medico: Wenig andere Länder der Welt sind so stark von HIV und Aids betroffen wie Südafrika. Gleichzeitig hat ein beharrlicher zivilgesellschaftlicher Kampf dafür gesorgt, dass Millionen von Südafrikaner:innen Zugang zu antiretroviralen Medikamenten haben. Wie war die Lage zu Beginn des Jahres – also bevor die USA Gelder für internationale HIV-Programme gestoppt haben?
Mark Heywood: Im Laufe der Zeit ist in Südafrika das größte HIV-Programm der Welt aufgebaut worden. Hierzu hat PEPFAR, das 2003 gestartete US-Regierungsprogramm zur Bekämpfung der HIV/ Aids-Epidemie weltweit, erheblich beigetragen. Nicht zuletzt dadurch konnten wir 5,8 Millionen Menschen in Behandlung bringen. Das ist die positive Seite. Die negative Seite ist, dass 2,2 Millionen Menschen nicht behandelt werden. Noch immer sterben in Südafrika jedes Jahr etwa 50.000 Menschen an Aids. Wir haben die höchste Prävalenzrate der Welt und weiterhin eine der höchsten Neuinfektionsraten.

Warum ist das so? Südafrika verfügt über eine hochangesehene HIV-Forschung.
Auch die beste Forschung kann nur wirksam sein, wenn sie mit einem funktionierenden Gesundheitssystem verbunden ist. Unser System ist in vielerlei Hinsicht korrumpiert und unfähig. Und die Regierung glaubt, mit Zehntausenden von HIV-Toten pro Jahr leben zu können. Man kann sich aber nicht damit zufrieden geben, wenn knapp 75 Prozent der Infizierten in Behandlung sind. HIV ist vollständig vermeidbar. Menschen, die in Behandlung sind, stecken keine anderen Menschen mehr an, weil ihre Viruslast auf nahezu null sinkt. Es ist also keine medizinische, sondern eine rein politische Frage.
Im Februar wurde die US-Entwicklungshilfebehörde USAID weitgehend abgewickelt, die PEPFAR umgesetzt hat. Ende März ist das Programm offiziell ausgelaufen. Welche Folgen hat das in Südafrika?
Das setzt auf eine laufende Katastrophe noch eine Katastrophe obendrauf. Zwar macht PEPFAR nur 17 Prozent der Ausgaben für HIV/ Aids-Programme in Südafrika aus. Aber seine Bedeutung ist enorm groß. Wichtige Programme stehen vor dem Zusammenbruch, 15.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens mussten von heute auf morgen ihren Dienst einstellen. Das sind Menschen, die ihr Herz und ihren Verstand in die Programme gesteckt haben. Das gesamte System ist betroffen – von renommierten Forschungseinrichtungen und der Infrastruktur für Tests, Schulungen und Überwachung bis hin zum Zugang zu Medikamenten und Prävention auf Gemeindeebene. Damit ist das Leben von Zehntausenden von Menschen bedroht, vor allem in Bezirken, in denen die HIV-Inzidenz hoch ist. Hier leben die Schwächsten und Schutzlosesten. Und mit jedem Menschen, der keinen Zugang zu antiretroviralen Medikamenten mehr hat, steigt die Ansteckungsgefahr. Wir rechnen auch nicht damit, dass die Mittel künftig wieder fließen werden. Der Schaden ist angerichtet und er ist irreversibel.
War es ein Fehler, dass sich Südafrika nicht unabhängiger von internationaler Finanzierung gemacht hat?
Ja und nein. Natürlich kritisieren wir unsere Regierung dafür, dass sie seit zehn Jahren die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit kürzt. Gleichzeitig ist HIV eine globale Pandemie und ihre Verhinderung eine globale Verantwortung. Es ist schlicht zynisch, wenn Donald Trump sagt, er habe sich „zurückgeholt, was Amerika gehört“. Der globale Norden hat die Verpflichtung, seinen weitgehend illegitim angehäuften Wohlstand und seine Ressourcen auch dafür einzusetzen, Krankheiten in aller Welt zu verhindern und zu bekämpfen. Es geht nicht um Wohltätigkeit, der Norden tut uns keinen Gefallen. Er trägt eine Verantwortung im Interesse der globalen öffentlichen Gesundheit.
Aus einer kritischen Perspektive ist die internationale Finanzierung von Gesundheitsprogrammen auch eine Form der Soft Power – ein Mittel, um Einfluss zu gewinnen und Kontrolle auszuüben. Nun hört die USA einfach damit auf. PEPFAR, so die lapidare Begründung, liege „nicht im nationalen Interesse“. Wie interpretierst du diese Verschiebung?
Mit der neuen Präsidentschaft Trumps hat sich eine völlig neue globale Situation ergeben. Das liegt nicht allein an Trump, sondern ist der Höhepunkt einer langjährigen neoliberalen Politik, die Macht und Reichtum in nie dagewesener Weise bei den Eliten konzentriert hat. Neu ist, dass sie nun direkt mit ihren schmutzigen Händen an den Hebeln der Macht sitzen und die Welt kompromisslos ihren Interessen unterwerfen. Dabei entledigen sie sich jeglicher sozialer Verpflichtungen zur Geltendmachung der universellen Menschenrechte. In diesem Sinne ist USAID „nicht in ihrem Interesse“ – obwohl es natürlich sehr wohl im Interesse ihrer Bevölkerungen ist. Pandemien und Viren scheren sich schließlich nicht um nationale Grenzen.
USAID wurde nicht mit der Begründung abgewickelt, das Geld werde leider anderswo dringender benötigt. Es geht nicht darum, dass sich die USA die Hilfe nicht mehr leisten können – sie wollen es sich nicht mehr leisten. Ist ein „Krieg gegen Empathie“ erklärt worden?
Ja, aber dieser Krieg richtet sich grundsätzlich gegen die Solidarität und die Idee, dass die Menschen füreinander Verantwortung tragen. Die afrikanische Philosophie von Ubuntu – „Ich bin, weil wir sind“ – bedeutet, dass wir einander verpflichtet sind. Dieser Krieg richtet sich gegen die Menschenrechte und gleichzeitig gegen die internationalen Abkommen und die multilaterale Ordnung, die zu deren Durchsetzung geschaffen wurden.
Die USA sind nicht das einzige Land, das die Budgets für internationale Hilfe kürzt oder reduziert. Die europäischen Länder tun dasselbe, nur weniger rigoros und weniger barsch. Und im Zuge der Finanzierungskrise hat auch das UN-Programm UNAIDS die Hälfte seiner weltweiten Büros schließen müssen.
Wir erleben das Ende der Hilfe, wie wir sie seit einem halben Jahrhundert kennen. Im Zuge der geopolitische Neuformierung müssen wir die Frage nach der Bedeutung der BRICS-Staaten stellen: Welche Rollen wollen und können sie spielen? Wir müssen uns auch für eine Verteidigung von übergeordneten Instanzen wie der Weltgesundheitsorganisation einsetzen: Wir kann sie mit Mitteln und Macht ausgestattet werden, damit sie wirklich etwas bewirken kann?
Die Frage ist nicht neu – ihre Beantwortung aber schwerer denn je.
Das stimmt. Aber wir dürfen jetzt nicht aufgeben, sondern müssen noch härter arbeiten. Letztlich ist es unsere Aufgabe als Aktivist:innen, Solidarität neu zu denken und zu organisieren – lokal, national und global. Wir mögen keine finanzielle oder militärische Macht haben. Aber als Zivilgesellschaft haben wir die Macht der Vielen. Hunderte von Millionen Menschen sind gewerkschaftlich organisiert und Mitglied in zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Dabei halte ich es für zentral, dass wir uns besser miteinander verbinden. Basisbewegungen aus, sagen wir, Südafrika, Brasilien und Deutschland sollten sich noch enger vernetzen. Wir müssen unsere Anstrengungen aber auch in Richtung von Ländern wie Indien und sogar China verstärken, wo die autoritäre Herrschaft keinen Raum für soziale Organisierung lässt. Nur so kann es gelingen, Isolation und Ohnmacht zu überwinden und eine gemeinsame Strategie zu finden.
Wieso sollte das gerade in einer Phase gelingen, in der sich jedes Land auf seine nationalen Interessen zurückzieht?
Wir müssen verstehen, dass der Krieg gegen Solidarität nicht nur von Nord nach Süd verläuft. Er greift das gesamte Konzept des Wohlfahrtsstaates, sozialer Demokratie und das Recht aller auf Zugang zu Bildung, Gesundheit und Wohnen an – eben auch in den USA und in Europa. All das trifft unterprivilegierte Menschen, wo auch immer sie zu Hause sind. Deswegen sollten die Koordinaten unseres Aktivismus nicht allein geografisch, sondern sich an Kategorien von Klasse und Besitzverhältnissen orientieren. Wir müssen eine Stufe der zivilgesellschaftlichen Organisierung erreichen, wie wir sie noch nicht kennen. Kurzfristig müssen wir uns gegen die Militarisierung in den USA und Europa stellen.
Die Kürzungen der Budgets für internationale Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland oder England werden just mit der Notwendigkeit zur Aufrüstung begründet.
Ja, es läuft eine gewaltige Umschichtung, durch die Mittel für Gesundheitsprogramme und humanitäre Anliegen wegfallen. Widerstand hiergegen ist aber auch deshalb nötig, weil damit Weichen gestellt werden, wie globale Krisen, etwa die Klimakrise, künftig angegangen werden: militärisch, nicht zivil. Umso wichtiger ist es, dass sich Bewegungen für Klimagerechtigkeit und der Antimilitarismus verbinden. Es sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Wir haben allerdings nicht viel Zeit. Die Uhr tickt – und sie tickt gegen uns.
Das Interview führte Christian Sälzer.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico rundschreiben 02/2025. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!