Gastwirtschaft

Kalkulierter Mangel

Das Elend, das wir heute im Falle der Impfstoffe beklagen, ist politisch gemacht. Der Patentschutz für Arzneimittel muss endlich fallen.

Von Thomas Gebauer

Nun ist die Klage groß. Vorbereitete Impfzentren allerorten, aber ein Mangel an Impfstoffen. Es sei zu wenig bestellt worden, kritisiert die Opposition; man hätte ja gerne, rechtfertigt sich der Minister, Produktionsstätten aber könnten nicht einfach aus dem Boden gestampft werden. Beide lenken vom eigentlichen Problem ab.

Denn dass einmal Millionen von Impfdosen gebraucht werden würden, war lange absehbar. Der Grund, warum zwischen Bedarf und verfügbaren Mitteln heute eine so große Lücke klafft, liegt nicht daran, dass andere mit ihren Bestellungen schneller waren, sondern daran, dass mit vielen Steuermilliarden zwar die Erforschung von Covid-19-Impfstoffen und Therapeutika gefördert wurde, aber die Chancen für eine Steigerung der Produktionskapazitäten bewusst unterlaufen wurden.

Tatsächlich existieren überall auf der Welt Fabriken, die Medikamente gegen Corona und selbst Impfstoffe herstellen könnten. Sie dürfen es nicht, weil sie dann gegen Patente verstoßen würden. Um Abhilfe zu schaffen, haben Indien und Südafrika der Welthandelsorganisation vorgeschlagen, den Patentschutz für Corona-Medikamente für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Kurz vor Weihnachten wurde der Vorschlag abgelehnt, nicht zuletzt auf Druck der Bundesregierung.

Das Elend, das wir heute im Falle der Impfstoffe beklagen, ist politisch gemacht. Und es wird sich wiederholen, wenn neben Impfstoffen endlich auch Medikamente zur Behandlung von Covid-19 vorliegen. Noch im November haben sich 18 führende Generika-Hersteller mit der Absicht zusammengeschlossen, auch den chronisch unterversorgten Armutsregionen erschwingliche Mittel zur Bekämpfung der Pandemie verfügbar zu machen. Ihre Produktionskapazitäten aber werden sie solange nicht erhöhen können, wie das Patentrecht dagegen steht.

Den Aktionär:innen der Pharma-Multis wird das recht sein. Allein Biontech und Pfizer dürften über die exklusive Vermarktung ihres Impfstoffes im laufenden Jahr 13 Milliarden Euro umsetzen. Impfwillige, die heute von Politiker:innen zur Geduld angehalten werden, erfahren nun das, was für Milliarden von Menschen schon lange eine skandalöse Realität ist: aufgrund politischen Versagens vom Zugang zu essentiellen Arzneimitteln ausgeschlossen zu sein.

„Patente töten“, heißt ein Appell an die Politik, Impfstoffe und Medikamente zu einem allen zugänglichen Gemeingut zu machen: https://www.patents-kill.org.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Januar 2021 in der Frankfurter Rundschau.

Veröffentlicht am 15. Januar 2021
Thomas Gebauer

Thomas Gebauer

Thomas Gebauer war von 1996 bis 2018 Geschäftsführer von medico international und bis Ende 2020 Sprecher der Stiftung medico. Als Zivildienstleistender ist er Ende der 1970er Jahre zu uns gekommen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Fragen der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik und die sozialen Bedingungen globaler Gesundheit. Der Psychologe erhielt 2014 die Goethe-Plakette, mit der die Stadt Frankfurt Persönlichkeiten des kulturellen Lebens würdigt.


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