Israel/Palästina

Nicht nur ein Dilemma

Über die Schwierigkeiten, Veranstaltungen zu 50 Jahren israelischer Besatzung zu machen. Eine Selbstbefragung. Von Katja Maurer

Der langjährige medico-Partner Breaking the Silence, eine Soldat_innen-Organisation, die seit 2004 Zeugnisse über Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee sammelt, hat anlässlich des 50. Jahrestages des Juni-Krieges und der darauf folgenden und anhaltenden Besatzung ein dickes Buch mit Reportagen von Schriftsteller_innen aus aller Welt herausgegeben. Das Buch „Oliven und Asche“ ist auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und versammelt so illustre Namen wie Dave Eggers, Eva Menasse, Mario Vargas Llosa. Lesungen aus diesem Buch zu veranstalten schien uns eine naheliegende Sache. Und sie finden auch statt. In Berlin in der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus. 200 Leute waren anwesend. In Frankfurt im Mousonturm. Auch gut besucht. Und auch auf der Lit-Cologne stellen der israelische Schriftsteller Assaf Gavron, von dem gerade der fünfte Roman in deutscher Übersetzung vorbereitet wird, und die österreichische und in Berlin lebende Schriftstellerin Eva Menasse das Buch vor.

Fußball als politisches Problem

So weit, so wunderbar. Wer noch das Glück hatte, auf einer der Veranstaltungen die Geschichte von Assaf Gavron, „Kicken für Palästina“,  gehört zu haben, der hat die Lesung mit Gewinn verlassen. Assaf Gavron, selber enthusiastischer Fußballer, der der israelischen Schriftstellermannschaft angehört, schildert in seinem bescheidenen Text über einen abgelegenen Nebenschauplatz der Geschichte, wie sich die israelische Besatzung auf den nachvollziehbaren Wunsch palästinensischer Fußballfans nach gutem palästinensischen Fußball auswirkt. Dass selbst Kicken zu einem politischen Problem wird, versteht sich erst auf den zweiten Blick. Während der Fußball bei uns Nationalgefühl nur noch als Spaßevent inszeniert, ist Fußball im palästinensischen Kontext womöglich auch Teil eines im Werden begriffenen Nationalen. Das aber ist im Konflikt brisant und die israelischen Behörden behindern so seit Jahren  detailverliebt und systematisch ein brauchbares nationales palästinensisches Fußballteam. Das schildert Gavron mit allen Namen von palästinensischen Fußballern, die was hätte werden können, wäre ihnen nicht die Besatzung in den Weg gekommen.

Gavrons publizistisches Stück erfüllt das, was nötig ist in einem eigentlich auserzählten Konflikt. Denn Daten und Fakten zur Besatzung sind klar. Ihre kritikwürdigen Umstände Teil europäischer Außenpolitik. Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel lässt sich nicht davon abhalten, kritische israelische Akteure wie Breaking the Silence zu treffen, selbst wenn er sich eine Schelte von Netanjahu einfängt und mit dem Vorwurf des Antisemitismus rechnen muss. Gavrons Text, genauso wie die anderen im Buch versammelten Essays, versuchen deshalb auf einer persönlichen Ebene – alle Autoren sind auf unterschiedliche Weise von dem Konflikt geprägt – mitzuteilen, dass sich das Thema nicht erledigt hat. Weil die Texte sich der Besatzung literarisch nähern, erzählen sie dann eben doch etwas Neues.

Besatzungsvergessenheit

Sie alle schreiben gegen die Besatzungsvergessenheit an. In Israel, so Dana Golan, Europa-Vertreterin von Breaking the Silence, verschwinde das Wort Besatzung aus der öffentliche Rede und damit auch aus dem öffentlichen Bewusstsein. Doch dies führe nicht einfach zu einer Bewahrung des Status Quo, sondern verändere die israelische Gesellschaft. „Man kann nicht Besatzungsmacht nach außen und Demokratie nach innen sein“, so Golan, die selber als Soldatin in Hebron diente. Und so kommt es, dass mittlerweile die Mitarbeiter_innen und Soldat_innen, die bei Breaking the Silence berichten, immer heftiger angegriffen werden. Sie werden als antipatriotisch beschimpft und manche unter fadenscheinigen Anschuldigungen vor Gericht gebracht. Als ich vor zwei Jahren Yehuda Shaul, den Gründer der Organisation traf, schlugen die Wogen der Anfeindungen und Verdächtigungen so hoch, dass er sichtlich gezeichnet und getroffen war. Er hatte sich nicht vorstellen können, jemals so angefeindet zu werden.

Schon lange erleben wir, dass dieses feindselige Klima auch nach Deutschland schwappt. Hier ist es nicht der Vorwurf des Antipatriotismus, sondern der des Antisemitismus. Tatsächlich bewegt man sich bei Israel-Palästina-Veranstaltungen oft auf dünnem Eis. Je länger sich eine Fragerunde mit Publikum zieht, umso häufiger ist man mit Klischees über Israel konfrontiert, die stutzig machen. Häufig bewegt sich Israel-Kritik in den engen Grenzen einer Diskussionskultur, die vor allen Dingen sich selbst in der Richtigkeit der eigenen Ansicht bestätigt. Und diese weiß wohl zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ohne sich selbst zu befragen.

Räume der Debatte offen halten

Es hat aber auch mit dem Stillstand in diesem Konflikt zu tun. Die, die sich damit auf die eine oder andere Weise und mit konträren Positionen beschäftigen, bewegen sich in Gräben, bei denen man manchmal den Eindruck hat, dass sie bei jeder Bewegung tiefer werden.

Wege aus dem Dilemma? Den Konflikt stärker in seiner regionalen Dynamik betrachten? Als Teil einer postkolonialen Neuordnung der Region, die allerdings mit dem vorläufigen Scheitern des Arabischen Frühlings nicht auf eine demokratische Neuordnung zuläuft? Festhalten, dass doppelte Standards nirgendwo gehen, auch nicht gegenüber Israel oder den Palästinenser_innen, denen manche das Sprechen verbieten wollen? Die eigene Sprechposition reflektieren und damit auch die Asymmetrien benennen, die jeden aus Deutschland privilegieren?

Keine Antwort ist es, die Räume der Debatte schließen zu wollen. Die kritische Beschäftigung mit der israelischen Politik mit dem Antisemitismusvorwurf zu belegen will vor allen Dingen diese Kritik verhindern. Und das ist Teil einer antidemokratischen Tendenz, wie sie nicht nur in Israel vorliegt. Wir seien, so Dana Golan, Teil des Konfliktes, historisch und auch durch die politische Unfähigkeit Europas, die eigene verabredete Außenpolitik umzusetzen. Insofern gilt es die öffentlichen Räume auszuweiten, in denen dieser Konflikt besprochen wird, sich dabei der Dilemmata bewusst zu sein und trotzdem angemessene politische Forderungen zu stellen, die nur auf ein möglichst baldiges Ende der Besatzung hinauslaufen können.

Zum Weiterlesen

Die bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Anthologie »Oliven und Asche« vereint Essays, Reportagen und Kurzgeschichten von 26 international gefeierten Autoren und bezeugt die Katastrophe, die die israelische Besatzungspolitik für das Westjordanland und Gaza bis heute bedeutet.

Veröffentlicht am 30. November 2017
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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