Bill Gates und die WHO

Nur ein Symptom

Die Gates-Stiftung ist nicht Ursache der Probleme der globalen Gesundheitspolitik und der WHO. Mit ihrem Verständnis von Wohltätigkeit trägt sie dennoch dazu bei.

Von Dr. Andreas Wulf

Bei den wöchentlichen Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronaviruspandemie, die die deutsche Öffentlichkeit und die Medien seit ein paar Wochen beschäftigen, tauchten neben bekannten und weniger bekannten Verschwörungsmythen auch Behauptungen über die wohl namhafteste philanthropische Stiftung auf – die »Bill and Melinda Gates Foundation« (BMGF).

William »Bill« Gates wolle uns alle zwangsimpfen und dabei gleich einen Nanochip implantieren, um uns noch besser kontrollieren zu können, war dort unter anderem zu hören. Solche Gerüchte verbinden gleich zwei große Themen der auf den »Hygienedemos« Versammelten auf überaus wirksame Weise: die Impfkritik, die zwar weiterhin nur von einer verschwindend kleinen Minderheit in der deutschen Bevölkerung geteilt, die aber medial erfolgreich präsentiert wird, und die Befürchtungen, es entstehe ein allgegenwärtiger Überwachungsstaat, der mit allen Mitteln (Handydaten, Drohnen, Mikrochips) seine Bürger zu kontrollieren versuche. Und wie jeder erfolgreiche Verschwörungsmythos setzt dieser an einer ernstzunehmenden Kritik an, um diese dann in eine wahnhafte Verschwörung zu verzerren (im Gegensatz zu den völlig erfundenen Mythen wie etwa den von außerirdischen »Echsenmenschen«, die angeblich unsere politische und wirtschaftliche Elite unterwandert hätten).

Kritik an der BMGF ist nicht neu, und sie ist mehr als berechtigt. Sie gilt aus gutem Grund seit Beginn der 2000er Jahre als der größte Sponsor für globale Gesundheitsinitiativen und Institutionen, am prominentesten darunter die globale Impfallianz »Global Alliance for Vaccines and Immunisation« (GAVI) und das Polio-Ausrottungsprogramm der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die erhebliche Mittel von der BMGF erhalten. In den letzten Jahren wurde die Gates-Stiftung zum zweitgrößten Geber der WHO hinter den USA. Und mit dem von Donald Trump nun endgültig verkündeten Rückzug aus der Finanzierung der UN-Organisation würde sie sogar zum größten Geber aufsteigen. Da stellt sich zu Recht die Frage nach ihrem Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen und nach der Unabhängigkeit der WHO. Denn besonders die Finanzierungslage der Weltgesundheitsorganisation ist mehr als prekär.

Interessenkonflikte der WHO

Tatsächlich steht die Finanzierung der WHO – eine imposante Organisation mit mehr als 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 150 Länderbüros, sechs Regionalbüros auf vier Kontinenten, dem Hauptquartier in Genf und sechs offiziellen Sprachen – auf tönernen Füßen. Ihr Zwei-Jahres-Budget 2020/21 ist aktuell mit etwas mehr als 5,8 Milliarden US-Dollar inklusive erwarteten Notfallmaßnahmen kaum größer als das des Genfer Universitätshospitals.[1]

Besonders dramatisch ist, dass die regelmäßigen Mitgliedsbeiträge der 191 Staaten, die die finanzielle Selbständigkeit und Unabhängigkeit sichern sollen, nur noch 20 Prozent des Budgets ausmachen, davon sind mehr als Dreiviertel thematisch und an konkrete Projekte gebundene Mittel. Denn die Mitgliedsbeiträge sind schon seit den 90er Jahren nicht mehr gestiegen, hier macht sich vor allem der Einfluss der USA bemerkbar, die aktiv gegen eine regelmäßige Erhöhung der Beiträge votierten, und die statt dessen mit großen freiwilligen Beiträgen gezielt einzelne Arbeitsprogramme fördern. Darüber hinaus haben auch die anderen großen Mitgliedstaaten des »globalen Nordens« – Großbritannien, die EU-Länder, Kanada, Japan und die skandinavischen Länder, und besonders in den letzten Jahren zunehmend Deutschland – als relevante Geldgeber großen Einfluss.

Formal bestimmen in der WHO alle 194 Mitgliedstaaten gleichberechtigt mit ihren Resolutionen und Appellen in der jährlichen Vollversammlung und dem rotierend besetzten 34köpfigen Exekutivrat. Auch der Arbeitsplan und das Budget wird so von den Mitgliedern festgelegt. Aber im Anschluss muss die Organisation sehen, wie sie die nicht festgelegten 80 Prozent des Budgets zusammenbekommt.

Neben den traditionellen »Geberländern« der OECD kommt das Geld von einer Vielzahl externer Finanziers, beispielsweise über Öffentlich-private Partnerschaften (Public Private Partnerships), von der Weltbank oder privaten Stiftungen, die oft mehr als die Hälfte der »freiwilligen Beiträge« im Budget zusteuern und so ihren Einfluss auf die WHO vergrößern. Seit Jahren ist dabei die Bill and Melinda Gates Foundation die weltweit größte Privatstiftung, die die WHO mitfinanziert.

Refeudalisierung der Gesundheit

Der große Einfluss des Ehepaars Gates (seit einigen Jahren noch ergänzt um den US-amerikanischen Investor Warren Buffett, der 30 Milliarden Dollar zum Stiftungsvermögen der BMGF beigesteuert hat) wird auch in vielen symbolischen Momenten sichtbar und illustriert, wie groß die Bereitschaft geworden ist, dem »Selfmade Business Man« auch Kenntnisse und Entscheidungen über hochkomplexe soziale Systeme wie das der Gesundheit zuzutrauen.

Regelmäßig werden Bill und Melinda Gates von den Empfängerinnen und Empfängern ihrer Zuwendungen und den politisch Mächtigen hofiert: Sie sprachen schon zweimal als Ehrengäste bei der jährlichen Weltgesundheitsversammlung in Genf (2005 und 2014), was normalerweise Staats- und Regierungschefs vorbehalten ist.

Der deutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller (CSU), plauderte in einer Art »öffentlichem Kamingespräch« vor 1.500 Zuhörerinnen und Zuhörern während des World Health Summits 2018 im Audimax der TU Berlin mit Bill Gates – unter Sicherheitsvorkehrungen, die eines US-amerikanischen Präsidenten würdig gewesen wären.

Wenige Tage nach dem Gipfel, bei der Verkündigung des »Global Challenges«-Forschungsförderungsprogramms der Stiftung, erhielt Bill Gates im größten Konferenzsaal der Stadt wie ein Popstar Standing Ovations von 5.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an seinen Lippen – und an seinem Geldbeutel – klebten. Auch die deutsche Kanzlerin und der Gesundheitsminister sonnten sich in seinem Glanz auf der Bühne.

Tue Gutes und rede darüber

Die Gates-Stiftung will »effektiv helfen« und Weltprobleme mit Technologie und Unternehmergeist lösen. Hier verbinden sich inhaltlich immer noch die formal getrennten Welten der Stiftungsphilosophie und des Microsoft-Konzerns, den Bill Gates unter Mitnahme seines Vermögens, das jetzt als Stiftungskapital in einem Trust steckt, dessen Erlöse die BMGF finanzieren, hinter sich gelassen hat.

Deshalb verwundert es nicht, dass die BMGF ihre Mittelvergabe als »Investitionen« sieht und nicht als klassische »Wohltätigkeit«. Sie steht den öffentlichen Gesundheitsdiensten eher skeptisch gegenüber und will statt dessen »sozial-unternehmerisches Handeln« (social entrepreneurship) fördern.

Wie sehr für sie dazu selbst Elemente der »Risikokapitalinvestition« in ihr Konzept passen, wird an ihrer aktuellen Ankündigung deutlich, sechs bis sieben verschiedene Impfstoffstrategien zu verfolgen, und in das Hochfahren (»scaling up«) der Kapazitäten von Produktionsstätten ganz unterschiedlicher Technologien zu investieren, obwohl klar ist, dass wahrscheinlich zunächst nur ein oder maximal zwei erfolgreiche Kandidaten das Rennen machen werden – wenn überhaupt. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass die erste große Aktion der Stiftung in der globalen Gesundheitspolitik die Anschubfinanzierung der GAVI im Jahr 1999 war, da mit Impfstoffen die klarste und am einfachsten zu messende »Kosteneffektivität« von Interventionen im Gesundheitswesen zu erreichen ist. Impfen rettet (Kinder-)Leben.

Bill Gates erzählt die passende »persönliche Legende« dazu und die Stiftung verbreitet sie ebenfalls: Er habe in den 1990er Jahren einen Artikel über die fünf Millionen Kinder gelesen, die jährlich an Durchfallerkrankungen starben, und dass es einen neuen Impfstoff gegen das Rotavirus gäbe, das ein häufiger Verursacher dieser Durchfallerkrankungen ist. Dies habe ihn motiviert, sein mit Microsoft angehäuftes Vermögen in globale Gesundheitsprogramme zu investieren.[2]

Problematische Impfpolitik

So begann die Geschichte der GAVI, die erste große Public Privat Partnership für globale Gesundheit des neuen Jahrtausends, mit einer großen Anschubfinanzierung durch die Gates-Stiftung und einem Vorstand, in dem Impfstoffhersteller zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der Geber- und Empfängerländer, internationaler Organisationen wie WHO und UNICEF sowie unabhängigen Fachleuten sitzen.[3] In den zurückliegenden 20 Jahren hat GAVI mehr als vier Milliarden Dollar von der BMGF erhalten, die mit knapp 20 Prozent der gesamten Mittel, die in diesem Zeitraum eingeworben wurden, noch vor den USA und knapp hinter Großbritannien liegt.[4]

Impfungen zählen zu Recht nicht nur historisch, sondern auch aktuell zu den wirksamsten Instrumenten bei der Bewältigung weltweiter Gesundheitsprobleme. Die lebensrettende Wirkung von Impfungen gegen Kinderlähmung, Keuchhusten, Diphtherie, Tetanus, Masern, Mumps und Röteln, bakterielle Hirnhautentzündung, Rotaviren oder Pneumokokken ist durch den weltweiten Rückgang von Kindersterblichkeit, Erkrankungshäufigkeiten und bleibenden Schäden nach Infektionen mit diesen Erregern nachgewiesen. Ganz zu schweigen von dem einzigartigen Triumph der Ausrottung der Pocken, die bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts Epidemien mit hohen Sterblichkeitsraten auslösten.

So beeindruckend diese Bilanz ist, so verkürzt ist der Blick allein auf die Impfstoffe und allenfalls noch die Distributionswege und logistischen Herausforderungen, die »am meisten vernachlässigten« Menschen damit zu erreichen. Auch die BMGF hat inzwischen verstanden, dass verlässliche Gesundheitssysteme, in denen die »Wunderwaffen« der modernen Medizin eingesetzt werden, mindestens ebensowichtig sind. Anschaulich wird dies zum Beispiel an dem Masernausbruch 2019 im Kongo, der vermutlich mindestens 6.000 Kindern das Leben kostete, dreimal so viele wie das zeitgleich im Osten des Landes wütende Ebolavirus. Armut, soziale Ungleichheit und eine vernachlässigte öffentliche Infrastruktur sind wesentliche Kofaktoren von Krankheit und vermeidbarem Tod – eine Erkenntnis, die keineswegs neu und revolutionär ist, sondern beispielsweise schon vor über 150 Jahren von Rudolf Virchow angesichts der Fleckfieberepidemie während des Aufstands der oberschlesischen Weber formuliert wurde. Vor nicht allzu langer Zeit hat die WHO selbst mit ihrer »Kommission für soziale Determinanten von Gesundheit« diesen Zusammenhang eindrücklich nachgewiesen und dargelegt.[5]

Die Strategien der Stiftung bleiben trotzdem weiterhin marktorientiert, und wo der konventionelle Markt »versagt«, weil die Menschen zu arm sind, um medizinische Produkte zu kaufen und damit die Profiterwartungen der Produzenten zu erfüllen, da schafft die GAVI mit im voraus zugesicherten Abnahmegarantien einen solchen Markt. Sitzen dann noch die Hersteller ebendieser Produkte mit im eigenen Vorstand, wie bei GAVI mit zwei Sitzen für die Pharmaindustrie des »globalen Nordens« und des »globalen Südens«, so scheint eine passende »Win-win«-Situation zu herrschen. Alle profitieren, alle gewinnen. Berechtigte Fragen nach Interessenkonflikten zwischen den Akteuren und danach, ob die Preisgestaltung der Impfstoffe nachvollziehbar ist oder mit öffentlichen Mitteln hohe Unternehmensgewinne subventioniert werden, dürfen zwar von den anwesenden zivilgesellschaftlichen Vertretern mal gestellt werden, werden dann aber elegant wegmoderiert. Denn zum Dogma des »Multistakeholderismus«, laut dem alle Akteure immer gleichberechtigt an der Lösung der Weltprobleme beteiligt werden, gibt es anscheinend keine Alternative mehr.

Ohne demokratische Kontrolle

Hier wird deutlich: Das Konzept der Gates-Stiftung ist Symptom eines dysfunktionalen Systems und einer versagenden Marktorthodoxie, die die sozialen Bedürfnisse und Rechte von Menschen nur als Konsumentenwünsche denken kann, entsprechende Anpassungen an die Märkte schafft und sich selbst in der vermeintlichen Wohltätigkeit noch als Unternehmer versteht. Die Nichtvereinbarkeit von Profitinteressen mit den grundlegenden, nicht marktförmigen Bedürfnissen von Menschen, die auf kooperative Lösungen der Ressourcenteilung und gemeinschaftliches Eigentum von globalen öffentlichen Gütern angewiesen sind, kommt nicht in den Blick.

Die Philosophie der Orientierung an kurzfristigen Unternehmensgewinnmargen beherrscht alle derartigen Public Private Partnerships und Initiativen, die regelmäßige »Geberkonferenzen« ausrichten: Raise it – Spend it – Prove it – die Mittel akquirieren, investieren, Erfolg nachweisen und damit die nächste Geberrunde überzeugen. Parallel dazu entstand dadurch die früher nicht existente Zielmarke der »geretteten Leben«, die aus den traditionellen Gesundheitsstatistiken (Mortalität, Morbidität, Lebenserwartungen) destilliert wurde, weil damit in der Kommunikation gegenüber Medien und öffentlichen wie privaten Gebern am anschaulichsten die Erfolge dargestellt werden konnten.

Dies erklärt, warum die Impf- und Behandlungsprogramme einzelner Krankheiten so beliebt sind bei diesen Finanziers, denn mit langfristigen strukturellen Verbesserungen, die etwa entwickelte Trinkwasser- und Abwassersysteme, Wohnungsbauprogramme oder strengere Arbeitsschutzgesetze für die Gesundheit der Menschen bedeuten, lassen sich »gerettete Leben« kaum so medienwirksam darstellen. Diese Aufgaben verbleiben dann den kaputtgesparten öffentlichen Haushalten, deren Handlungsfähigkeit gerade durch die Umsetzung eines »schlanken Staates« eingeschränkt wurden, die die privaten Akteure wie die Gates-Stiftung so mächtig werden ließen.

Die Frage nach dem enormen Reichtum und den Mitteln der Gates-Stiftung verweist auf das systemimmanente Defizit der neoliberalen Version des Kapitalismus, der die staatlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge radikal zurückgefahren, privatisiert und in marktförmige Produkte konkurrierender Anbieter verwandelt hat.

Erst durch die immer weiter reduzierte Besteuerung von Unternehmen, deren Gewinne die öffentlichen Aufgaben angemessen mitfinanzieren müssten, sind die hohen Profite der globalen Konzerne entstanden, die jetzt als Stiftungsvermögen vermeintlich guten Zwecken zugute kommen. Und sie sind nicht mehr demokratischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht unterworfen, wie es nationale und internationale Budgets von Ländern und internationalen Institutionen sind. Letztere sind zwar auch unzulänglich, aber immerhin nicht von den Launen einzelner Männer und Frauen abhängig, die sich morgen vielleicht entscheiden, statt auf Ziele wie Gesundheitsförderung oder Mädchenbildung ganz auf den Klimaschutz zu setzen – ein ebenso hehres Ziel, das enorme Mittel braucht, um seiner Verwirklichung näherzukommen, das aber nicht gegen andere Ziele ausgespielt werden darf.

Das Problem ist aber nicht nur dieser quasi feudale Sonnenkönigstatus, den Gates dank seiner jährlichen Milliardenspenden erworben hat – auch Journalistinnen und Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien stellen keine kritischen Fragen mehr und befördern so den Verschwörungsmythos vom geheimen Strippenzieher, der gerade bei den »Hygienedemos« wieder hochgekommen ist. Ebenfalls problematisch ist Gates’ ungebrochener Glaube an eine technizistische Machbarkeit von Lösungen, die mit vereinter Anstrengung von Wissenschaft, Technik und Marktkräften Pandemien verhindern und die globalisierte Produktions- und Warenwelt erhalten könne. Ein Glaube, der durch das Coronavirus gerade widerlegt wird.

Die heftigen laufenden Debatten um die Patentrechte und den Zugang zu den Produkten, die mit den Milliarden des globalen »Corona Response Funds« finanziert werden, zeigen die Sprengkraft der aktuellen Situation und die Schwäche der globalen Institutionen. Die WHO kann zwar mit »Solidarity Trials« versuchen, die klinische Forschung zu Behandlungsoptionen bei schweren Covid-19-Erkrankungen zu koordinieren, und in der Covid-19-Resolution ihrer Mitgliedstaaten bei der ersten virtuellen Weltgesundheitsversammlung Mitte Mai konnte im diplomatischen Gerangel die wichtige Erwähnung der Ausnahmeregeln des Patentschutzabkommens TRIPS noch gerettet werden, die ein erster Schritt auf dem Weg zu einem wirklich verpflichtenden Verzicht auf Patentschutz und für gemeinnützige Lizenzierungsverfahren sind.

Aber schon bei der Präsentation eines von Costa Rica vorgeschlagenen »Technology Access Pools« (CTAP)[6] zum Teilen von Wissen und Daten zu Covid-19 der WHO und immerhin 36 Mitgliedsländern hielten sich wichtige Akteure bedeckt. Nicht nur die USA, sondern auch die anderen großen Player China, Japan und Russland blieben wie zu erwarten zurückhaltend, und ebenso der »Global Health Champion« Deutschland, dessen Kanzlerin gerne vollmundig von den »globalen öffentlichen Gütern« gesprochen hat, wenn es um die zu entwickelnden Impfstoffe ging, wollte sich ebenfalls nicht für diese Initiative einsetzen.

Nur fünf kleinere europäische Staaten (die Niederlande, Norwegen, Belgien, Luxemburg und Portugal) unterstützen bislang das Vorhaben. Hier bleibt es bei der üblichen Politik: Wenn es an die Profitinteressen der eigenen Pharmaunternehmen geht, dann verlässt man sich offenbar weiterhin lieber auf freiwillige Spendenaktionen, anstatt den öffentlichen Fördergeldern, die in Milliardenhöhe gerade bereit gestellt werden, auch verbindliche Regeln zur öffentlichen und gemeinnützigen Verwendung der Forschungsergebnisse folgen zu lassen. Auf diesen eklatanten Widerspruch wiesen Medico international, die Buko-Pharmakampagne, das Aktionsbündnis gegen AIDS und World Vision im Zusammenhang mit der Präsentation des CTAP hin – es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.[7]

Kritische Distanz gefragt

Ein gesundes Misstrauen gegen die vermeintlichen globalen Wohltäter bleibt also ohne Zweifel angebracht. Und wie steht es nun mit den Mikrochips, die Gates uns einpflanzen will? Auch hier sind es vor allem die Debatten um die Nutzung von »Big Data« in der Gesundheitsforschung, die auf jeden Fall kritisch zu verfolgen sind, zumal die »üblichen Verdächtigen« wie Google und sein Mutterkonzern Alphabet bereits kräftig in Technologien investieren, die unsere biologischen Daten auf allerlei Art per Smartwatch oder »Digital wearables« aufzeichnen und verarbeiten. Manche Gesundheitsforscher sind hier längst in Goldgräberstimmung und versprechen enorme Fortschritte bei der Verwaltung unserer Gesundheitsdaten für noch bessere Überwachung von Blutdruck, Blutzucker oder Atemfunktion.[8] Aber was Datensicherheit und -kontrolle angeht, liegt auch hier der Teufel häufig im Detail, wie an den Debatten um die »Corona-App« deutlich wurde. Vielen Nutzerinnen und Nutzern von Smartphones ist nicht bewusst, dass sie bereits das perfekte Überwachungsgerät jederzeit in ihrer Hosentasche tragen. Hier ist mehr kritische Distanz auf jeden Fall gefragt – ohne sich in den Morast von Verschwörungsmythen zu begeben.

Anmerkungen

[1] Vgl. Programme budget WHO 2020-2021

[2] Onaoluwa Abimbola: The African Social Entrepreneur: What can we learn from Bill Gates?, Medium.com, 7.6.2019

[3] Vgl. die Selbstdarstellung auf der GAVI-Website

[4] Vgl. GAVI Funding Overview 2000-2037

[5] Vgl. den WHO-Bericht »Untersuchung zu den sozialen Determinanten von Gesundheit und dem Gesundheitsgefälle in der Europäischen Region der WHO. Abschlussbericht«

[6] Vgl. WHO: Commitments to share knowledge, intellectual property and data

[7] Vgl. den offenen Brief der genannten Organisationen an Angela Merkel vom 27.5.2020

[8] Vgl. Alicia Phaneuf: Latest trends in medical monitoring devices and wearable health technology, Business Insider, 31.1.2020

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Jungen Welt vom 20. Juni 2020.

Veröffentlicht am 20. Juni 2020
Andreas Wulf

Dr. Andreas Wulf

Andreas Wulf ist Arzt und seit 1998 bei medico international. Er ist Berlin-Repräsentant und arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.


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