Nicaragua-Kanal

"Eine neue Form des Kolonialismus"

Vor kurzem traf sich der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega mit dem chinesischen Investor Wang Jing, der den Bau eines „Nicaragua-Kanals" von der Pazifik- zur Atlantik-Küste des Landes finanzieren soll. Danach verlautete die Sprecherin der Regierung und Ehefrau Ortegas: „Die Wege des Wohlstands und des Segens“ brächten Siege wie den Beginn des Kanalbaus, ein „Projekt zum Wohle des Planeten, der Menschheit und eines kleinen Landes“. Große Worte um ein Projekt, das in Nicaragua so umstritten ist wie selten zuvor eine Maßnahme.

Ein Interview mit der ehemaligen sandinistischen Gesundheitsministerin Nicaraguas, Dora María Tellez.  Sie arbeitet heute als Professorin für Geschichte in Managua und gehört zu den Gründerinnen der linksliberalen nicaraguanische Partei MRS (Movimiento de Renovación Sandinista, Bewegung der sandinistische Erneuerung).

medico: Abgesehen von der blumigen Sprache, was halten Sie von dem Projekt?

Dora María Tellez: Das Projekt des Kanalbaus und die damit verbundenen Gesetze überschreiten eine Grenze. Das vom nicaraguanischen Parlament ohne große Diskussion verabschiedete Gesetz 840 vergibt die Konzession für den Kanal und alle damit verbundenen Projekte an ausländische Investoren und schafft damit eine ganz neue Form von kolonialistischem Projekt. Die gesamte Kanalzone sowie je 10 km in nördlicher und südlicher Richtung unterliegen mit dem Gesetz den Regeln eines ausländischen Investors und den damit verbundenen Kommanditgesellschaften. So entsteht eine neue Form der Exteritorrialität, die selbst die Legislative betrifft. In diesem Sinne ist das Kanalprojekt eine absolute Grenzüberschreitung, was die Souveränität unseres Landes anbelangt.

Auch für die Menschen, die an der Route des Kanals leben, ist die Grenze überschritten. Das sind sehr besondere  Gegenden. Es handelt sich um das tiefe, bäuerliche Nicaragua. Hier werden durch das Projekt soziale Netze zerstört. Die Verarmung der betroffenen Bevölkerung ist absehbar. Seit September sind wöchentlich  abertausende Bauern auf der Straße und protestieren. Eine solche soziale Bewegung hat es Nicaragua seit Jahren nicht gegeben. Dabei gehen drei Gruppen auf die Straße. Anhänger der Sandinisten, insbesondere an der Pazifik-Küste. Menschen, die politisch nicht zuzuordnen sind. Und ehemalige Contras, die bereits Erfahrung mit Gewalt haben und durchaus wieder darauf zurückgreifen könnten.

Viele zweifeln, dass der Kanal überhaupt gebaut wird. Worum geht es eigentlich?

Bei dem Kanalprojekt geht es möglicherweise eher um eine Konzession für viele weitere Mega-Projekte. Es könnte gut sein, dass es am Ende keinen Kanal gibt, aber Touristenressorts, Tiefseehäfen, Eisenbahnen, Flughäfen.  Die angesehenen, auch zum Teil regierungsnahen Institute, die sich bei uns mit Umweltschutz beschäftigen, haben aus ökologischen Gründen massive Einwände gegen das Projekt erhoben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Ortega-Regierung mit der globalen Umweltbewegung anlegen wird. Der Kanal ist ein Vorwand, um andere Filetstücke zu verteilen. Denn die anderen Einkommensquellen der Regierung werden immer kleiner. Der Weiterverkauf des  venezolanischen Erdöls  bringt aufgrund des niedrigen Ölpreises nicht mehr so viele Einnahmen. Es mussten schon Sozialprogramme wie „hambre cero“ (Null Hunger) gekürzt werden.

Jede Woche gibt es Demonstrationen gegen den Kanal, aber die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür. Hat der Widerstand gegen das Großprojekt eine Chance?

Die Elite in Nicaragua glaubt an dieses Projekt als Entwicklungsmodell. Der Kanal ist eine echte Obsession. Aber die zehntausenden Menschen, die von dem Projekt direkt betroffen sind, fürchten um ihre nackte Existenz. Um die geplante Projekte zu verwirklichen, wird die Ortega-Regierung Menschen töten müssen. Die Chinesen werden in der Region niemals sicher sein. Schon jetzt gibt es 3000 Personen mit Waffen in verschiedenen politischen Konflikten. Und über die Nicaraguaner lässt sich sagen: Wer nichts sonst kann, der kann auf jeden Fall  schießen. Eine Zunahme an Gewalt in diesem Konflikt ist durchaus denkbar.

Die Proteste werfen sehr grundsätzliche Fragen an die Ortega – Regierung auf. Die Regierung beruft sich auf Sandino. Aber Sandino ist ein Symbol für den Kampf um die Souveränität Nicaraguas. Der Kanalbau stellt die Souveränität Nicaraguas in Frage.  Die Losungen der Demonstranten bringen das auf den Punkt. Sie bezeichnen Ortega als „Vaterlandsverkäufer“  und rufen  „Chinesen raus!“.

Sozialer Protest bewegt sich heute in einer anderen Matrix. Es ist ein Kampf um das Territorium. Das ist auch bei den anderen sozialen  Auseinandersetzungen in Nicaragua so. Zum  Beispiel die Auseinandersetzungen um die Goldmine in Rancho Grande bei Matagalpa,  bei der ebenfalls Tausende von Bauern in diesem Jahr gegen die Ausbeutung der Mine durch die kanadische Firma B2Gold demonstriert haben.  Der Kampf gegen den Kanal bündelt all diese Proteste. Ich halte das Projekt deshalb für einen großen politischen Irrtum Ortegas.

Das Interview führte Katja Maurer

Veröffentlicht am 04. Dezember 2014

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