Am 14.10.2025 veranstaltet die Deutsche Plattform für Globale Gesundheit die Tagung „Defending the Right to Health“. Parallel zum gleichzeitig in Berlin stattfindenden World Health Summit werfen wir einen Blick auf Akteure, die das Recht auf Gesundheit angreifen und diskutieren ihr Erstarken im Zusammenhang mit neoliberalen Strukturmaßnahmen. Sophie Harman wird als Keynote Speakerin zum Thema „Health as a Battleground for the Far Right“ sprechen.
medico: Als Beobachterin der extremen Rechten in Ihrem Heimatland Großbritannien, aber auch in den USA: Sehen Sie, dass sich rechtsextreme Vorstellungen von Gesundheitspolitik bereits gesellschaftlich widerspiegeln?
Sophie Harman: Rechtsextreme Ideologien im Gesundheitsbereich sind in der Regel gegen Eliten, gegen Wissenschaft, gegen große Pharmaunternehmen, große Lebensmittelkonzerne und große Technologieunternehmen gerichtet. Wie verankert sich das in der Gesellschaft? Die Rechten greifen eine Sorge auf, die die Menschen bereits haben. Das ist das Wirksame daran. In den USA beispielsweise greift die „Make America Healthy Again“-Bewegung (MAHA) bestimmte „Mum-Fluencer” auf. Sie hatten Bedenken hinsichtlich der Ernährung ihrer Kinder. Sie hatten Bedenken hinsichtlich der Empfehlungen der politischen Eliten oder fühlten sich von diesen ignoriert. In meinem Land, Großbritannien, lässt sich dies an der Rhetorik rund um die Reform der Abtreibungsgesetze beobachten. Und dann natürlich die Anti-Impf-Rhetorik, die Bedenken aufgreift, die die Menschen ohnehin in Bezug auf Impfstoffe haben. Der Fakt, dass kein Impfstoff zu 100 Prozent sicher ist, spricht einfach die Ängste der Menschen um ihre Kinder und ihre zukünftige Gesundheit an.
Steht die libertäre Ideologie der Rechten von Deregulierung und Individualismus nicht im Widerspruch zu einer Rhetorik gegen die Pharmaindustrie?
Für manche in der MAHA-Bewegung geht es eigentlich darum, gute individuelle Entscheidungen zu treffen, individuell Verantwortung zu übernehmen und den eigenen Körper zu optimieren, um gesund zu sein. Diese neoliberalen Individuen, die für ihren eigenen Körper und ihr eigenes Wohlergehen verantwortlich sind, gibt es immer noch. Aber auch als Gesellschaft ist man für sich selbst und seine Familie verantwortlich. Es ist diese Art von Konservatismus, die sich mit dem traditionellen Neoliberalismus gegen staatliche Regulierung verbündet: Eine staatliche Gesundheitsversorgung ist in ihren Augen keine Lösung, weil sie von den Eliten vereinnahmt wird, die uns vorschreiben, was wir zu tun haben. Aber dies scheint mir der Kernpunkt zu sein, an dem die MAHA-Bewegung scheitert. Was wir insbesondere in den USA bei den Zwischenwahlen im nächsten Jahr sehen werden, ist, dass ein Teil der MAHA-Bewegung der Regierung sagen wird: Moment mal, ihr habt nicht wirklich so hart durchgegriffen, wie ihr es angekündigt habt. Dann kommt Trump mit seinem Unsinn über Paracetamol in der Schwangerschaft oder mit der Regulierung ausländischer Pharmaunternehmen und ähnlichen Themen. Da gibt es Spannungen und Widersprüche.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Kontrolle über die Körper von Frauen und die Ausbeutung der Gesundheit von Frauen den Kern der Machtverhältnisse in Gesellschaften bilden. Haben die Kämpfe um sexuelle und reproduktive Rechte mit dem Aufstieg der globalen Rechten an Dynamik gewonnen?
Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass die Wissenschaft und die Beweise rund um sexuelle und reproduktive Gesundheit, insbesondere im Zusammenhang mit Abtreibung, unumstritten sind. Es ist klar, dass umfassende Sexualaufklärung und umfassende sexuelle und reproduktive Rechte Leben retten. Es handelt sich also um eine rein politische Auseinandersetzung. Was wir jetzt beobachten, hat sich seit den 1970er Jahren entwickelt. Damals gab es progressive internationale Regelungen zum Schutz und zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechte sowie nationale Veränderungen wie die Verabschiedung des Urteils „Roe v Wade” in den Vereinigten Staaten. Das hat einige Kräfte, die gegen Abtreibung oder gegen umfassende sexuelle und reproduktive Rechte waren, dazu veranlasst, global tätig zu werden. Die Idee dahinter war: Wir haben die Debatte im eigenen Land verloren, also müssen wir politisch in anderen Ländern Einfluss nehmen, um einen Bumerang-Effekt auf unsere eigenen Länder zu erzielen. Diese Themen sind also nie verschwunden, sie waren immer umstritten, insbesondere in den Ländern des globalen Südens, die auf Entwicklungshilfe angewiesen sind. Hier begann sich ein globales Phänomen zu entwickeln, das nun auf die USA und zunehmend auch auf Teile Europas zurückwirkt. Besonders bemerkenswert an der aktuellen Situation ist, dass die globale extreme Rechte in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit eine progressive Sprache übernommen hat. Wenn man sich ihre Argumente ansieht, appellieren sie in der Regel an eine dekoloniale Idee, an traditionelle Werte in bestimmten Ländern des globalen Südens, indem sie sagen, dass es darum gehe, die Souveränität dieser Länder zu schützen. Die rechtsextreme Bewegung hat einen Raum gefüllt, mit dem viele Teile der progressiveren globalen Gesundheitsbewegung nicht umgehen konnten. Die meisten europäischen Länder haben eine koloniale Vergangenheit, und als Teil dieses Kolonialprojekts wurden vor allem schwarze Frauen Tests und Experimenten unterzogen. Dafür gab es nie eine Entschuldigung. In den USA sieht man dasselbe beim Thema Zwangssterilisationen, insbesondere in afroamerikanischen Gemeinschaften. Weil diese nicht vollständig aufgearbeitet wurden, kommt es zu Situationen, in denen die Parolen der extremen Rechten Widerhall finden: „Widersteht diesen internationalen Akteuren, die versuchen, eure Frauen zwangssterilisieren zu lassen.“ Man kann sagen: Ja, denn das ist tatsächlich passiert und sie haben es nicht eingestanden. Die globalen Gesundheitsinstitutionen schweigen sich darüber aus. Aus diesem Grund kann man eine gewisse Zurückhaltung gegenüber internationalem Engagement im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit beobachten. Man sieht dies auch bei der Impfskepsis, wo sich das gleiche Muster zeigt, und ich denke, die globale extreme Rechte hat dies sehr gut erkannt und nutzt es für ihre eigenen Zwecke. Progressive globale Gesundheitsorganisationen waren nicht in der Lage, über Eugenik in den ehemaligen Kolonien zu sprechen. Davon hört man auf dem World Health Summit nichts. Oft denken wir darüber nach, was die globale extreme Rechte im Bereich der globalen Gesundheit zerstört, aber wir müssen uns mehr darauf konzentrieren, was sie aufbaut wir aufbauen können, und wenn es um sexuelle und reproduktive Gesundheit geht, ist dies ein zentraler Bestandteil ihrer Außenpolitik.
Wie wirkt sich diese Strategie der Rechten auf den Multilateralismus im globalen Gesundheitswesen aus?
Es geht nicht nur darum, die Budgets zu kürzen oder die Mitgliedschaft in der WHO zu beenden, sondern beispielsweise auch darum, wer der nächste Generaldirektor der WHO wird. Sie wollen jemanden, der am ehesten die Interessen der globalen Rechten vertritt. So wie Robert Kennedy als Gesundheitsminister in den USA das System von innen aushöhlt, wird es auch global versucht. Die Delegitimierung steht aber auch im Zusammenhang mit einer echten Legitimitätskrise im Bereich der globalen Gesundheit. Die Gates-Stiftung ist ein gutes Beispiel dafür. Denken Sie nur an all die Verschwörungstheorien über Bill Gates und Impfstoffe. Aber gleichzeitig ist die Gates-Stiftung einer der größten Geldgeber für globale Gesundheit weltweit, ohne gegenüber irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Man kann sehen, dass die Gegenreaktionen auch auf echte Fragen der Legitimität zurückzuführen sind.
Gleichzeitig werden private Akteure und auch philanthropische Einrichtungen wie die Gates-Stiftung aufgrund fehlender staatlicher Finanzmittel noch wichtiger und zwar nicht nur auf globaler, sondern auch auf nationaler Ebene. Ist der private Sektor nicht nur ideologisch, sondern auch materiell Gewinner dieser Entwicklung?
Wir sehen schon jetzt einen Anstieg der Beiträge philanthropischer Stiftungen, bei der Gates-Stiftung, aber auch bei der Ankündigung von Melinda French Gates, etwa 100 Millionen Pfund in die Gesundheit von Frauen zu investieren. Gleichzeitig haben in der Vergangenheit Staaten viel Wert auf öffentlich-private Partnerschaften gelegt. Dabei ist das Prinzip bekannt, dass die Öffentlichkeit alle Verbindlichkeiten übernimmt und das gesamte Geld investiert, während die Investitionen vonseiten der Unternehmen eigentlich gar nicht vorhanden sind. Es wird wirklich interessant sein zu sehen, wie wichtige Philanthropen jetzt ihre Beziehungen zu Staaten gestalten und ob sie sich zu einigen dieser politischen Themen deutlicher äußern werden oder nicht.
Das Interview führten Felix Litschauer und Andreas Wulf
Transkription und Übersetzung: Laura Höh