch den Interessen derjenigen, die gut versorgt sind. Trotz gravierender finanzieller, infrastruktureller und personeller Engpässe war es in der Covid-19-Krise der öffentliche Gesundheitsbereich, der die Versorgung einigermaßen aufrechterhielt. Hierbei standen die Gesundheitsarbeiter:innen in den Gemeinden an vorderster Front. Zu besseren Arbeitsbedingungen und Gehältern hat das gleichwohl nicht geführt. Die Pandemie hat also gezeigt, dass wir wieder in die öffentlichen Gesundheitssysteme investieren und ihre Privatisierung und Kommerzialisierung rückgängig machen müssen.

Aktivist:innen müssen sich außerdem dafür einsetzen, dass die TRIPS-Ausnahmeregelung, die eine Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte an Covid-19-Diagnostika, -Therapeutika und -Impfstoffen vorsieht, in ihrer ursprünglichen Form umgesetzt wird. Noch immer sind Impfstoffe in Afrika kaum verfügbar. Ein Technologietransfer und eine vorübergehende Aussetzung aller Rechte des geistigen Eigentums an Covid-19-Technologien sind nach wie vor entscheidend für den Aufbau langfristiger Kapazitäten und regionaler Herstellung von Covid-19-Impfstoffen. Ohne diese Maßnahmen bleibt der Globale Süden auf Spenden oder gescheiterte Mechanismen wie COVAX angewiesen. Die Ausnahmeregelung muss unbedingt auch patentierte Covid-19-Tests und -Behandlungen einschließen. Nur so lassen sich Übertragungen wirksam begrenzen, epidemische Lagen einschätzen, neue Varianten erkennen und eine bessere Covid-19-Prävention gewährleisten.

Schließlich müssen wir uns für mehr Transparenz bei den Forschungs- und Entwicklungskosten und öffentlichen Subventionen für private Pharmaunternehmen einsetzen. Geistiges Eigentum, das durch öffentliche Gelder entsteht, gehört allen und die durch sie ermöglichten Produkte sind Gemeingüter. Diese Forderung steht in vollem Einklang mit dem Menschenrecht auf Nutzung des wissenschaftlichen Fortschritts, wie es 169 Länder im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem UN-Sozialpakt, vereinbart haben.

Lauren Paremoer, Südafrika

Anerkennen, dass unsere Zukünfte voneinander abhängen

Über die Pandemie zu sprechen, bedeutet über gravierende Ungleichheiten zu sprechen, die sich in ihr gezeigt, erweitert und vertieft haben. Bessergestellte waren auch in der Pandemie besser geschützt. Wer aber in prekären Verhältnissen lebt und arbeitet, ist noch ärmer und verletzlicher geworden. Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen hat dabei zu Recht große Aufmerksamkeit erregt. Doch die Ungleichheiten sind weitreichender, sie betreffen auch den Zugang zu sauberem Wasser, zu Nahrung, zu Einkommen, zu Bildungs- und Gesundheitssysteme und vielen Formen sozialer Sicherung. In all diesen Bereichen sind umfassende Investitionen nötig, will man Pandemien künftig verhindern oder sich besser auf sie vorbereiten.

Wir müssen auch über jene Ökonomien und Ökologien sprechen, die Pandemien wahrscheinlicher machen. So sorgen der Ausbau von Monokulturen in der Landwirtschaft und die extraktiven Industrien dafür, dass immer mehr Communitys dort leben müssen, wo auch Wildtiere zu Hause sind. Auch die Massentierhaltung ist dem Überspringen von Viren auf den Menschen zuträglich. Um Pandemien zu verhindern, aber auch um Ungleichheiten und die existenziellen Krise des Klimawandels abzumildern, müssen wir soziale, wirtschaftliche und ökologische Belange dringend in ein neues Gleichgewicht bringen. Business as usual ist keine Option. Die aktuelle Pandemie hat gezeigt, wie gefährlich es ist, lokales und soziales Wissen zu ignorieren und die biologische Vielfalt zu zerstören.

Wohlhabende Staaten und Gesellschaften müssen erkennen, dass unsere Zukünfte voneinander abhängig sind. Es wird uns nicht gelingen, einen kleinen Teil der Welt zu sichern und andere Teile wachsender Unsicherheit zu überlassen. Das östliche und südliche Afrika mit seinem Reichtum an Ressourcen und seiner biologischen Vielfalt muss diese Ressourcen für das Wohlergehen seiner eigenen Bevölkerung nutzen. Nicht nur in Bezug auf Impfstoffe brauchen wir eine lokale Produktion. Wir müssen weg von Entwicklungsmodellen, die auf einer starken Ausbeutung der Ressourcen für die Gewinnung und den Export beruhen, und hin zu Modellen, die eine nachhaltige Nutzung unserer Ressourcen ermöglichen. Die Pandemie war ein Weckruf. Wenn wir ohne größere Veränderungen einfach so weitermachen, werden wir es mit eskalierender Ungleichheit, Pandemien, Konflikten und ökologischen Bedrohungen zu tun haben, die am Ende für uns alle existenziell sein werden.

Dr. Rene Loewenson, Simbabwe

Corona ist das Virus, die Weltverhältnisse sind die Krankheit

Seine Wucht entfalten konnte das Virus nur, weil es auf globale Machtverhältnisse getroffen ist, die aus einer Pandemie eine Polypandemie machten. So hat es wirtschaftliche Insolvenzen ausgelöst, in Verbindung mit der Klimakatastrophe die Ernährungsunsicherheit vergrößert und bestehende Hungersnöte verschärft. Seit die Impfstoffe entwickelt sind, machen die Dominanzmächte dem Rest der Welt klar, dass sie bereit sind, die kapitalistische Logik der Globalisierung um jeden Preis zu verteidigen. Sie nehmen die Verlängerung der Pandemie mit Millionen Toten billigend in Kauf, anstatt endlich der international erhobenen Forderung nach Wissenstransfer und Aussetzung der Patente zu folgen und eine gerechte Verteilung von Impfstoffen zu ermöglichen. Mit den Millionen Impfdosen, die in den Industrienationen auf dem Müll landen, weil das Haltbarkeitsdatum erreicht ist, entsorgen die reichen Länder das Recht auf Gesundheit – und ihre Glaubwürdigkeit gleich mit.

Die Botschaft der Industrienationen an die Menschen im Globalen Süden lautet: Eure Leben zählen nicht. Sie verfestigen einen Weltzustand, der das politische Projekt eines guten Lebens für alle aufgegeben hat und auf die Absicherung von Reichtum und Privilegien setzt. Dieses Prinzip infrage zu stellen heißt, die Systemfrage aufzuwerfen. Eine Politik, die Menschenrechte, Würde und Freiheit miteinander verbindet, hat weder in der herrschenden Politik noch auf dem Markt verlässliche Verbündete. Sie muss sich selbst helfen, um dorthin zurückzukehren, wohin sie gehört: zu den Menschen.

Indem die Covid-19-Pandemie die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen auf tödliche Weise offengelegt hat, hat sie die Notwendigkeit einer Dekolonialisierung der globalen Gesundheitsarchitektur unterstrichen. Das reicht weit über die Impfstoffdebatte hinaus. Es geht um den asymmetrischen Charakter des globalen Gesundheitswesens und macht eine Neuausrichtung der Wissensproduktion erforderlich. Eine global gedachte Gesundheitspolitik kann nur funktionieren, wenn sie nach menschenrechtlichen Prinzipien ausgerichtet ist und Patente als globale Allmende versteht. Das gilt auch für neue Instrumente der Prävention wie den Pandemic Treaty, über den momentan bei der WHO verhandelt wird. Dieser ist die Mühe wert, wenn er klare Kriterien für die Ausgestaltung des internationalen Rechts enthält. Es werden strengere Gesetze und Vorschriften benötigt, damit Staaten und Konzerne ihren jeweiligen menschenrechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten gerecht werden können.

Anne Jung, Deutschland

Dieser Beitrag ist Teil des medico-Jahresberichts 2021, den Sie hier online lesen und kostenlos bestellen können.

Veröffentlicht am 30. Mai 2022

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