Am Montag, den 16. November 2020, forderte Nicaraguas Vize-Diktatorin Rosario Murillo eine internationale Entschädigung für "Natur"-Katastrophen in jenen Ländern, die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind. Anfang November wurde Nicaragua vom Hurrikan Eta und zwei Wochen später von Iota heimgesucht, dem stärksten Hurrikan in der Geschichte Nicaraguas – mit Winden von bis zu 250 km/h und bis zu 300 Millimeter Niederschlag in 12 Stunden; die Schäden werden auf Hunderte Millionen Euro geschätzt. Murillo sagte, Zentralamerika durchlebe derzeit besonders schwierige Zeiten – und dass die betroffene Region Berichten internationaler Organisationen zufolge "angesichts der Zerstörung des Klimas, der Zerstörung der Natur und all dieser Katastrophen, die uns weiterhin erreichen, extrem verwundbar ist und dass wir, die kleinen Völker, die kleinen Länder, nichts getan haben, womit wir das verdient hätten". Ja, siehat Recht, würde man gerne sagen. Doch es bleibt ein aber.
Verletzliches Nicaragua
In einem Bericht der Umweltorganisation Fundación del Río heißt es: Der Verlauf des Hurrikans Iota hatte direkte Auswirkungen auf mindestens 23 indigene Territorien, in denen insgesamt 294 Gemeinden mit schätzungsweise 147.000 Menschen leben (6 Territorien der Mayangna, 11 der Miskitu und 3 in denen beide ethnische Gruppen leben). Viele dieser Gebiete waren bereits vor zwei Wochen vom Hurrikan Eta betroffen, was die Situation dieser vulnerablen Bevölkerung noch stärker belastet. Die Regenfälle veränderten die Flussläufe in den Becken der Flüsse Río Coco, Río Ulang, Río Wawa, Río Kukalaya, Río Prinzapolka und Río Grande de Matagalpa, in denen die genannten Gemeinden leben, in einigen Fällen wohnen sie sogar direkt an den Ufern dieser Hauptflüsse. In mehreren Teilen des Landes, darunter auch in der Hauptstadt, wurden Überschwemmungen beobachtet, und es gab auch Erdrutsche, unter anderem im Bergmassiv Peñas Blancas, Provinz Matagalpa, wo bis zu 11 Menschen getötet wurden. Die Ausmaße dieser verheerenden Katastrophe sind in den sozialen Medien dokumentiert; eine beeindruckende Video-Dokumentation ist in der Fernsehsendung "Esta Semana“ vom 22. November 2020 zu sehen.
Die Klimakrise wird – und das trifft bereits jetzt zu – Länder in bestimmten geographischen Zonen besonders hart treffen. Nicht selten besitzen diese Länder aufgrund ihrer Armut nur sehr begrenzte Möglichkeiten sich zu schützen und die Folgen der Krise (von der Landwirtschaft bis hin zur Infrastruktur) zu mildern. Zudem leiden sie oftmals unter großer Ungleichheit innerhalb ihrer Gesellschaften. Auch die wissenschaftliche, politische und transnationale Welt von German Watch bis zur UNO erkennt an, dass Nicaragua eines der verwundbarsten Länder in Bezug auf die Klimakrise ist. Diesem tropischen Land werden lang anhaltende, erhöhte Temperaturen vorhergesagt sowie Dürren und Überschwemmungen, starke Unregelmäßigkeiten in den beiden klimatischen Jahreszeiten, schädliche Auswirkungen auf Produkte von großer wirtschaftlicher Bedeutung wie der Höhenlagenkaffee, Unterbrechungen und permanente Engpässe in der Trinkwasserversorgung – Situationen, die für den Tourismus nicht tragbar sind –, Wüstenbildung in einigen Gebieten des Landes und noch mehr Hurrikane, die außerdem von größerer Kraft und zerstörerischem Potential sein werden, verglichen mit den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten.
Nicaragua trägt nicht dazu bei...
Nicaragua teilt also mit vielen Ländern der Welt das Schicksal, prozentual fast nichts zur globalen Erwärmung beigetragen zu haben und gleichzeitig massiv von den Folgen des Klimawandels betroffen zu sein. Es stimmt, dass es in Nicaragua eine starke Umweltzerstörung gibt, die während der Kolonialzeit und danach durch gleichermaßen Unwissenheit, Extraktivismus, unverantwortliche Regierungen, Gier, Armut, Korruption und Diktaturen verursacht wurde – aber Treibhausgase? Verglichen mit den Emissionen der Europäischen Union, den USA, China, Russland, Indien und anderen ist Nicaragua frei von "Schuld". (Allein die Abertausende Rinder mit ihren Rülpsern und Methanfürzen könnten vielleicht etwas sein, das sich in Zehntelprozenten messen lässt; aber Fleisch und Milchprodukte sind ja meist für den Export). Diese Situation Nicaraguas hat folgende Gründe: Das Land verfügt nicht über eine Stromerzeugung wie die Kohlekraftwerke in den USA; es hat keine nennenswerte Industrie, mit Luftverschmutzungsfaktoren wie in Peking oder Neu Delhi kann es nicht konkurrieren, die Fahrzeugflotte betrieben mit fossilen Brennstoffen ist klein (immer: "im Vergleich"). Und das Land ist sehr arm, es ist ein rückständiges Agrarland. Nur wenn Nicaragua so könnte wie es wollte, würde es wahrscheinlich mit den Großen im Emissionssektor wetteifern.
Zuerst hörte die Welt Klagen von Inselstaaten wie den Malediven, Samoa, den Seychellen und anderen, dass aufgrund der Klimakrise die Ozeane ansteigen und das völlige Verschwinden dieser Länder im Meer drohe. Wie alle Länder mit Meeresküsten könnte auch Nicaragua aufgrund des steigenden Niveaus seiner beiden Ozeane, des Pazifiks und des Atlantiks, unter dem Verlust von Territorium leiden, aber die Auswirkungen auf das gesamte Staatsgebiet werden in den bereits erwähnten Hurrikans und Unregelmäßigkeiten in seinem "nationalen Klima" liegen oder aufgrund der zentralamerikanischen Geographie, einer schmale Brücke zwischen Nord- und Südamerika, eingeklemmt durch zwei mächtige Meere, die sie bedrohen, wie alle Länder der Karibik.
Klimagerechtigkeit
Nicaragua hat daher das Recht, für erlittene Schäden entschädigt zu werden, genau wie alle Länder, die gleich verwundbar sind, ohne selbst zur Krisensituation beigetragen zu haben. Und nicht nur das! Nicaragua und die anderen betroffenen Länder haben jedes Recht und die dringende Notwendigkeit, auch vor internationalen Gerichtshöfen zu fordern, dass die klimaschädlichsten Länder viel mehr tun, sofort alles tun, um die Erderwärmung auf die berühmten 1,5 Grad Celsius zu stoppen, die auf den Weltklimagipfeln immer wieder beschlossen wurden.
In ihrem eigenen Interesse, sich als Land und Volk zu retten und gleichzeitig überzeugend zu zeigen, dass Nicaragua sich der Bedrohungen bewusst ist, sich für seine Umwelt und seine Klimasituation verantwortlich fühlt, müssen das Land sowie die Verantwortlichen auf nationaler, kommunaler und lokaler Ebene, einschließlich der der indigenen Territorien, der betroffenen Gebiete der Autonomen Regionen Süd- und Nordatlantik eigenständig Maßnahmen ergreifen und an der Verbesserung der Situation arbeiten.
Ebenso interessiert und aktiv müssen sich die Nichtregierungsorganisationen des Landes, die Zivilgesellschaft, Schulen und Universitäten, Kirchen, Familien, die Medien, Gewerkschaften und Verbände aller Art zeigen. CO2 in den Böden binden mittels landesweiter, ökologischer Landwirtschaft und in den Bäumen durch ökologische und diversifizierte Agroforstwirtschaft; die Emissionen durch Brandrodung, Verkehr und die Haltung von Wiederkäuern zu reduzieren; die Folgen der Krise mit angepassten, tropengerechten Methoden mildern, die in erster Linie darin bestehen, den Holzeinschlag zu stoppen und in der Landwirtschaft auf produktive Bäume zu setzen. Und diese überall anzupflanzen! Kompensierung der immensen Entwaldung, die bereits stattgefunden hat, durch angemessene Wiederaufforstung, auch entlang aller Flüsse, Bäche, Seen und Lagunen.
Ja, aber...
"Wer Schaden verursacht, zahlt": Das Recht auf Klimagerechtigkeit ist juristisch und moralisch geboten. Es sollte aber von einem Umdenken und Handeln begleitet werden, dass auch die Bereitschaft beinhaltet, eigene Verhaltens- und Konsummuster zu ändern. Und Klimagerechtigkeit ist eine langwierige Angelegenheit und kostet viel Geld – wir sprechen von internationaler Zusammenarbeit, Kompensationszahlungen und kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Sie kann nur funktionieren, sie kann nur umgesetzt werden in demokratischen Ländern, in Ländern mit starken, strikten und nicht korrumpierbaren Institutionen, deren Handeln von Verantwortung und Ehrlichkeit geprägt ist unter Anwendung von Gesetzen und Gerechtigkeit. Begleitet von lokaler, zivilgesellschaftlicher Aufsicht und Kontrolle, begleitet von supranationalen Organen und Einrichtungen. Ohne all das dürfte es keine Hilfe, keine Kompensation, keine Mittel zur Schadensbegrenzung und keine Vorsorge geben. Und falls Hilfen doch von irgendeiner ausländischen Bank oder einem ausländischen Programm kommen, würde dies nur verschwendet, anstatt die Gefahren der Klimakrise in den gefährdeten Ländern zu verringern.
Angesichts der nicht allzu überraschenden Anstrengung des Regimes bei der Suche nach Geldern zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie und nun angesichts der Folgen der beiden Wirbelstürme bemerkten die involvierten organisierten Gruppen und Einzelpersonen, dass ihre "Regierung" dringend Geld auftreiben muss, egal wie, denn die wirtschaftliche Depression seit 2018, der Rückgang des Steueraufkommens trotz Steuererhöhungen, der Zahlungsstopp vieler bisheriger staatlicher Kooperation aus dem Ausland und verschiedene Sanktionen haben zu Geldknappheit im Staat und in den Zirkeln der Macht geführt. Hilfsgelder und Ausgleichszahlungen, die diesen Händen anvertraut würden, eröffneten nur Tür und Tor für Missbrauch.
Aber die Opposition und Gruppen, die Widerstand artikulieren, arbeiten daran, neue Konzepte und Institutionen für die Zukunft des Landes zu entwickeln. Dazu gehört es, die hier beschriebene Situation zu akzeptieren und sie für das Land in einer Weise fruchtbar zu machen, dass Erfolg und Akzeptanz möglich sind! Da die Natur, die Umwelt und die Klimakrise nicht warten können, bis die Menschen ihre lähmenden Konflikte gelöst haben, versucht die Zivilgesellschaft heute – mit und ohne Hilfe von außen, in der Praxis und an vielen Orten des Landes – die Klimaherausforderungen – und zwar alle Arten von ihnen – zu meistern, bis endlich eine Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen einer Regierung und den "Regierten", also dem Souverän, möglich wird.
Juana López ist Umweltaktivistin aus der nicaraguanischen Atlantikregion, wo sie in einer Familie geboren wurde, in der Analphabetismus und eine zweistellige Kinderzahl pro Familie noch die Regel war. Nach ihrem Studium ging sie zurück in die Autonome Region Nord-Atlantik und engagiert sich seitdem gemeinsam mit den Comunidades und Kleinbäuer*innen für Umweltschutz und Ernährungssouveränität.
Unsere Partner:innen von Acción Médica Cristiana (AMC) sind unmittelbar nach Hurrikan Eta aktiv geworden und versorgen die betroffene Bevölkerung in der Region Río Coco Abajo an der nicaraguanischen Atlantikküste. Sie tragen erneut die Konsequenzen einer zerstörerischen Lebensweise.