Syrien

Doch Giftgas

Forensic Architecture weist schlüssig nach, dass die Assad-Truppen am 7. April diesen Jahres in Douma Giftgas eingesetzt haben. Von Katja Maurer

Es seien entweder die Rebellen gewesen oder der Angriff habe gar nicht stattgefunden. Diese Aussage zum Angriff auf ein Wohnhaus in Douma am 7. April 2018, bei dem 34 Frauen, Männer und Kinder ums Leben kamen, trägt Baschar al-Assad gelassen dem ihm gegenüber sitzenden Journalisten vor. Und natürlich spricht er von Terroristen, nicht von Rebellen. Schon die Sprachregelung „hat nicht stattgefunden“ oder „Terroristen“ beschreibt, wie in Syrien Fakten und Tatsachen aufgehört haben zu existieren. Dem Angriff auf Douma folgte eine eher symbolische, aber teure Bombardierung von vermuteten Giftgas-Produktionsstätten in Syrien durch die USA, Frankreich und Großbritannien, die gleichzeitig eine direkte Konfrontation mit Russland oder Assad vermieden.

Rekonstruktion eines Gasangriffs

Was sich in Douma genau ereignete, rekonstruiert nun die Gruppe Forensic Architecture. Die Gruppe aus Großbritannien, zu der u.a. Architekt_innen, Journalist_innen und Informatiker_innen gehören, hat beispielsweise den NSU-Mord in Kassel digital nachgestellt und rekonstruiert, dass der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der das Internetcafé angeblich kurz vor dem Mord an Halit Yozgat verlassen hatte, auf jeden Fall während des Mordes zugegen, wenn nicht in die Tat involviert war. Die Gruppe, die auch den Zusammensturz der Textilfabrik in Rana Plaza (Bangladesch) oder die Attacken der israelischen Armee auf Rafah im Gaza-Streifen 2014 untersuchte, weist in ihrem jüngsten Video nach, dass Chlorgas während des Angriffes am 7. April eingesetzt wurde. Sie zeigen anhand von Abdrücken in der Bombe, die deutlich von einem Zaun des Dachgartens stammen, dass sie nur aus großer Höhe abgeworfen werden konnte, also von der Luftwaffe Assads und nicht von Rebellen stammen musste.
 

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Dass so viele Menschen bei dem Angriff starben – und das sind die unerträglichsten Bilder dieses Videos von einem Angriff, der laut Assad gar nicht stattgefunden habe – lag höchstwahrscheinlich daran, dass die Bewohner_innen des Hauses, die wegen der unaufhörlichen Bombardierungen im Keller Schutz suchten, den Geruch wahrnahmen und nach oben rannten. Eigentlich eine richtige Vorsichtsmaßnahme, über die die Bewohner_innen der betroffenen Gebiete bereits vielfach informiert wurden. Nämlich bei Chlorgas die frische Luft und suchen und sofort sich selbst und alle Angehörigen abduschen. Viele Todesfälle konnten so vermieden werden.

Nur in diesem Fall war es wahrscheinlich die Flucht in eine tödliche Falle. Forensic Architecture kommt nicht nur zu dem Ergebnis, dass Giftgas den Tod der Menschen verursachte, sondern auch dass es nur die syrische Luftwaffe gewesen sein kann, die diese Bombe geworfen hat. Laut Forensic Architecture die sechste Giftgasattacke der syrischen Regierungstruppen in 2018.

Journalistische Hülle für Fake News

Zwei Gründe gibt es für die Schilderung des Videos. Wer es sich nicht ansehen möchte, und dafür gibt es nachvollziehbare emotionale Gründe, sollte zumindest verstehen, dass hier, soweit wie es unter den gegebenen Umständen möglich ist, seriös vorgegangen wurde. (Die syrische Regierung hat eine Untersuchung des Vorfalls vor Ort verweigert.) Zum anderen erreichen auch medico immer wieder Nachfragen, ob es denn überhaupt bewiesen sei, dass die Assad-Truppen Giftgas einsetzen. Hier liegt nun ein soweit als möglicher Beweis vor. Er bestätigt die Kriegstaktik des Regimes, das die Vertreibung der Zivilbevölkerung zum Mittel der Wahl gemacht hat. Chlorgasangriffe sind dabei besonders effektiv, weil sie die größtmögliche Verunsicherung und Panik auslösen, denn es gibt keinen sicheren Ort mehr, um sich zu schützen. Die Rekonstruktion von Forensic Architecture zeigt das und umso unerträglicher ist es, das 15-minütige Video anzuschauen. Forensic Architecture zitiert eine Reportage des russischen Fernsehens. Ein russischer Journalist spaziert darin im Stile von CNN durch das Haus, spricht vor den Trümmern knieend ins Mikrofon und behauptet, die Leichen seien drapiert worden. Er habe das nun mit eigenen Augen gesehen. Die journalistische Geste erscheint nur noch als Hülle für Fake News, das gibt es nicht nur in Russland und wirft Fragen an den Journalismus generell auf.

Wer sich nun von Forensic Architecture nicht überzeugen lassen will, ist damit nicht allein. Genauso handhabte es die hessische Landesregierung, das israelische Militär und die globale Textilindustrie. Für alle anderen zeigt das Video, was noch zu erwarten ist. Die Kriegsverbrechen, denn darum handelt es sich bei Giftgas, werden weiter gehen. Idlib und Daraa könnten die nächsten Regionen sein, in denen Chlorgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird.

Aber alles ist vergessen, denn gerade schauen wir die Fußball-WM in Russland.

Veröffentlicht am 26. Juni 2018
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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