Medizinische Versorgung ohne kulturelle Übergriffe

Indigene Gesundheitspromotoren stärken die Autonomie der Waiãpi

Das Siedlungsgebiet der Waiãpi befindet sich im südöstlichen Regenwaldgebiet von Französisch-Guyana sowie in Abflußgebieten nördlich des Amazonas in den angrenzenden brasilianischen Bundesstaaten Amapá und Pará. Das Indianer-Volk zeichnet sich u.a. durch Nomadentum aus: Bei jedem Todesfall und grundsätzlich zweimal im Jahr wechseln die derzeit 49 Gruppen ihren Wohnort. Die Waiãpi zählen in Brasilien nur noch knapp tausend Menschen, die im Reservat des Bundesstaates Amapá ihrer traditionellen Wirtschafts- und Kulturweise in Isolation nachgehen können. Ihre Aufrechterhaltung ist dennoch fragil.

Angst vorm weißen Mann

Der Kontakt mit Weißen, der sich vor etwa 30 Jahren intensivierte, hat aufgrund mitgebrachter Krankheiten wie Grippe, Malaria, Tuberkulose, Hepatitis und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang geführt. Die Waiãpi gehören der Sprachgruppe der Tupí-Guaraní an, sie sprechen Tupí. Nur wenige können Portugiesisch, zumeist nicht fließend. Das Secretaria Especial de Saúde Indígena (SESAI), eine dem brasilianischen Gesundheitsministerium angegliederte Behörde, ist für Gesundheitsprogramme für die indigene Bevölkerung verantwortlich. Allerdings werden weiße Gesundheitsarbeiter, auch aus der näheren Umgebung, von den Waiãpi nicht in jedem Fall akzeptiert: Die Geschichte hat sie das Mißtrauen und die Angst vor dem Rassismus der Weißen gelehrt. Nur wenige Weiße erhalten Einlaß ins Reservat.

Echte Autonomie

medico unterstützt daher das Anliegen seiner Partnerorganisation „Instituto de Pesquisa e Formação Indígena“ (IEPÉ), die Indigenen in Amazonien im Allgemeinen und die Waiãpi im Besonderen kulturell und politisch zu stärken. Das IEPÉ ist Mitglied im Netzwerk „Rede de Cooperação Alternativa – Brasil“ (RCA-B), in dem zehn indigene und mit Indigenen arbeitende Organisationen aus Amazonien zusammengeschlossen sind. Konkret sollen die Waiãpi befähigt werden, ihr Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung einzuklagen, ihre Selbstorganisation zu stärken und in Basisgesundheitsbelangen von staatlichen Behörden unabhängiger zu werden.

Zu diesem Zweck sind spezielle Gesundheitskurse entwickelt worden. Die Maßnahme richtet sich primär an die 36 in Ausbildung befindlichen Gesundheitspromotoren der Waiãpi. Die Kurse zur Vermittlung theoretischer Kenntnisse, die 1998 und 2006 aufgelegt wurden, werden durch Praxisbegleitung flankiert. Insbesondere Gruppen, die weit außerhalb der zugänglichen Wasser- und Landwege leben, kommen dadurch leichter an medizinische Versorgung. Für althergebrachte Krankheiten und Unfälle bleiben weiterhin primär Schamanen und traditionelle Heiler zuständig. Nie zuvor hatten Indigene aus dem Amazonas die Chance, eine Ausbildung innerhalb ihrer eigenen Umgebung zu durchlaufen. Das Programm umfaßt neben den Gesundheitskursen Hilfestellungen bei der Formulierung und Verhandlung von Politikvorschlägen gegenüber öffentlichen Einrichtungen, Unterstützung in nachhaltiger Bodenbewirtschaftung, bei der Suche nach alternativen Einkommensquellen und der Kontrolle der Grenzen des Reservats sowie nicht zuletzt die Förderung der Wertschätzung und Stärkung der Kultur in Form von Dokumentation und Wiederbelebung oraler Weitergabe von Kultur- und technischen Kenntnissen.

Veröffentlicht am 09. Juni 2012

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