Syrien

Menetekel Chemie-Waffen

Wird der weitere Einsatz von Chemie-Waffen in Syrien nicht endlich gestoppt, steht das Völkerrecht zur Disposition. Von Katja Maurer

Der systematische Einsatz von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg durch die Assad-Truppen, aber auch Rebellengruppen ist ein bitterer Fakt. Der Verweis darauf, dass es nicht bewiesen sei, ist hingegen ein zynisches Argument. Ein russisches Veto im UN-Sicherheitsrat blockiert den Einsatz der vorgesehenen UN-Mechanismen, die die sachkundige Überprüfung gewährleisten könnten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Russland ist der wichtigste Verbündete Assads.

Halabdscha im kollektiven Gedächtnis

Nun erheben Ärzte aus Afrin, der Stadt und Region, die gerade von türkischen und mit ihr verbündeten syrischen Rebellengruppen angegriffen wird, den Vorwurf, dass Patienten mit Verletzungen eingeliefert wurden, die auf den Einsatz von Chlorgas schließen lassen. Die üblichen Dementis, dieses Mal von türkischer Seite, können die Kurd_innen nicht beruhigen. Giftgas ist im kollektiven kurdischen Gedächtnis unwiederbringlich mit dem Einsatz dieser Waffen in Halabdscha 1988 verknüpft. 5000 Menschen starben nach dem 45-minütigen Bombardement durch die irakische Luftwaffe.

In diesem Ersten Golfkrieg, der 1980 als irakischer Angriffskrieg mit der Bombardierung mehrerer iranischer Städte begann, gab es mehrere solche Giftgaseinsätze der irakischen Armee, 1987 auch auf die iranische Grenzstadt Sardasht. Die USA, die den Irak gegen ihren Lieblingsfeind Iran unterstützen, ließen nach Halabdscha ihren Sprecher des Außenministers erklären, nicht der Irak, sondern der Iran sei für den Angriff verantwortlich gewesen. Sie verhinderten mit einem Veto im Sicherheitsrat die Untersuchung der Vorwürfe.

Am Ende aber war die Beweislage für dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit so erdrückend, dass auch die USA ihre Position ändern mussten und die Vorwürfe gegen den Iran zurücknahmen. Auch in Folge von Halabdscha und der irakischen "Anfal-Operation", der Ende der 1980er Jahre etwa 100.000 kurdische Jungen und Männer zum Opfer fielen, richteten die USA bei Beginn des Zweiten Golfkriegs 1991 eine No-Fly-Zone über dem kurdischen Nord-Irak ein.

Die eigentlichen Kriegsparteien waren militärisch und wirtschaftlich eigentlich bereits 1982 am Ende. Aber Waffenlieferungen aus aller Welt sorgten für dessen Fortdauer. Allein 50 internationale Firmen u.a. auch aus Deutschland, waren daran beteiligt, den Irak giftgasfähig zu machen. In Deutschland hatte dies trotzdem für die Firmen keine juristischen Folgen. Stattdessen wurde medico international damals verurteilt, weil es Antidot, also Medikamente, die als Gegenmittel eingesetzt werden können, nach Halabdscha lieferte. Denn auch das Antidot fällt unter das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Buhmann Iran

Der Rückblick auf diese historische Erfahrung ist in jeder Hinsicht lehrreich, wenn man auf die syrische Gemengelage schaut. Die Ähnlichkeiten fallen ins Auge. Auch der syrische Konflikt wäre längst zu Ende, wäre er nicht so lukrativ für die Rüstungsindustrie. Sein Ende wäre ebenfalls schon lange absehbar, wäre Syrien nicht das Schlachtfeld für einen Stellvertreterkrieg, der die Neuordnung der Region auf dem Rücken der Zivilbevölkerung aushandelt. Das ist ein großer Unterschied zum ersten Golfkrieg, der mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1990 seine Rolle als Stellvertreterkrieg verlor und damit auch zu Ende ging. Heute ist kein Ende absehbar.

Der syrische Konflikt wäre einhegbar, wenn man die unterschiedlichen Interessen der internationalen Akteure, soweit zur Kenntnis nehmen würde, dass sie zumindest vorgebracht werden können. Dazu würde dann aber auch gehören, dass der Iran nicht nur als der große Buhmann dargestellt würde, auf den sich viele einigen können, um eine künstliche Bipolarität herzustellen. Denn gerade mit Rückblick auf den Ersten Golfkrieg sei daran erinnert, dass der Iran in den letzten hundert Jahren eher Opfer als Täter von ausländischer Aggression war. Das sollte man wenigstens genauso in Rechnung stellen wie die besonderen Sicherheitsbedürfnisse Israels. Immerhin hat das Land eine problematische Sicherheitsdoktrin, die nicht auf Gleichgewicht, sondern auf eigene militärische Überlegenheit abzielt.

Neue Weltunordnung ohne UNO?

Dass die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens in einer multipolaren Welt mit kriegerischen Mitteln ausgetragen wird, zeigt, wie dringend nötig vor allen Dingen eine Neuordnung solcher internationaler Institutionen wie der UNO wäre. Sie wurde einst dafür gegründet, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern und solche Konflikte wie in Syrien mit friedlichen Mitteln einzuhegen. Das Desaster der gerade zu Ende gegangenen Münchener Sicherheitskonferenz, auf der fast alle, inklusive der deutschen Verteidigungsministerin von der Leyen mit Waffen geklirrt haben, zeigt erschreckend, wie wenig politische Ideen es dazu gibt. Der ungestrafte systematische Einsatz von Giftgas in Syrien ist das Menetekel dieser Weltunordnung. Ein Rückfall hinter das Völkerrecht, das aus den Verheerungen des Ersten Weltkriegs entstand und mit der Gründung der UNO nach dem Zweiten Weltkrieg weiter entwickelt wurde, kündigt sich an.

Die alten Supermächte, die diesen Status längst verloren haben, spielen dabei die Totengräber einer der letzten internationalen Institutionen, die diesem Wahnsinn Einhalt gebieten könnte: die UNO. Trump, indem er nicht zahlt und die UNO mit verbalen Entgleisungen bedenkt. Putin, indem er das Veto-Recht missbraucht. Dabei bräuchte es jetzt die Verwirklichung von Konzepten, die bereits Kofi Annan, der neun Jahre lang UN-Generalsekretär war, entwickelt hatte. Er wollte die UNO zu einer tragfähigen Institution der multipolaren Welt machen. Eine zentrale Voraussetzung dafür, so das Annan-Konzept, wäre die Abschaffung des Veto-Rechts gewesen.

Die Reformierung der UNO in eine tragfähige Institution der multipolaren Weltordnung müsste also ganz oben auf der Agenda der deutschen Außenpolitik stehen, genauso wie die Inkraftsetzung des Völkerrechts. Die Einschränkung, wenn nicht der gänzliche Stopp aller Rüstungsexporte wäre ein Beweis für den guten Willen einer neuen Regierung, die ihre Verantwortung für den Weltfrieden wahrnimmt. Um nichts Geringeres geht es nämlich gerade.

Veröffentlicht am 19. Februar 2018
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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