Flucht und Migration

Entgrenzte Überwachung

An den EU Außengrenzen wird mit dem Einsatz modernster Technologie zur Kontrolle von Migration experimentiert.

Wir sprachen mit Matthias Monroy, Wissensarbeiter, Aktivist und Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP über den Einsatz von Drohnen und Künstlicher Intelligenz für den Grenzschutz von Morgen.

medico: Die Außengrenzen der EU sind 14.000 Kilometer lang. Seit Jahren forschen und benutzen sowohl die EU als auch ihre Mitgliedstaaten Technologien zu deren Überwachung. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex operiert bereits über dem Mittelmeer mit Drohnen. Darüber hinaus finden verschiedenste Beobachtungstechnologien Anwendung oder werden erprobt. Wie funktioniert das?

Matthias Monroy: Die Überwachung aus der Luft spielt eine immer größere Rolle bei der Grenzüberwachung. Ich sage übrigens nicht Grenzschutz, weil man damit ja auch annimmt, dass Grenzen schützenswert seien. Frontex hat kurz nach dem langen Sommer der Migration, der von der EU als Krise deklariert wurde, angefangen einen Luftüberwachungsdienst aufzubauen. Der Hintergrund ist, dass Frontex schon immer Flugzeuge und Hubschrauber hatte, diese wurden aber von den Mitgliedsstaaten gestellt. Das hat nicht immer so gut geklappt, sodass Frontex ab 2016 angefangen hat eine eigene Flotte aufzubauen, um unabhängiger zu werden. Das waren erst gecharterte Flugzeuge von privaten Firmen, die auch Geschäftsreisen damit anbieten. Genauso können diese Flugzeuge aber auch mit Kameras ausgerüstet und an den Außengrenzen eingesetzt werden. Die Firma DEA aus Großbritannien zum Beispiel ist auf solche Überwachungsflüge spezialisiert und fliegt auch für Frontex.

Gleichzeitig hat Frontex angefangen, auch mit Drohnen zu experimentieren. 2021 begann dann der reguläre Drohneneinsatz von Frontex von Malta aus. Es handelt sich um eine Drohne aus israelischer Produktion, die seit 2010 – ebenfalls unbewaffnet – auch von der Bundeswehr eingesetzt wird. Inzwischen gibt es eine zweite Frontex-Drohne, die auf Kreta stationiert ist. Die eine wird im zentralen Mittelmeer und die andere im Ionischen Meer eingesetzt. Letztere ist erst kürzlich abgestürzt. Mal sehen, wer dafür die Kosten tragen muss: War der Auftragnehmer Airbus schuld an dem Crash, muss deren Rüstungsparte in Bremen zahlen, war es ein technischer Defekt, geht das wohl zulasten des Herstellers IAI.

Immer wieder kritisieren Seenotrettungsorganisationen, dass die mit Drohnen gewonnenen Informationen auch an die sogenannte libysche Küstenwache weitergegeben werden. Stimmt das?

Frontex darf normalerweise keine operativen Informationen – also solche aus Einsätzen – an Staaten außerhalb der EU weitergeben, das ist verboten. In bestimmten Fällen gibt die Agentur aber tatsächlich Informationen an Drittstaaten weiter, soweit bekannt auch an Libyen. Das passiert, wenn Boote als Seenotfall klassifiziert werden. Pilot:innen und Kapitän:innen sind nach dem Völkerrecht verpflichtet, in solchen Notfällen die zuständigen Seenotleitstellen zu informieren. Insofern kann Frontex gut argumentieren: "Naja, wir müssen ja die Libyer informieren, denn ein Schiff ist in Seenot". So bekommen die dortigen Behörden die Positionsdaten von Booten mit Geflüchteten, auch wenn das keine Echtzeitdaten sind. Es ist zudem bekannt geworden, dass es über WhatsApp einen direkten Draht zwischen Frontex und libyscher Küstenwache gab und wahrscheinlich immer noch gibt.

Wie reihen sich Drohnen in die Repression gegen Geflüchtete ein?

Die Drohnen fliegen für EU-Staaten – derzeit Malta und Griechenland – und diese können mit den gewonnenen Informationen machen, was sie wollen. Ich glaube aber, dass die Zusammenarbeit zwischen Italien und Libyen sehr viel enger ist, als die zwischen Frontex und Libyen. Italien braucht Frontex nicht für die Luftüberwachung, denn es hat eigene Flugzeuge und Drohnen im Mittelmeer. Das Land hat Libyen auch dabei geholfen, ab 2018 eine grundsätzliche Infrastruktur für Pullbacks aus der EU zu schaffen. Wie schon gesagt: Nach dem See- und Völkerrecht müssen Seenotleitstellen von Pilot:innen und Kapitän:innen über Notfälle informiert werden – Libyen hatte so eine Stelle aber gar nicht, also hat die EU eine solche bezahlt, damit, nach dem langen Sommer der Migration, Libyen Anrufe entgegennimmt und eigene Boote losschicken kann. Denn weder EU-Staaten noch Frontex dürfen Geflüchtete selbst nach Libyen zurückbringen, das wäre ein illegaler Pushback. Die libysche Küstenwache darf aber natürlich Menschen ins eigene Land bringen, das ist dann auch noch völkerrechtskonform.

Überspitzt lässt sich sagen: Das war ein Trick, denn die EU hat eine Luftüberwachung für Libyen aufgebaut, dessen Küstenwache bekommt von Frontex jetzt die nötigen Informationen, um Menschen auf dem Mittelmeer zurückzuholen. Die Zurückgebrachten enden oft erneut in den libyschen Lagern, wo sie Misshandlungen ausgesetzt und aus denen sie sich zuvor freigekauft hatten. Verbindungen zwischen der Küstenwache und denjenigen, die die Abfahrten nach Europa organisieren, führen zu einem profitablen Kreislauf auf Kosten der Geflüchteten. Ein anschauliches Beispiel, wie die Kontrolle der Außengrenzen nicht zur Beendigung von Gewaltverhältnissen führt, wie oft argumentiert wird, sondern zu deren Reproduktion.

Zeitgleich arbeitet die EU auch an der fortschreitenden Externalisierung ihrer Außengrenzen. In Libyen fliegen sie und führen zu Angriffen auf vermeintliche Menschenhändler, bei denen auch Migrant:innen verletzt wurden. Drohnen werden aber auch in anderen Drittstaaten eingesetzt. Wie werden sie dort genutzt?

Da ist vor allem die Türkei zu nennen, die in den letzten zehn Jahren in der Drohnenindustrie zu einem „Shooting-Star“ geworden ist. Die Türkei hat verschiedene Drohnenhersteller, der bekannteste ist Baykar Makina, der die Drohne Bayraktar TB-2 produziert. Das Modell war auch im libyschen Bürgerkrieg im Einsatz. Die waffenfähigen Bayraktar-Drohnen haben viele Kampfangriffe durchgeführt, dabei ist auch ein Gefängnis voller Geflüchteter getroffen worden. Es wäre nicht richtig zu denken, dass Migrant:innen gezielt von Drohnen angegriffen werden. Aber es gibt Grenzfälle. Die Türkei hat Verträge mit etwa 30 Staaten, an die sie Drohnen liefert. Ein großer Teil davon geht nach Afrika, wo sie in Grenzregionen gegen sogenannte „Terroristen“ eingesetzt werden. Das sind oft Strukturen, die traditionell ins Schleusergeschäft verwickelt sind. Und daher können solche Angriffe auch Migrant:innen treffen.

Wir haben uns bis jetzt sehr auf den Einsatz von Drohnen fokussiert, welche Überwachungstechnologien gibt es noch?

Wenn es um fliegende Technologien geht: Frontex hat auch Zeppeline ausprobiert, sie sind an ein rund 1000 Meter langes Kabel, angebunden, über das sie mit Strom versorgt werden und so über Wochen in der Luft bleiben können. Aerostat ist der technische Ausdruck dafür. Die Technik wurde auf der griechischen Insel Samos getestet, um die Grenze zur Türkei zu beobachten, die an der engsten Meeresstelle nur vier Kilometer entfernt ist. Auch am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros war sie im Einsatz. Darüber hinaus benutzt Frontex auch Satellitentechnologie der EU, aber mittlerweile ist es praktischer Daten privater Satellitenunternehmen wie SpaceX zu kaufen, die viel hoch aufgelöstere Bilder anbieten. Zugleich forscht Frontex an Höhenseglern, die monate- oder bis zu einem Jahr lang in der Luft bleiben können. Es gibt auch Ballons, die in diesen Höhen fliegen und die anders als Flugzeuge oder Drohnen über einem Gebiet bleiben und es aus 25 Kilometern Höhe beobachten können.

Wie schätzt du diese Technologien in der Zukunft ein? Welche Rolle spielen hier Künstliche Intelligenz und komplett autonome Systeme?

Es hat 10-20 Jahre gebraucht, bis einst für das Militär entwickelte Drohnen für die Grenzüberwachung Einzug hielten. Genauso würde ich das auch bei vollautonomen Systemen einschätzen. Momentan gibt es diese noch nicht mal beim Militär, egal ob bei Angriffen oder Aufklärungsmissionen, es sind immer noch Menschen in der Befehlskette, die schauen, ob die Drohne tut, was sie soll. Allerdings werden immer mehr dieser Routinen automatisiert, insofern ist die Gefahr schon real. Problematisch ist aber auch die Zusammenführung von gesammelten Daten mit polizeilichem Wissen, um diese mit offen verfügbaren Informationen zu verknüpfen und Vorhersagen treffen zu können. Zum Beispiel will Frontex ermitteln, wann und wo Geflüchtete an welchen EU-Außengrenzen ankommen. Auch selbstorganisierte Flüchtlingslager in Marokko werden aus diesem Grund beobachtet, unter anderem per Satellit. So wollen die Grenzbehörden einschätzen können, wann die Menschen versuchen könnten, den Zaun nach Melilla oder Ceuta zu stürmen. Die Arbeit mit derart automatisierten Entscheidungshilfen im Bereich von Informationstechnologien nimmt bei der Polizei überall zu, auch bei Frontex. Das ist wirklich gefährlich.

Das Gespräch führte Caspar Ermert

Veröffentlicht am 31. Oktober 2023

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