Nicaragua

Knebelgesetze

Das Ortega-Regime verschärft die Verfolgung jedweder Opposition.

Von Moritz Krawinkel

In Ungarn erlegt das sogenannte NGO-Gesetz Nichtregierungsorganisationen, die Spenden aus dem Ausland erhalten, Registrierungs-, Melde- und Offenlegungspflichten auf. Dies, so urteilte der Europäische Gerichtshof jüngst, verstößt gegen EU-Recht. Ein solches Urteil würde man sich auch zu dem Mitte Oktober 2020 verabschiedeten Gesetz 1040 zur „Regulierung ausländischer Agenten“ in Nicaragua wünschen. Das Dekret schreibt vor, dass alle nicaraguanischen Personen, Organisationen oder Unternehmen, die mit ausländischen Geldern in Berührung kommen, sich bei der Regierung als „ausländische Agenten“ registrieren müssen. Außerdem werden aus dem Ausland unterstützte Projekte verpflichtet, den Behörden sämtliche Finanzen und Tätigkeiten vierwöchentlich zur Genehmigung vorzulegen.

Das Knebel-Gesetz steht in krassem Gegensatz zur lockeren Formulierung des Gesetzes 840 über das nie begonnene Megaprojekt eines interozeanischen Kanals. Dieses gestattet Finanzinstitutionen, die ein Vorhaben im Zusammenhang mit dem Kanal finanzieren, zu agieren, „ohne sich bei der Bankenaufsicht der Republik Nicaragua registrieren zu lassen oder eine andere Genehmigung einer Regierungsstelle einholen zu müssen“, wie medico-Partnerin Mónica López Baltodano aus dem Gesetzestext zitiert.

Repressalien werden legalisiert

Nachdem das Regime Ende 2019 neun NGOs, darunter auch medico-Partnerorganisationen, die Rechtsfähigkeit als juristische Person entzogen hat, werden mit Gesetz 1040 die „legalen“ Voraussetzungen für weitere Repressalien geschaffen. Offensichtliches Ziel ist die nachhaltige Einschüchterung von potentiell kritischen Organisationen und ihren Angestellten – bei Zuwiderhandlung wird selbst auf privates Vermögen zugegriffen. Nebenbei stellt das Regime mit dem Gesetz auch eine Weiche für die im November 2021 anstehenden Wahlen: Niemand, die oder der auf der Liste „ausländischer Agenten“ steht, soll ein öffentliches Amt bekleiden dürfen – eine eklatante Grundrechtsverletzung.

Die Menschenrechtslage in Nicaragua hat sich seit der gewalttätigen Niederschlagung der Proteste gegen das Ortega-Regime 2018 nicht verbessert. Jetzt ist sie mit insgesamt drei Dekreten in eine neue Phase getreten: Bereits im September hatte Ortega ein die Verfassung änderndes Gesetz beim Obersten Gerichtshof in Auftrag gegeben (!), das die Höchststrafe für sogenannte „Hassverbrechen“ auf lebenslange Haft ausdehnt. Offizieller Anlass für die Verschärfung ist die brutale Vergewaltigung und Ermordung von zwei Mädchen. Doch nachdem Ortega die politische Opposition immer wieder als „Kriminelle“, als „Terroristen“ und ihre Proteste als „Verbrechen des Hasses“ bezeichnet hat, liegt die Vermutung nahe, dass sich das Gesetz eigentlich gegen sie richtet. Ebenfalls im September hat Ortega ein Gesetz zur Cybersicherheit verkündet, das regierungskritische Aktivitäten im Internet unter Strafe stellt. Auch wenn alle drei Gesetze in der Umsetzung weitgehend unpraktikabel sein sollten: Sie schaffen einen legalen Rahmen zur Kriminalisierung und Einschüchterung jedweder Opposition und noch darüber hinaus: Selbst die zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle COVID-19 befürchtet Einschränkungen ihrer Arbeit.

Pandemie? Schon vorbei ...

Wie hierzulande sind die offiziellen Corona-Zahlen in Nicaragua über den Sommer deutlich gesunken. Dass die Pandemie damit überwunden ist, lässt sich daraus aber nicht folgern. Nachdem die Führung des Landes die Existenz des Virus zunächst geleugnet und Maßnahmen zur Eindämmung sogar kriminalisiert hat, ist es dem Gesundheitspersonal mittlerweile immerhin erlaubt, Schutzmasken zu tragen. Als Anfang Mai 2020 über 500 nicaraguanische Ärzt* innen eine öffentliche Erklärung unterzeichneten, in der sie die Regierung auffordern, stärkere Schritte zur Bekämpfung der Pandemie zu unternehmen, bezeichnete Vizepräsidentin Rosario Murillo sie noch öffentlich als „Außerirdische, die in anderen Galaxien leben“. Bis heute hat die Bekämpfung der Pandemie für die Regierung keine Priorität. „Wir wissen nicht, wie die Covid-Lage ist, weil die Daten für eine seriöse Einschätzung fehlen“, sagt Leonel Argüello vom Centro de Estudios y Promoción Social (CEPS), mit dem medico seit vielen Jahre verbunden ist. Während das Gesundheitsministerium Ende Oktober 156 Corona-Tote zählte, kam die zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle COVID-19 auf 2.780 Tote. Leonel Argüello befürchtet darüber hinaus eine hohe Dunkelziffer.

medico international fördert die Versorgung politisch Verfolgter und die psychosoziale Betreuung von Betroffenen der staatlichen Repression sowie ihre Forderungen nach Gerechtigkeit. Angesichts der staatlichen Untätigkeit in Nicaragua unterstützen wir zivilgesellschaftliche Initiativen, die in der Pandemie selbstorganisiert Schutz- und Aufklärungsmaßnahmen ergreifen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2020. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Veröffentlicht am 02. Dezember 2020

Moritz Krawinkel

Moritz Krawinkel leitet die Öffentlichkeitsarbeit bei medico international. Außerdem ist der Soziologe in der Redaktion tätig und für die Öffentlichkeitsarbeit zu Zentralamerika und Mexiko zuständig.

Twitter: @mrtzkr


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