Chile

Sieg der extremen Rechten

18.12.2025   Lesezeit: 8 min  
#autoritarismus  #demokratie 

Eine Analyse des fatalen Wahlerfolgs von José Antonio Kast.

Von Pierina Ferretti

Sechs Jahre sind seit Oktober 2019 vergangen – seit dem Aufstand demokratischer und progressiver Kräften in Chile und dem Versuch die von der Militärdiktatur geerbte Verfassung abzuschaffen und damit eines der frühesten und tiefgreifendsten neoliberalen Experimente der Welt zu beenden.

In der Hitze jener Tage und angesichts der Wahlsiege, die die Linke bis September 2022 – als der Verfassungsentwurf von einer großen Mehrheit des Landes abgelehnt wurde – errang, kam niemand auf die Idee, dass José Antonio Kast, der wichtigste Führer der chilenischen extremen Rechten, einmal mit überwältigender Mehrheit zum Präsident der Republik gewählt werden könnte. Genau das ist jedoch eingetreten. Die Stichwahl am Sonntag, dem 14. Dezember, bei der der Rechtsextreme Kast gegen die Kommunistin Jeannette Jara antrat, endete so, wie es alle Umfragen vorhergesagt hatten: mit einem großen Vorsprung für ihn.

Um es kurz zu fassen: Der nächste Präsident Chiles ist ein Vertreter der globalen Ultrarechten. Gleichzeitig ist er auch ein Vertreter des Pinochetismus alter Schule. Diese Situation ist beispiellos. Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990 hat die Rechte in Chile nur zweimal regiert. In beiden Fällen hatte Sebastián Piñera das Präsidentenamt inne. Piñera vertrat innerhalb des rechten Spektrums eine sehr eigene Position: Als erfolgreicher Unternehmer, der sein Vermögen während der Diktatur angehäuft hatte, stimmte er 1988 in der Volksabstimmung – bei der Pinochet um die Verlängerung seines Regimes um weitere acht Jahre kämpfte – für die Rückkehr zur Demokratie. Diese Geste prägte seine politische Laufbahn und machte ihn zu einer unbequemen Figur für die Pinochet-Rechte, die ihm diese Haltung nie verziehen hat.

Für viele Analyst:innen war es gerade die Distanz, die Piñera zum Regime von Augusto Pinochet hielt sowie seine ausdrückliche Verurteilung der schweren Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur, die es ihm ermöglichten, sich dem Land als Demokrat zu präsentieren. Nur so erlangte er genügend Unterstützung, um 2010 – zwanzig Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie – und dann erneut 2018 die Wahlen zu gewinnen. In diesen Jahren war noch undenkbar, dass ein Anhänger Pinochets eine Mehrheit erlangen könnte.

Familiäre Verbindungen mit der Diktatur

José Antonio Kast hingegen ist ein Vertreter des reinen und harten Pinochetismus. Obwohl er während dieses Wahlkampfs seine Vergangenheit als Anhänger des Regimes so weit wie möglich verschleierte, sind deren Spuren zahlreich und bekannt. Bis vor wenigen Jahren beispielsweise bekundete er jedes Jahr am 11. September öffentlich seine Anerkennung für den Staatsstreich, der 1973 an diesem Tag Präsident Salvador Allende stürzte. Kast dankte Pinochet dafür, dass er das Land von der „kommunistischen Diktatur“ befreit hätte, die sich unter der Regierung der Unidad Popular etabliert habe. Ebenso bekundete er wiederholt seine Bereitschaft, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Militärs zu begnadigen, darunter Miguel Krassnoff, einen General der Armee, der für die von ihm begangenen grausamen Verbrechen zu einer Gesamtstrafe von mehr als tausend Jahren verurteilt wurde. 

Neben seiner persönlichen Beziehung zum Pinochet-Regime war auch José Antonio Kasts Familie eng mit der Diktatur verbunden. Sein älterer Bruder Miguel war Minister für Planung, Arbeitsminister und Präsident der Zentralbank. Sein Vater Michael und ein weiterer Bruder wurden beschuldigt, Mittel für die Unterdrückung und das Verschwinden von Arbeitern in Paine bereitgestellt zu haben, einer ländlichen Gegend, in der sich die Familie Kast niedergelassen und wo sie ihr Vermögen angehäuft hat. 

Zudem war Michael Kast, der 1950 aus Deutschland nach Chile kam, Mitglied der NSDAP, hatte im Zweiten Weltkrieg für die Wehrmacht gekämpft und wanderte schließlich im Rahmen einer Mission des Roten Kreuzes nach Argentinien und dann nach Chile aus. Diese Nazi-Vergangenheit sowie seine mögliche Komplizenschaft bei Verbrechen während der Pinochet-Diktatur wurden von José Antonio Kast stets zurückgewiesen.

Teil der internationalen extremen Rechten

José Antonio Kast begann seine eigene politische Karriere zunächst als Stadtrat der Gemeinde Paine und später als Abgeordneter der rechten Partei Unión Demócrata Independiente, die von Jaime Guzmán, dem Anwalt und Autor der Verfassung der Diktatur, gegründet wurde. Während seiner sechzehnjährigen parlamentarischen Tätigkeit zeichnete sich Kast durch seine aktive Ablehnung von Notfallverhütung, jedweder Form der Abtreibung, Scheidung, dem Gesetz zur Geschlechtsidentität, der gleichgeschlechtlichen Ehe und generell allen Fortschritten im Bereich der sexuellen Rechte aus. 

Das Jahr 2016 markiert einen Wendepunkt einer bis dahin eher mittelmäßigen politischen Laufbahn. Nach zwei erfolglosen Versuchen, den Vorsitz der rechtskonservativen UDI zu übernehmen, und dem Vorwurf an seine Partei, ihre Grundwerte aufgegeben zu haben, trat Kast zurück, um seine eigene Partei zu gründen mit dem Ziel, das Präsidentenamt zu erlangen und seine radikal konservative Agenda voranzutreiben. 2017 trat er erstmals als Präsidentschaftskandidat an, erhielt aber nur 8 Prozent der Stimmen. Niemand hätte damals gedacht, dass er weniger als ein Jahrzehnt später Präsident werden würde.

Von diesem Moment an widmete sich Kast ausschließlich der Pflege seines Eignungsprofils als Präsident: Er bereiste das Land, stärkte seine Partei, mischte sich ständig in die öffentliche Debatte ein und knüpfte enge Beziehungen zur globalen extremen Rechten. Zwischen 2022 und 2024 war er Vorsitzender des Political Network for Values, einer der wichtigsten Organisationen der internationalen konservativen Rechten, die Politiker aus verschiedenen Ländern mit starker rechtskonservativer Präsenz wie Ungarn, Brasilien und den Vereinigten Staaten zusammenbringt. 

Auf dieser Grundlage ging Kast in die Wahlen 2021 und sorgte für eine erste große Überraschung. In einem Land, das noch immer von sozialen Unruhen erschüttert war und dessen Verfassungskonvent nur wenige Monate zuvor von der Linken dominiert und gewählt wurde, gewann er die erste Runde der Präsidentschaftswahlen und übertraf sowohl den Kandidaten der traditionellen Rechten als auch den der Linken, Gabriel Boric, der den zweiten Platz belegt.

Im Rahmen dieser Kampagne wurden Kasts Verbindungen zum chilenisch-deutschen Unternehmer Sven von Storch bekannt, der als Vermittler zwischen Kast und Jair Bolsonaro fungierte, dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten, der heute wegen eines Putschversuchs in Haft ist. Von Storch ist außerdem Ehemann der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, was die Verbindung zur deutschen extremen Rechten offenbart. 

Kasts Niederlage gegen Gabriel Boric in der Stichwahl 2021 hielt ihn nicht auf. Ab März 2022 wurde er zu einem der wichtigsten Gegner der Regierung, ihrer Reformen und des Verfassungsprozesses, den er besonders hart attackierte. Kast wurde zu einem der Anführer der Kampagne gegen die neue Verfassung und schlug aus deren Ablehnung im Volksentscheid politisch Profit. Im folgenden Jahr erzielte seine Partei einen Erdrutschsieg bei der Wahl des neuen Verfassungsrats, eines Gremiums, das einen zweiten – konservativen und neoliberalen – Verfassungsvorschlag ausarbeitete, der im Dezember 2023 jedoch ebenfalls mehrheitlich per Volksentscheid abgelehnt wurde.

Vorbild Bukele

Trotz dieser Niederlage nutzte Kast die komfortable Position in der Opposition und das ungünstige soziale Klima, das den Beginn und die Entwicklung der Regierung von Präsident Boric prägte: die sozioökonomischen Folgen der Pandemie, der Inflationsanstieg infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine, zwei gescheiterte Verfassungsprozesse, Migrationsbewegungen, die die institutionellen Kapazitäten überforderte, und eine rasante Veränderung der Kriminalitätsmuster mit einer Zunahme von Tötungsdelikten mit Schusswaffen und dem Aufkommen von Praktiken des organisierten Verbrechens – Entführungen, Auftragsmorde, Folter, Enthauptungen –, die Angst, soziale Verwerfungen und eine Ablehnung der Regierung beförderten.

Kast verfeinerte seine Strategie, sich als wichtigster Gegner des Präsidenten zu etablieren, indem er eine harte Linie gegenüber der Kriminalität versprach – angelehnt an das Regime von Nayib Bukele in El Salvador – und eine aggressive Agenda gegen die Migration mit Massenausweisungen und der Kriminalisierung irregulärer Migration. Er präsentierte sich als der Wandel, den Chile angeblich brauchte, um eine Regierung zu ersetzen, die von vielen als unfähig angesehen wurde, um Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen. 

Geschickt verbarg Kast seine pinochetistische Vergangenheit und seine konservative Werteagenda und konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Themen Sicherheit, Migration und Angriffe auf die Regierung. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Strategie erfolgreich war.

Argentinische Anleihen

Am vergangenen Sonntag gewann José Antonio Kast die Präsidentschaftswahlen mit 58 Prozent der Stimmen. Er gewann in allen Regionen des Landes und in 90 Prozent der Gemeinden und erzielte damit das beste Ergebnis der Rechten in der Geschichte Chiles. Mit dieser Unterstützung wird seine Regierung in einer Gesellschaft, in der Angst die Bereitschaft fördert, Freiheiten aufzugeben und Menschenrechtsverletzungen gegen als gefährlich eingestufte Bevölkerungsgruppen zu tolerieren, Maßnahmen sozialer Kontrolle mit hoher Legitimität umsetzen können.

In wirtschaftlicher Hinsicht hat die neue Regierung Steuersenkungen in Höhe von 6 Milliarden Dollar, einen Abbau des Staates, Steuersenkungen für Großunternehmen und eine Deregulierung im Umweltbereich angekündigt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der derzeitige stellvertretende Wirtschaftsminister von Javier Milei, der chilenisch-argentinische José Luis Daza, Minister unter Kast wird – mit dem Auftrag, in Chile dieselbe „Kettensäge” anzusetzen, die in Argentinien zu einer umfassenden Zerstörung der wirtschaftlichen Produktion und des sozialen Gefüges geführt hat.

Niederlage der Linken

Die Kehrseite des deutlichen Sieges von Kast ist die schwere Niederlage der Linken. Jeannette Jara erreichte nur 42 Prozent der Stimmen, sechzehn Prozentpunkte weniger als Kast. 

Dieses Ergebnis macht deutlich, dass die unteren und mittleren sozialen Schichten den Kandidaten der extremen Rechten massiv unterstützt haben. Diese Niederlage erfordert eine weitreichende Reflexion. Auch wenn man unmittelbar Fehler und Grenzen der Regierung Boric als Ursache identifizieren kann, ist die Schwächung der Verbindung zwischen der Linken und den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten ein langjähriger Prozess, der umgekehrt werden muss, damit die Linke wieder eine mehrheitliche, tragfähige politische Alternative sein kann.

In den kommenden Jahren muss die Linke gleichzeitig die Aufgabe übernehmen, Opposition zur Regierung Kast zu sein – indem sie Rückschritte bei sozialen Rechten, Freiheiten und Menschenrechten verhindert – und ein politisches Projekt neu zu formulieren, das in der Lage ist, die Sehnsüchte nach einem besseren Leben zu erfüllen, die im chilenischen Volk weiterhin lebendig sind. Sonst könnte sich der Sieg der extremen Rechten verstetigen und einen Zyklus einleiten, der von den konservativsten und reaktionärsten Kräften angeführt wird, die in Chile und weltweit entstanden sind. Es ist die Aufgabe der Linken, dies zu verhindern. 

Pierina Ferretti

Pierina Ferretti ist eine chilenische Soziologin. Sie veröffentlicht regelmäßig Essays und Analysen zu aktuellen politischen Themen und ist Mitglied der Stiftung «Nodo XXI», ein Forum für eine antineoliberale, feministische und demokratische Linke. 


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