Nicaragua

Langer Atem

Der Nicaragua-Kanal wird vermutlich nie gebaut. Dennoch protestiert die Bevölkerung in der betroffenen Region unermüdlich weiter. Warum? Von Peter Biermann

Wer Zweifel an der Ausdauer sozialer Proteste bekommt, kann seinen Blick getrost nach Nicaragua richten. Dort hatten im April die Bauern vom „Nationalen Rat für die Verteidigung des Territoriums, des Wassers und der Souveränität“ für die mittlerweile 87. Demonstration gegen den Interozeanischen Kanal im Süden des Landes aufgerufen. Zwei weitere sind für Juni geplant, um ihren inzwischen vierjährigen Kampf zu begehen. Eine beachtliche Leistung und Hartnäckigkeit und sicherlich wäre die Mobilisierung erfolgreich verlaufen. Doch seit November letzten Jahres lässt die Regierung Ortega die Proteste gewaltsam unterbinden. Damals hatte die Polizei sogar eine Brücke zerstört, anderswo eine Straße aufgerissen und mit Gummigeschossen in die Menge gefeuert, um den Weg in die Hauptstadt Managua zu blockieren.

Dagegen ist das internationale Interesse am Kanal merklich zurückgegangen. 2014 war offizieller Spatenstich, doch seither ist nichts passiert. Im darauffolgenden Jahr ging der Investor, das chinesische Unternehmen HKND, pleite. Warum also protestiert die Bevölkerung weiter?

Der Kanal ist noch nicht vom Tisch

„Das Vorhaben ist nicht vom Tisch. Immer wieder gibt es Erklärungen, dass Studien in Vorbereitung seien oder jetzt, dass ein Pazifikhafen gebaut werden soll. Zu sehen ist allerdings nichts“, erläutert Mónica López von der Stiftung Popol Na. Nichtsdestotrotz schwebt das Kanalbaugesetz 840 wie ein Damoklesschwert über den geschätzt 119.000 Bewohner/innen der Region. Es untergräbt Verfassungsgarantien und wurde ohne ihre Konsultation verabschiedet. „Bei einer Enteignung würden die Betroffenen nur 5-10% des tatsächlichen Marktwertes ihrer Grundstücke als Entschädigung erhalten“, so die nicaraguanische Anwältin.

Enteignet werden kann nicht nur für das eigentliche Kanalvorhaben, sondern ebenso für Subprojekte, zum Beispiel Sonderwirtschaftszonen. „Viele sagen natürlich, dass sich die Landbevölkerung nur um ihre Böden sorgen würde. Durch die Proteste ist aber auch ein Sinn für Gemeinschaft und das Bewusstsein für die ökologische Bedeutung des Nicaraguasees gewachsen, durch den der Kanal führen würde. Und viele sind schlichtweg empört, weil über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.“

Missachtung des Rechts auf politische Beteiligung

Anfang 2016 hatte die Bauernbewegung zusammen mit dem NRO-Bündnis „Grupo Cocibolca“, dem Popol Na angehört, knapp 28.000 Unterschriften gegen das Gesetz gesammelt. 5.000 hätten gereicht, um eine erneute parlamentarische Debatte zu erzwingen. Aber das von der Regierungspartei FSLN dominierte Parlament lehnte es ab, sich überhaupt mit der Initiative zu befassen. Die dann eingereichte Klage gegen das rechtswidrige Verhalten wurde schließlich im Dezember 2016 vom Obersten Gerichtshof abgeschmettert. „Das ist eine Missachtung des Rechts auf politische Beteiligung, ein Recht, das 1987 dank der sandinistischen Revolution in der Verfassung verankert wurde“, kritisiert Mónica López. Damit ist der Rechtsweg zunächst ausgeschöpft. Für Mónica endet damit ein Zyklus des juristischen Aktivismus, den sie kürzlich in einem Dossier aufgearbeitet hat.

Wie sich der neue Zyklus gestaltet ist ungewiss. Die Mobilisierungskraft konzentriert sich auf das Kanalgebiet. Während dort Tausende auf die Straße gehen, kommen von den Einwohner/innen Managuas nur ein paar hundert. Ein augenscheinliches Gefälle, das mit der Zufriedenheit mit den Sozialmaßnahmen Ortegas, den klientelistischen FSLN-Strukturen aber auch mit Angst zu tun hat.

Eine Gefahr für die Bewegung liegt außerdem im desolaten Zustand der Oppositionsparteien. Ohne eigene Ideen und Alternativen versuchen sie sie für ihre Kampagnen zu benutzen –aktuell für die Kommunalwahlen im November. Auch dagegen hat sich die Bauernbewegung bisher behauptet. Scharf grenzt sich ihre Sprecherin Francisca Ramírez von den Vereinnahmungsversuchen ab und unterstreicht, dass sie sich auch von ihnen nicht vertreten fühlen.

Warum reagiert Ortega so hart?

Unmittelbar hat die Regierung keinen Anlass zur Sorge, dass sich die Proteste verbreitern. Aber der internationale Kontext ist alles andere als günstig. Aufgrund von Vorwürfen der Wahlfälschung ist die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aktiv geworden, der Schuldendienst für die Erdöllieferungen aus Venezuela wächst und der Bündnispartner kämpft mit der Krise. Zusätzlich droht in den USA die Verabschiedung des „Nica Act“, der die internationale Kreditaufnahme erschweren würde und in dessen Folge Ermittlungen wegen Korruption ins Haus stünden.

Der „Nica Act“ tut der Demokratie in Nicaragua keinen Gefallen – sogar die OAS kritisiert den Plan. Mónica López erklärt, „die Initiative geht noch nicht mal auf Trump zurück, sondern auf ein paar rechte Kongressmitglieder. Der ‚Nica Act‘ erinnert an die fatale US-Außenpolitik der 1980er Jahre. Wir erreichen aber Veränderungen nicht über das, was in den USA geschieht, sondern nur durch uns selber.“

Wahrscheinlich hängt die Härte auch mit der Mixtur der Anti-Kanalbaubewegung zusammen. Leicht kann die Regierung alte Feindbilder von Renegaten und Konterrevolutionär/innen aufwärmen. Mónica López ist Tochter einer früheren Guerillakommandantin, die sich von Ortega wegen seines Paktes mit den korrupten Eliten, namentlich dem Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán, losgesagt hatte. Als Kind der Revolution sieht sich die Anwältin durchaus in der sandinistischen Tradition. Teile der Bevölkerung der Kanalzone hingegen hatten sich in den 1980ern der Kollektivierung widersetzt und manche die Contras unterstützt.

Die Wirklichkeit ist facettenreicher. „Natürlich hat die Zusammenarbeit auch meine kritische Sicht auf die Landreform der Sandinisten geschärft“, berichtet Mónica von ihrer Arbeit mit den Menschen im Kanalgebiet, „und sicherlich gibt es in der Bewegung neben gemeinsamen Auffassungen auch Differenzen.“ Letztendlich sieht sie ihr Potential darin, „in der Gesellschaft Nicaraguas in Erinnerung zu rufen, dass das Leben weder durch Caudillos noch durch Parteien bestimmt wird. Es geht darum, die Selbstorganisierung und die Beteiligung der Bevölkerung zu stärken, wovon sich Ortega vollständig abgewendet hat. Es geht darum, nach Jahren der Lethargie neuen Enthusiasmus zu wecken“. 

Veröffentlicht am 31. Mai 2017

Peter Biermann

Peter Biermann ist Projektkoordinator für Mittelamerika bei medico international. (Foto: Holger Priedemuth)


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