In Berlin werden Kulturprogramme gestrichen, in Sachsen Kontrollbehörden auf Träger angesetzt, auf Bundesebene wird die Demokratieförderung infrage gestellt. Die CDU/CSU lässt über parlamentarische Anfragen zivilgesellschaftliche Organisationen durchleuchten. Der Raum des Sagbaren wird verengt, staatliche Förderung verlangt Konformität statt kritischer Vielfalt. Was die extreme Rechte seit Jahren fordert – Kultur, Zivilgesellschaft und Bildungsarbeit zu neutralisieren und linke, emanzipatorische Akteur:innen zu verdrängen – ist im politischen Mainstream angekommen.
Damit geht eine Ära zu Ende, in der liberal-demokratische Staaten auch kritische Akteure der Zivilgesellschaft aktiv befördert haben: indirekt über steuerlich begünstigtes Spenden für gemeinnützige Vereine, direkt durch Förderprogramme und Subventionen. Natürlich war die Vergabe oder Verweigerung von Ressourcen schon immer ein Steuerungsinstrument des Staates gegenüber der Zivilgesellschaft. Regierungen haben dem sogenannten vorpolitischen Raum – Zivilgesellschaft, Medien, auch Wirtschaft – immer Grenzen gesetzt. Doch die liberal-demokratische Politik zeichnete sich eben dadurch aus, diesen vorpolitischen Raum nicht vollständig zu vereinnahmen, sondern Unabhängigkeit, Pluralität und Freiheit zuzulassen.
Abwicklung der Hilfe
Das galt auch im Gobalen: Entwicklungshilfe wurde häufig eingesetzt, um auch im globalen Süden zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen oder zu fördern. Allzu oft wurde diese Politik als Soft Power eingesetzt, als ein Instrument zur Stabilisierung oder Umgestaltung von Machtverhältnissen, doch die Förderungen ermöglichten auch Handlungsspielräume für progressive Ansätze. Damit ist nun weitgehend Schluss: In den USA wurde die Entwicklungshilfe-Agentur USAID – jahrzehntelang eine Säule US-amerikanischer Soft Power – abgewickelt, mit dramatischen Folgen: In Syrien schließen Kliniken, in Mosambik bleiben Medikamentenlieferungen aus, Menschenrechtsprojekte in Afghanistan stehen vor dem Aus und weltweit können Impfkampagnen nicht weitergeführt werden.
Auch in Deutschland ist die Entwicklungshilfe Angriffen ausgesetzt. Immer wieder wird über die Abschaffung des zuständigen Ministeriums nachgedacht, stattdessen wird dann der Etat gekürzt. Dank rechtem Framing wird Entwicklungszusammenarbeit immer weniger mit nachhaltiger Entwicklung im Sinne der Menschenrechte oder dem Kampf gegen Armut und Hunger verbunden. Zuletzt haben die zuständigen Politiker:innen Hilfe immer offener als geopolitisches Instrument benannt. Von globaler Verantwortung im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele ist keine Rede mehr.
Ausnahmezustand, Chaos & Shit
Angriffe auf Kulturinstitutionen, auf die Zivilgesellschaft und auf die Hilfe erscheinen oft unkoordiniert, folgen aber einer politischen Theorie des Autoritären, in der die Macht des Stärkeren Vorrang vor dem Recht hat. Das theoretische Konzept dazu geht auf den NS-Staatsrechtler Carl Schmitt zurück, der als zentrales Element seiner Staatstheorie den Ausnahmezustand beschreibt, charakterisiert als Raum, in dem ein Souverän ohne Begrenzung seine Interessen durchsetzt.
Der Rechtswissenschaftler Dieter Conrad beschrieb, wie rechte und autoritäre Kräfte mittels staatlicher Institutionen und einem charismatischen Führer gezielt „Chaos von oben“ erzeugen können. Steve Bannon, einstiger Chefideologe und Strategieberater von Donald Trump, umschrieb das mir „Flooding the zone with shit.“ Das bewusste Erzeugen von chaotischen Zuständen soll die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen destabilisieren, um eine autoritäre Ordnung durchzusetzen. Das lässt sich unter der Trump-Administration in Echtzeit verfolgen: Durch die Flut an Verordnungen, Tweets und Maßnahmen wird der vorpolitische Raum aufgerieben und neutralisiert. Plötzlich sind liberal-demokratische Prinzipien ohne jegliche Geltungskraft, da die Akteure, die sie durchsetzen sollen, fehlen.
Schmitts Theorie geht aber weiter: Es darf kein Recht oder Gesetz über dem Souverän geben. Denn gäbe es solch ein Recht oder Gesetz, wäre der Souverän nicht länger souverän. Wer jetzt nur an Donald Trump, Victor Orbán oder Benjamin Netanjahu denkt, sollte sich anschauen, wie die Bundesregierung zuletzt unter dem Vorwand eines angeblichen Notstands ein Gerichtsurteil anzweifelte, das pauschale Zurückweisungen an den deutschen Grenzen eindeutig für rechtswidrig erklärt hat.
Rechtsstaatliche Prinzipien werden so umgekehrt: Das Recht als Schutz gegenüber dem Souverän und als Anspruch, zum Beispiel auf Hilfe und soziale Teilhabe, wird abgeschafft. Es bleibt die Kehrseite: Das Recht als Maßnahme, als Kontrolle und Disziplinierung. Das gilt auf globaler Ebene auch für die humanitäre Hilfe, die nicht mehr dort geleistet wird, wo die Not am größten ist, sondern dort, wo Interessen gesichert oder durchgesetzt werden sollen. Hilfe wird zum Investment.
Politisches Spenden
Angesichts dieser durchaus dramatischen Entwicklungen stellt sich die Frage neu, welchen Unterschied Spenden noch machen können. Den Bedarf an Hilfe decken konnten sie nie und die Summen, die infolge des Rückzugs der großen Geberländer wegbrechen, sind auf dem privaten Spendenmarkt schlicht nicht vorhanden. Das ist das eine. Das andere ist, dass weder das Recht auf Hilfe, noch die globale Verantwortung der reichen Länder durch Spenden aus der Zivilgesellschaft ersetzt werden dürfen: Es geht um die Durchsetzung von Rechten und Reparationen für begangenes Unrecht, nicht um Wohltätigkeit und Gnade.
Aber keine Spende ist auch keine Lösung, kann sie doch, richtig eingesetzt, einen echten Unterschied machen. Aber die Spende bleibt ein Skandal: Weil sie fortan notwendig ist, wo der Staat als Souverän versagt. Weil sie Hilfe leisten muss, wo politische Verantwortung verweigert wird. Es besteht die Gefahr, dass die Spende zur Ersatzhandlung wird; dass sie Politik entlastet, anstatt sie unter Druck zu setzen; dass sie zur guten Geste wird, anstatt anzuklagen.
Wie sich das verhindern lässt? Indem die Spende so vergeben wird, dass sie dabei hilft, die Verhältnisse, die Anlass zur Spende gegeben haben, zu überwinden. Indem sie also nicht ausschließlich als mildtätige Handlung verstanden wird, sondern auch als politischer Akt des Einspruchs gegenüber einer Welt, die durch Spendengelder geleistete Hilfe notwendig macht. Indem sie nicht nur als empathische Verbundenheit gegenüber Unbekannten, sondern auch als Ausdruck der Wut verstanden wird über die immer häufigere Verweigerung des Rechts auf Hilfe. Nur so verstanden stellt die Spende nicht nur eine Linderung von Leid in Aussicht.
Die Herausforderung unserer Zeit besteht nun darin, sich – weder als spendensammelnde Organisation noch als spendende Person – vom autoritären Chaos vereinnahmen zu lassen, sondern die Spende als Ressource zur gesellschaftlichen Veränderung im Sinne von Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu begreifen: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“
Als Hilfs- und Menschenrechtsorganisation umreißt das unseren Auftrag, seit über 50 Jahren. Du kannst uns und unsere Partnerorganisationen dabei unterstützen: Mit einer Spende unter dem Spendenstichwort "wo es am nötigsten ist" oder dem Abschluss einer medico-Fördermitgliedschaft.