Israel/Palästina

Kein Platz für Menschenrechte

Eine internationale Kampagne gegen palästinensische Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen zielt darauf, zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Besatzung und Siedlungspolitik zu brechen.

Von Riad Othman

In den letzten sieben Tagen erreichten uns aus Ramallah gleich von drei Organisationen schlechte Nachrichten. Zwei davon sind unsere Partner, die dritte kennen wir seit vielen Jahren, unter anderem weil sie, wie medico, im Gesundheitsbereich tätig ist und dort eine wichtige Rolle spielt.

Oslo – Das A, B, C gilt nicht für alle

In der Nacht auf Mittwoch, den 7. Juli, drang die israelische Armee nach Ramallah bzw. Al-Bireh vor und brach in das Büro unserer langjährigen Partnerorganisation Union of Agricultural Work Committees (UAWC) ein, die sich seit vielen Jahren auch mit unserer Unterstützung und der des Auswärtigen Amtes in der israelisch besetzten West Bank für palästinensische Land- und Wasserrechte einsetzt. Die Organisation engagiert sich somit auch für die Einhaltung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Damit kommt sie in den vollständig von Israel kontrollierten C-Gebieten, die rund 61 Prozent des Westjordanlandes ausmachen, regelmäßig den Interessen der Siedlerbewegung und der israelischen Armee in die Quere, die die Landnahme im Auftrag der Regierung militärisch absichert.

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli nahm die Armee (ohne richterliche Anordnung, weil dies alles ohne zivile Aufsicht in einem Militärregime geschieht) Computer und Akten aus dem Büro von UAWC mit und hinterließ eine Militärorder, die die Schließung für die nächsten sechs Monate befahl. Dabei spielte keine Rolle, dass sich das UAWC-Büro in den A-Gebieten befindet, die laut den Osloer Abkommen vollständig unter palästinensischer Kontrolle stehen sollten. Allerdings gehört es seit Jahrzehnten und faktisch schon seit der Unterzeichnung der Verträge zum Alltag, dass sich der israelische Staat nicht an die Vereinbarungen hält. Der fortgesetzte Siedlungsbau ist das augenfälligste Beispiel, die Verhaftung von Palästinenser:innen in den Städten der A-Gebiete einschließlich Abgeordneter des palästinensischen Legislativrates gehört ebenso dazu.

Fakten sind zweitrangig

In den vergangenen Jahren wurde UAWC, ihren internationalen Kooperationspartnern und Gebern immer wieder die Unterstützung von Terrorismus vorgeworfen, ohne dass die israelische Regierung oder selbsternannte Watchdog-Organisationen wie der „NGO Monitor“ Beweise für ihre schwerwiegenden Vorwürfe geliefert hätten. In diesem Kampf um die internationale öffentliche Meinung und nicht zuletzt die Haltung der Geldgeber wird mit unsauberen Mitteln gekämpft.

Dabei haben frühere Untersuchungen UAWC vom Vorwurf, die Partei „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) unterstützt zu haben, die in der Europäischen Union und Israel als Terrororganisation gelistet ist, frei gesprochen. Die Diffamierungen haben jedoch Methode, denn während Anschuldigungen gegen palästinensische Organisationen auch in Deutschland immer wieder für Schlagzeilen in der einschlägigen Presse gesorgt haben, befassen sich dieselben Medien nicht mit einer Prüfung der Vorwürfe, der späteren Entlastung der Angeklagten oder der Fragwürdigkeit ihrer Quelle.

Weder sind ihnen die manipulativen Methoden eine Zeile wert noch die Tatsache, dass der NGO Monitor im Kreis seiner politischen Verbündeten und Partner eine Person duldet, die in Israel für anti-arabischen Terrorismus rechtskräftig verurteilt worden ist – und zwar vor einem zivilen israelischen Gericht mit allen Rechten eines Bürgers auf einen fairen Prozess. Natürlich macht das den Monitor nicht zu einer terroristischen Organisation. Jede andere Schlussfolgerung würde genau auf die diffamierenden Methoden zurückgreifen, gegen die wir uns entschieden wehren. Es macht ihn aber zu einer hochgradig heuchlerischen Organisation, die zur Verfolgung politischer Ziele regelmäßig andere Standards an Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen anlegt als an sich selbst, übrigens auch in ihrem von ihr selbst viel gepriesenen Kampf für Transparenz. Die Stellungnahme unserer Partnerorganisation angesichts der aktuellen Vorwürfe ordnet das Vorgehen entsprechend ein.

Hier geht es nicht um fehlende Transparenz oder einen echten Verdacht auf Unterstützung von Terrorismus. Das Vorgehen erscheint dafür zu schematisch. Die Vorwürfe bleiben vage, bisweilen sogar nicht einmal klar formuliert, und Beweise dafür werden von israelischer Seite selbst ausländischen Regierungen fast nie vorgelegt, soweit dies bekannt ist. Vollmundig sind dafür immer die Forderungen – bspw. durch das israelische Ministerium für Strategische Angelegenheiten oder die bereits erwähnte NGO –, die finanzielle Unterstützung der angegriffenen Organisationen einzustellen. Die letzten Reste der „alten“ zivilgesellschaftlich organisierten Widerständigkeit gegen Besatzung und Siedlungspolitik sollen geschwächt und, wenn möglich, gebrochen werden.

In Deutschland gehört der NGO Monitor längst zu den Stichwortgebern der AfD, die in ihren Kleinen Anfragen immer wieder die Unterstützung kritischer Teile der palästinensischen Zivilgesellschaft hinterfragt. Gleichzeitig sympathisiert die Partei, die Mitglieder in ihren Reihen duldet, die kein Problem mit der Verharmlosung bzw. Leugnung der Shoah haben, mit dem ethnonationalistischen Kurs der israelischen Regierung.

Einbrüche mit Methode, Festsetzung ohne Haftbefehl

Bereits am 9. Juni war die israelische Armee gewaltsam in das Büro der palästinensischen Organisation Health Work Committees (HWC) eingedrungen. Auch dort beschlagnahmte sie Computer, versperrte den Haupteingang (wie einen Monat später auch bei UAWC) mit einer Eisenplatte und verhängte per Militärbefehl eine sechsmonatige Schließung. Im Gegensatz zu israelischen Angeklagten, werden Palästinenser:innen aus den besetzten Gebieten von Militärgerichten abgeurteilt, deren Verfahrensweisen internationalen Standards und Fairness in Prozessen Hohn sprechen. Sie weisen eine Verurteilungsrate von eigentlich immer über 95 Prozent, je nach Jahr der Betrachtung auch bisweilen knapp 100 Prozent auf.

Das hat auch Dr. Shatha Odeh, die Direktorin der HWC, zu spüren bekommen. In derselben Nacht, in der am 7. Juli bewaffnete israelische Kräfte bei UAWC einbrachen, verhafteten sie die NGO-Mitarbeiterin. Sie befindet sich seither unter Arrest. Als langjährige Akteurin im Gesundheitsbereich vor Ort kennen wir Shatha Odeh und die Arbeit der HWC und schätzen sie sehr. Seit Jahren koordinieren sich die vor Ort im Gesundheitsbereich Tätigen in einer Gruppe unter Vorsitz der Weltgesundheitsorganisation. HWC ist außerdem – wie medico – Teil des internationalen People’s Health Movement (PHM). Den vom PHM vorgebrachten Forderungen, unter anderem nach der Freilassung Dr. Odehs, schließen wir uns an.

Die große Ungewissheit

Angesichts des Vorgehens des israelischen Staates in den letzten Jahren, das sich in den letzten Monaten unserer Wahrnehmung nach verschärft hat, stellt sich die Frage, welche palästinensische Organisation als nächstes dran ist und ob es bei der vorübergehenden Schließung eines weiteren Büros bleiben oder zur Verhaftung palästinensischer Kolleg:innen kommen wird. Und falls letzteres, für wie lange werden die Betroffenen dann festgehalten?

Das Muster ist leider bekannt: Politisch missliebige Personen, gegen die strafrechtlich nichts zu unternehmen ist, können kurzerhand durch einen Befehl des zuständigen Militärkommandeurs in einer sechsmonatigen Administrativhaft festgesetzt werden. „Begründet“ wird diese zum Beispiel mit der Möglichkeit, dass die inhaftierte Person die öffentliche Ordnung oder Sicherheit hätte stören können, wenn sie auf freiem Fuß geblieben wäre. Für einen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt, den das Militär beliebig oft verlängern kann, sind das ziemlich viele Konjunktive, vor allem wenn sie in einem Land zur Anwendung kommen, das sich als Demokratie verstanden wissen will. Alles dies ohne richterliche Aufsicht oder Prüfung und ohne die Möglichkeit, sich gegen die Vorwürfe, die oft geheim gehalten werden, zu verteidigen. Schon die Briten hatten dieses Instrument gegen politische Gegner im Mandatsgebiet (und in ihren Kolonien) eingesetzt. Israel hat die Administrativhaft bei seiner Gründung beibehalten und nie abgeschafft.

Abschied aus der Ferne

Mit welchen Tragödien dieses Unrechtssystem für die einzelnen Menschen verbunden ist, hat uns in den letzten Tagen das Schicksal Suha Jarrars und ihrer Mutter Khalida vor Augen geführt. Die Mitarbeiterin unserer Partnerorganisation Al-Haq erlag in der Nacht zum 12. Juli im Alter von 30 Jahren einem Herzinfarkt. Ihre Mutter Khalida Jarrar befindet sich als ehemalige Abgeordnete der PFLP in einem israelischen Gefängnis. Obwohl ihr auch nach israelischen Quellen keine Mitverantwortung oder gar Beteiligung an bewaffneten Aktivitäten nachgewiesen werden konnte, wurde sie nicht frei gelassen. Nach über einem Jahr in Administrativhaft wurde Khalida 2021 in einem Deal zu zwei Jahren Gefängnis für ihre Mitgliedschaft in der PFLP verurteilt. Die Alternative wäre für sie der mögliche Verbleib in Administrativhaft gewesen, die immer wieder hätte verlängert werden können.

Obwohl Jarrar ihre Strafe fast vollständig verbüßt hat, stießen Aufrufe an den israelischen Staat, sie zum Begräbnis ihrer Tochter Suha zu lassen, auf taube Ohren. Im September soll sie frei kommen. Khalida Jarrar konnte ihre Tochter nicht das kleine Stück Weg auf ihrer letzten Reise begleiten. Der Abschied fand nur aus der Ferne statt. Wir trauern mit ihr, ihrer Familie und den Kolleginnen und Kollegen bei Al Haq.

Neben der Hilfe für UAWC im Bereich Land- und Wasserrechte unterstützt medico Al-Haq bei der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen durch Organe der Palästinensischen Autonomiebehörde im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten gegen die Ermordung des PA-kritischen Aktivisten Nizar Banat.

Veröffentlicht am 15. Juli 2021

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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