EU-Gipfel zu Flüchtlingen

Katastrophale Ergebnisse

Abschotten, Zerstören, Fernhalten – das ist alles, was der Europäischen Union zum Sterben an ihren Grenzen einfällt. Ein Kommentar zum EU-Gipfel.

Mehr als 1750 Menschen haben in diesem Jahr bereits ihr Leben verloren bei dem Versuch, die Küsten Europas zu erreichen. Viele, viele mehr als in den Vorjahreszeiträumen. Und dabei macht nur das Kentern der großen Schiffe Schlagzeilen. Kleine Fischerboote, wie sie gewiss auch in diesem Moment mit verzweifelten Menschen an Bord auf dem Mittelmeer unterwegs sind, schaffen es selten in die europäischen Medien und Statistiken. Wenn sie untergehen, nimmt oft niemand davon Notiz. Auch in den Herkunftsländern erfährt in diesen Fällen selten jemand, was mit Freunden und Familienmitgliedern auf dem Weg nach Europa geschehen ist.

Das Gewicht der großen Zahl hat nun immerhin dazu geführt, dass berichtet wurde und dass ein Sondergipfel der Europäischen Union gestern über die Flüchtlingskatastrophe beraten hat. Umgehend Rettungskapazitäten in großem Umfang aufstocken, legale Einreisemöglichkeiten schaffen, menschenwürdige Aufnahme der Flüchtlinge in Europa gestalten. Das wäre ein Anfang gewesen. Im nächsten Schritt wäre die Überschwemmung afrikanischer Märkte mit subventionierten Agrarprodukten aus Europa ebenso zu beenden wie das Leerfischen der ursprünglich fischreichen Gewässer am Horn von Afrika durch europäische Trawler – um nur zwei Beispiele für die Mitverantwortung Europas zu nennen dafür, dass Menschen ihrer Existenzgrundlagen beraubt und Migrationsgründe geschaffen werden.

„Fähren statt Frontex“, fordert Watch the Med

Nichts davon wurde jedoch in Angriff genommen. Alle redeten davon, man müsse nun zu allererst „Menschenleben retten“, de facto wurde den Flüchtlingen jedoch einmal mehr der Krieg erklärt. Das Budget der Grenzschutzmissionen Triton und Poseidon, die sicher auch mal ein Menschenleben retten, vor allem aber Europas Grenzen schützen und von Karl Kopp (Pro Asyl) treffend „Programme zur Sterbebegleitung“ genannt wurden, wurde aufgestockt. Ansonsten geht es den Staats- und Regierungschefs Europas darum, die „illegale Einreise“ zu verhindern. Mit allen Mitteln und um jeden Preis.

„Fähren statt Frontex“, fordert Watch the Med – ein von medico unterstütztes Alarmtelefon, das von Freiwilligen betrieben wird, deren Einsatz es zu verdanken ist, dass nicht noch mehr Menschen in den letzten Tagen und Wochen auf dem Mittelmeer gestorben sind. Was hingegen der EU-Gipfel beschlossen hat, ist die „Identifizierung, Beschlagnahmung und Zerstörung“ der „Schleuserschiffe“ ohne die Schaffung von sicheren Alternativen für die rund eine Million Menschen, die momentan in Libyen auf eine Gelegenheit zur Ausreise nach Europa warten – die Menschen in Marokko und anderswo gar nicht eingerechnet. Es wird sogar über Militäreinsätze gegen Schlepper vor den Küsten Libyens und Tunesiens nachgedacht.

Abschotten, Zerstören, Fernhalten – das will die EU

Abschotten, Zerstören, Fernhalten – das ist offenbar alles, was der Europäischen Union zum Sterben an ihren Grenzen einfällt. Rhetorisch verpackt in die humanitäre Watte der „Rettung von Menschenleben“. Anstatt sich im Angesicht der vielen grausamen Todesfälle nun tatsächlich und ernsthaft um die Ursachen von Flucht und Migration zu kümmern und zur eigenen Verantwortung zu stehen, benutzt die EU die Toten der letzten Tage und Wochen, um anderen – den „Schleppern“ und den „Illegalen“ – die Schuld am Elend auf dem Mittelmeer in die Schuhe zu schieben und die eigene tödliche Abschreckungspolitik fortzusetzen.

Veröffentlicht am 24. April 2015

Ramona Lenz

Ramona Lenz ist Sprecherin der Stiftung medico. Über viele Jahre war die Kulturanthropologin in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Flucht und Migration.

Twitter: @LenzRamona


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