Corona

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Wer entwickelt einen Impfstoff, wer produziert ihn, wer erhält ihn? Covid-19 hat alte Auseinandersetzungen neu entfacht.

Von Dr. Andreas Wulf

Die russische Regierung spielt auf volles Risiko. Der erste national zugelassene Impfstoff Sputnik 5 gegen das Corona Virus hat sofort heftige internationale Kritik geerntet, da keinerlei transparente Daten öffentlich gemacht wurden und die relevante Phase 3 der Entwicklung gerade erst angefangen hat. Niemand weiß, ob sich dieser „Sputnik Moment“ für Putin nicht in ein „Challenger Desaster“ verwandelt, wenn sich der Impfstoff als weniger wirksam oder gar als nebenwirkungsreich entpuppen sollte. Aber zugleich stehen schon Länder Schlange, die den Impfstoff testen und einsetzen wollen, der philippinische Präsident Duterte will ihn gleich als Erster persönlich testen. Wenn er bei ihm wirke, dann sei er gut fürs ganze Land. Auch er setzt auf eine nationale Lösung.

Dieser Impfstoff-Nationalismus ist ein Kontrapunkt zum kurzen „Frühling der Solidarität“, als am 4. Mai 2020 mit großer Fanfare die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Europäische Kommission zum gemeinsamen globalen Fundraising für den Kampf gegen den Coronavirus aufriefen. Beeindruckende 15,9 Milliarden Euro sind eingesammelt worden, fast die Hälfte hat das „Team Europa“ beigesteuert – die Europäischen Kommission, die EU-Mitgliedsländer und die Europäische Investitionsbank. Erinnerungswürdig war das Event auch deshalb, weil Emmanuel Macron und Angela Merkel einen Coronavirus-Impfstoff als „globales öffentliches Gut“ bestimmten. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass „Regierungen und globale Gesundheitsorganisationen im Kampf gegen das Coronavirus an einem Strang ziehen“.

Es klang, als würde Solidarität großgeschrieben. So hatte auch die WHO wenige Tage zuvor mit ihrem „Access to Covid-19 Tools (ACT) Accelerator“ eine ambitionierte Struktur mit den wichtigsten globalen Gesundheitspartnerschaften vorgestellt, in deren Rahmen die Impfstoff-, Medikamenten- und Diagnostikentwicklung ebenso wie ihre Beschaffung und Verteilung beschleunigt und koordiniert werden sollten. Damit soll auch verhindert werden, dass sich die Erfahrungen aus dem Jahr 2009 bei der H1N1-Grippe-Pandemie wiederholen: Nicht noch einmal sollte es zu einem Wettrennen beim Zugang zu dem Impfstoff kommen, bei dem sich die zahlungskräftigen Länder durchsetzen, während die ärmeren Länder von der WHO mit den „humanitären Resten“ versorgt werden.

Aus dieser scheinbaren globalen Allianz scherte schon früh die US-Regierung aus, indem sie öffentlichkeitswirksam ein nationales Impfstoffprogramm für die einheimischen Pharmaunternehmen anwarf. Die zehn Milliarden US-Dollar schwere „Operation Warp Speed“ soll spätestens bis zum Januar 2021 Hunderte Millionen Impfdosen entwickeln und produzieren, primär für den eigenen Bedarf, dann gerne auch für den Rest der Welt. Doch die USA sind nicht das einzige Land das zum ACT Accelerator auf Distanz geht. Weder die russische Regierung mit ihrem Sputnik 5 noch die chinesische, die ebenfalls einen baldigen Erfolg ihrer eigenen Impfstoffentwicklungen verspricht, sind der Accelerator Initiative der WHO bislang beigetreten. Auch Indien hält sich zurück, was umso folgenreicher ist, weil die dortige Impfstoffherstellung die aktuell wichtigste im Globalen Süden ist.

Die vollmundig beschworene globale Solidarität währte also nur kurz. Und mit jeder weiteren Ankündigung eines erfolgversprechenden Impfstoff-Kandidaten bröckelt die Fassade weiter. Denn immer klarer wird, dass auch die globalen Produktionskapazitäten begrenzt sind und sich möglicherweise nicht so schnell nach oben fahren lassen. So passiert genau das, was die WHO-Initiative verhindern will. Nicht nur die US-Regierung, auch die „Inklusive Impfstoff Allianz aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden“ hat ihre eigenen Deals mit Pharmaunternehmen um Abnahmegarantien und Liefermengen bei erfolgreichen Impfstoffkandidaten gemacht. Die aktuellen Verhandlungen mit Sanofi-GSK hat die EU-Kommission übernommen. Zwar bemühen Politiker*innen wie von der Leyen gerne Sätze wie den, dass „niemand sicher ist, bis alle sicher sind“. Wenn es aber darum geht, möglichst rasch aus der sozialen und wirtschaftlichen Krise herauszukommen, sind die eigenen Bürger*innen dann doch etwas näher als die Weltgemeinschaft.

Und so kommt auch die „COVAX Facility“, der Impfstoffbereich innerhalb des ACT Accelerators, der von der WHO zusammen mit der Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI) und der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) organisiert wird, kaum voran. Auf dem Weg zu einer globalen „Einkaufs- und Verteilungsgemeinschaft“ für wirksame Covid19-Impfstoffe sind nur wenige Fortschritte erzielt worden. Momentan konzentriert sich COVAX auf ein Portfolio von neun Impfstoff-Kandidaten aus verschiedenen Impfstoff-Klassen (DNA/mRNA, virale Vektoren, Proteine). Durch Vereinbarungen mit den forschenden Institutionen und Unternehmen, die dann die Impfstoffe in den USA, Europa, China und Australien herstellen, soll das Risiko minimiert werden, zum Schluss auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Zudem soll diese multinationale Zusammenarbeit bewirken, dass ein erfolgversprechendes Produkt schließlich günstiger zu haben ist, als wenn einzelne Länder alleine mit Hersteller_innen verhandeln. Die Erfahrungen des Globalen Funds bei der gepoolten Beschaffung von Aida-Medikamenten stehen hier Pate.

Als Zeichen der globalen Solidarität in der Covid 19-Krise sollen in der COVAX Facility die am wenigsten finanzkräftigen Länder mit Mitteln aus den globalen und nationalen Entwicklungsbudgets bei der Beschaffung des Impfstoffes unterstützt werden. Bislang fehlen hierfür allerdings noch verbindliche finanzielle Zusagen. Und unter den aktuell 44 Ländern, die eine mögliche Beteiligung an den Budgets zumindest signalisiert haben und sich öffentlich dazu bekennen, fehlen wichtige finanzstarke Länder mit eigenen Impfstoffproduktionskapazitäten – aus der EU etwa die Schwergewichte Frankreich, Italien, und Deutschland. Immerhin hat sich nun Ende August die Europäische Kommission aus der Deckung gewagt und verspricht 400 Mio. Euro vom „Team Europa“ für COVAX – gerade mal 2,5 % ihrer 16 Mrd. schweren Global Corona Response.

Dabei wären auch in der COVAX Facility nicht alle Länder gleich. Zwar sieht der Plan zur globalen Verteilung eines Impfstoffes in einem ersten Schritt eine zeitgleiche Versorgung von 3% der Bevölkerungen vor, die vor allem „unentbehrliche Schlüsselpersonen“ umfassen soll, also die Gesundheits-, Pflege- und andere Fachkräfte. Anschließend sollen in weiteren Tranchen 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerungen, hier ist vor allem an Risikogruppen wie ältere und chronisch Kranke gedacht, versorgt werden. „Selbstzahlenden Ländern“ wird allerdings bereits eine vorrangige Belieferung zugebilligt, während die auf Hilfsgelder angewiesenen Länder warten müssen, bis entsprechende Mengen produziert und bezahlt werden können. Auf dem Weg zu einer bevölkerungsweiten Versorgung vergrößern sich die Unterschiede in den Verfügbarkeiten immer weiter.

Unklar ist auch, ob GAVI tatsächlich die Kompetenzen hat, erfolgreich mit den Pharmaunternehmen zu verhandeln. Große Kritik gab und gibt es daran, dass im Vorstand der Impfallianz auch die Hersteller mit Sitz und Stimme vertreten sind. Erfahrungen aus den Preis- und Lieferverhandlungen zu den Pneumokokken- Impfstoffen – Flaggschiff-Projekt von GAVI – wecken Zweifel: Auch nach Jahren hat sich keine echte Preiskonkurrenz zwischen den wenigen Herstellern eingestellt, die Profite sind enorm.

Bei der COVAX Facility handelt es sich also ohnehin nur um ein Modell von „Solidarität light“. Doch selbst für dieses findet sich ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie keine hinreichende globale Unterstützung. Vielmehr verstärken sich die Konkurrenzen und gegenseitigen Vorwürfe. So klagen US-amerikanische und britische Regierungen russischen und chinesischen Impfstoff-Datenraub an. Für die europäischen Staaten mag es bequem sein, mit dem Finger auf den US-amerikanischen Präsidenten und seine „America first“-Politik zu zeigen. Sie wollen allerdings nicht daran erinnert werden, dass sie sich an ihre eigenen Selbstverpflichtungen nicht halten. Dabei ist damit zu rechnen, dass das egoistische Vorgehen im Kampf gegen die Pandemie längerfristige Lösungen auch für die technologisch fortgeschrittenen Staaten behindern. Denn die Produktions- und Lieferketten sind auch in der Impfstoffproduktion längst globalisiert – auch Staaten wie die USA sind auf sichere Handels- und Lieferverträge angewiesen. Und selbst wenn ein Land sich selbst schützen könnte, bleibt es doch auf die Welt mit ihren Absatzmärkten und Lieferant_innen angewiesen. Gäbe es eine „Insel der Seligen“ – unter der langdauernden globalen Rezession einer fortgesetzten Pandemie würde auch sie leiden.

Anfang August hat WHO-Generaldirektor Dr. Tedros noch einmal betont, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach keine „silver bullet“ geben wird, also einen Impfstoff, der bei allen Menschen zu hundert Prozent wirksam ist. Auch deshalb läge es im „aufgeklärten Selbstinteresse“ aller Akteur_innen, konsequent auf Kooperation zu setzen. Dass sich die Bundesregierung weder bei der COVAX-Initiative noch beim Covid19 Technology Patent Pool zum globalen Nutzen des Gesundheitswissens sichtbar engagiert, zeigt, wie fragwürdig die Rolle als selbsternannter „Global Health Champion“ ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2020. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Veröffentlicht am 16. September 2020
Andreas Wulf

Dr. Andreas Wulf

Andreas Wulf ist Arzt und seit 1998 bei medico international. Er ist Berlin-Repräsentant und arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.


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