Polen

Retten als Verbrechen

27.05.25   Lesezeit: 3 min  
#fonds für bewegungsfreiheit  #migration 

An der polnisch-belarussischen Grenze werden nicht nur Geflüchtete kriminalisiert, sondern auch diejenigen, die ihnen Hilfe leisten.

Von Katarzyna Czarnota

Seit 2021 hat Polen Maßnahmen ergriffen, die nicht nur Migrant:innen ins Visier nehmen, sondern auch diejenigen kriminalisieren, die ihnen helfen. Zivilgesellschaftliche Akteure, die grundlegende humanitäre Hilfe wie Lebensmittel und Wasser bereitstellen oder Rettungsmaßnahmen aus dem Białowieża-Urwald organisieren, werden eingeschüchtert, strafrechtlich verfolgt und Überwachung ausgesetzt. Das Recht wird instrumentalisiert: Es wird nicht zur Bekämpfung von Schleuserstrukturen, sondern zur Neutralisierung derjenigen eingesetzt, die lebensrettende Hilfe leisten. Denn es sind freiwillige Aktivist:innen, die oft als Einzige in den entlegenen Gebieten Hilfe leisten. Unter dem Deckmantel der Migrationskontrolle wird das humanitäre Feld so zu einem Bereich des rechtlichen Ausnahmezustands.

Polen liegt damit ganz auf EU-Linie, denn diese Art der Kriminalisierung wird durch die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Änderungen an der "Beihilferichtlinie zur Bekämpfung der unerlaubten Einreise, Durchreise und des unerlaubten Aufenthalts" noch verschärft; die rechtliche Unterscheidung zwischen Schleusung und Solidarität/Hilfe droht ausgehoben zu werden. Die Richtlinie erweitert den Umfang strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei Grenzübertritten auch auf spontane, nicht gewinnorientierte Hilfe. Diese rechtliche Unklarheit führt zu einem „chilling effect“ – einer Abschreckung von humanitärer Hilfe aus Angst, juristisch verfolgt zu werden – was wiederum die Vernachlässigung und Unterversorgung fliehender Menschen verstärken wird.

Die Kriminalisierung von Hilfe untergräbt nicht nur die Rechte von Migrant:innen, sondern auch die Grundprinzipien der Zivilgesellschaft. Sie festigt das Monopol des Staates, Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen, gleichzeitig delegitimiert es zivile Aufklärungsarbeit und stärkt das Regime der Unsichtbarkeit.

Hajnówka Five

Der Fall der „Hajnówka Five“ (H5) ist das aktuellste Beispiel für die Kriminalisierung humanitärer Hilfe an der polnisch-weißrussischen Grenze. Im März 2022 wurden vier Freiwillige von polnischen Grenzbeamten festgenommen, als sie einer Familie halfen, aus dem Białowieża-Wald in ein nahes gelegenes Dorf zu gelangen. Später wurde eine fünfte Person in die Anklage aufgenommen. Sie stehen nun in der ostpolnischen Kleinstadt Hajnówka vor Gericht. Die Anklagepunkte, die sich auf Artikel 264a des polnischen Strafgesetzbuches stützen, lauten „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt in Polen“, obwohl weder ein materieller Gewinn noch eine Schleusungsabsicht vorlag.

Die Vorgehensweise der polnischen Staatsanwaltschaft verwischt die Grenze zwischen Schmuggel und Hilfe und schafft besagten „chilling effect“, der andere wiederum davon abhalten soll, Hilfe zu leisten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden benutzt, um humanitäre Hilfe zu unterdrücken. Der Fall unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer klaren rechtlichen Unterscheidung zwischen humanitärer Hilfe und Solidarität einerseits und kriminellen Handlungen andererseits, um sicherzustellen, dass diejenigen, die Schutzbedürftigen helfen, nicht strafrechtlich verfolgt werden.

„Wenn es ein Verbrechen ist, jemandem das Leben zu retten, wie würden wir dann eine Handlung bezeichnen, die zum Tod einer Person führt?“, fragten die Angeklagten der H5. Sie erhielten während der bisherigen Verhandlungstage keine Antwort vom Richter. Bislang hat die Staatsanwaltschaft alle Ermittlungen zu Todesfällen von Migrant:innen an der Grenze mit der Begründung eingestellt, dass die Todesursache rein biologischer Natur gewesen sei – Unterkühlung oder Ertrinken. Diese strukturelle Leugnung von Verantwortung und Rechenschaftspflicht steht im Zusammenhang mit der absichtlichen Nichtdokumentation von Pushbacks seitens polnischer Grenzbeamter. All dies verstärkt den Kreislauf der Unsichtbarkeit und Vernachlässigung an der polnisch-weißrussischen Grenze immer weiter.

Kamila von den H5, betont, dass sich niemand einschüchtern lassen sollte: „Helfen ist unsere Pflicht, und niemand von uns sollte Angst vor Menschen in Not haben. Ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Ich bin stolz auf mich und auf alle, die helfen. Wir haben geholfen, wir helfen und wir werden weiter helfen.“ In einem Umfeld, in dem humanitäre Helfer:innen und die Zivilgesellschaft als Feinde dargestellt werden, wird Solidarität sowohl zu einem politischen Akt als auch zu einer forensischen Intervention – zu einer verkörperten Weigerung, sich an der Logik des Zurücklassens zu beteiligen.

Die medico-Partner:innen des Szpila-Kollektivs unterstützen Menschen, die wegen der Unterstützung von Menschen auf der Flucht Repressalien ausgesetzt sind. Sie betonen, dass Solidarität kein Verbrechen ist und fordern, dass das Rechtssystem diejenigen schützen und nicht bestrafen muss, die sich in Krisensituationen für die Wahrung der Menschenwürde einsetzen.

Katarzyna Czarnota

Katarzyna Czarnota arbeitet bei der Helsinki Foundation for Human Rights, die Teil des Grupa Granica-Netzwerks ist.


Jetzt spenden!