Afghanistan

Die Komplizen der Taliban

16.07.2025   Lesezeit: 6 min  
#menschenrechte 

Hunderttausende afghanische Geflüchtete werden aus Pakistan und dem Iran abgeschoben. Deutschland verweigert gefährdeten Afghan:innen derweil die Einreise.

Von Vincent op ‘t Roodt

Hunderttausende afghanische Geflüchtete werden derzeit aus Pakistan und dem Iran abgeschoben – zurück in die Herrschaft der Taliban, die von Verfolgung, Gewalt und humanitärer Not geprägt ist. Deutschland verweigert derweil weiterhin gefährdeten Afghan:innen mit Aufnahmezusage die Einreise und plant stattdessen Abschiebeflüge nach Afghanistan. 

In Afghanistan herrschen weiter Gender-Apartheid, massive Diskriminierung von Minderheiten, Hunger, medizinischer Notstand und extreme Armut. Zudem trifft Abgeschobene die gezielte Verfolgung durch die Taliban. Neben zahlreichen Festnahmen wurden Berichten zufolge Ende Juni drei aus dem Iran abgeschobene Personen von den Taliban als Regimegegner identifiziert und enthauptet. Die medico-Partnerin Roshana Kohistani*, die vor vier Jahren vor den Taliban in den Iran fliehen musste, sagt: "Ein Bekannter von mir wurde kurz nach seiner Ankunft in Afghanistan getötet. Ich habe Angst, dass mir das gleiche passiert. Ich bin eine bekannte Menschenrechtsaktivistin – mein Leben steht auf dem Spiel."

Verfolgung im Iran

Die Situation afghanischer Geflüchteter im Iran ist seit Jahren geprägt von Erniedrigung, Ausbeutung und Abschiebungen. Nach den Luftangriffen Israels und der USA verschärft sich die Lage weiter: Afghanischen Geflüchteten wird der Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmitteln, Wohnungen bis hin zu Notunterkünften verwehrt. Gleichzeitig intensiviert das iranische Regime die Repression und Massenabschiebungen – befeuert durch die Propaganda der Staatsmedien, die Afghan:innen pauschal als "israelische Spione" diffamieren.

Roshana Kohistani berichtet: "In den letzten Wochen wurden etliche Razzien durchgeführt und Kontrollposten errichtet – insbesondere in Großstädten wie Teheran, Qom und Isfahan. Afghanische Geflüchtete ohne Aufenthaltsgenehmigung werden festgenommen, ihrer Habseligkeiten beraubt, unter menschenunwürdigen Bedingungen in Abschiebelagern inhaftiert und dann brutal abgeschoben." Seit Juni 2025 sind bereits knapp 600.000 Afghan:innen aus dem Iran nach Afghanistan zwangsweise zurückgekehrt oder abgeschoben worden, teilweise mehr als 40.000 an einem einzigen Tag. "Wer noch nicht abgeschoben wurde, lebt in ständiger Angst alles zurücklassen zu müssen und den Taliban ausgeliefert zu werden", sagt Roshana Kohistani. "Es gibt keinen Ausweg. Wir sind gefangen zwischen zwei Feuern."

Angesichts der katastrophalen Folgen der Massenabschiebungen von afghanischen Geflüchteten aus dem Iran leisten die medico-Partner:innen in der grenznahen Provinz Herat überlebenswichtige Nothilfe. Eine Helferin berichtet: "Die Menschen haben nichts – kein Wasser, kein Essen, kein Obdach und keine medizinische Versorgung. Sie stranden an der Grenze unter der glühenden Sonne. Manche Kinder sind schon gestorben."

Die Gruppe "Reza Kar Herat" versorgt Familien, die sonst keinerlei Unterstützung haben: „Wir helfen vor allem alleinstehenden Frauen mit Kindern, die nirgendwohin zurückkehren können. Wir geben ihnen Mehl, Reis, Öl und Hygieneartikel, damit sie überleben können.“ Wegen drohender Repressalien arbeitet die Gruppe im Verborgenen: "Wir versuchen jenseits des Blicks der Taliban zu arbeiten. Die verschließen ohnehin ihre Augen vor dem Elend der Menschen", sagt Leyla. Sie warnt: “Es werden immer mehr Menschen abgeschoben. Wenn es nicht mehr Hilfe gibt, werden noch viele sterben. Selbst wir können kaum überleben. Für Abgeschobene ist es noch schlimmer.”

Aufnahmestopp in Deutschland, Lebensgefahr in Pakistan

Pakistan, neben dem Iran seit Jahrzehnten zweitgrößter Zufluchtsort afghanischer Geflüchteter, hat bereits vor Monaten damit begonnen massenhaft abzuschieben. Seit dem Start eines sogenannten „Rückführungsplans“ Ende Oktober 2023 wurden bereits 1,3 Millionen afghanische Geflüchtete zur Rückkehr nach Afghanistan gezwungen.

Betroffen davon sind selbst die rund 2.300 besonders gefährdete Afghan:innen mit einer Aufnahmezusage für Deutschland, die in quälender Ungewissheit in Islamabad festsitzen. “Es gibt Menschen, die vor drei Jahren wegen ihrer Aufnahmeverfahren nach Pakistan kamen. Ihr gesamtes Geld ist aufgebraucht. Viele Kinder konnten seit vier Jahren nicht zur Schule gehen”, sagt der medico-Partner Ahmad Mostafa*, der von den Taliban verfolgt wird, weil er im Untergrund ihre Menschenrechtsverbrechen dokumentierte. Seit über einem Jahr harrt er nun selbst in Islamabad aus. Die Verzweiflung ist unermesslich, es wird bereits von Suiziden berichtet. 

Doch anstatt den Aufnahmeprozess zu beschleunigen hat das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den letzten Monaten vermehrt, Aufnahmezusagen aufgehoben. Seit Mai 2025 sind bereits über 250 Menschen betroffen – ihnen droht die Abschiebung nach Afghanistan. Von der pakistanischen Polizei werden Menschen mit Aufnahmezusage währenddessen bei Razzien auf der Straße und in GIZ-Unterkünften festgenommen. Bisher konnten Abschiebungen durch Interventionen der deutschen Botschaft noch verhindert werden. Ahmad Mostafa: "Ich kann das Haus kaum verlassen, aus Angst vor der Polizei. Ich sitze fest. Ich kann nicht zurück nach Afghanistan, nicht in den Iran, nicht in Pakistan überleben – und Deutschland nimmt mich nicht auf."

Die von der Bundesregierung geplante Aussetzung der Aufnahmeprogramme liefert akut bedrohte Afghan:innen der Abschiebung aus – und damit der Gefahr von Inhaftierung, Folter und Tod. Wie ein neues Rechtsgutachten im Auftrag von PRO ASYL und dem Partnerschaftsnetzwerk Afghanistan darlegt, macht sich die Bundesregierung damit strafbar. Zudem entschied das Berliner Verwaltungsgericht am 7. Juli im Fall einer Afghanin und ihrer Familie mit Aufnahmezusage, dass den Kläger:innen die Einreise unverzüglich zu ermöglichen sei.

Und dennoch bleiben Visaerteilung und Einreisen ausgesetzt. Zwar kündigte Außenminister Johann Wadephul an, Aufnahmezusagen in “rechtsverbindlicher Form” einhalten zu wollen. Offensichtlich versucht sich die Bundesregierung jedoch früherer Aufnahmezusagen der Vorgängerverfahren des Bundesaufnahmeprogramms (BAP), die als „unverbindlich“ interpretiert werden, zu entledigen – was über 1000 Menschen beträfe. Zudem ist zu erwarten, dass bestehende Zusagen des BAP erneut nach möglichen Widerrufsgründen durchkämmt werden und die Zahl der Ablehnungen weiter zunimmt. Statt ihrer rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, setzt die Bundesregierung auf systematische Verantwortungslosigkeit – und nimmt wissentlich massive Menschenrechtsverletzungen in Kauf. 

Komplizin der Taliban

Auch innerhalb Deutschlands werden die Schutzrechte von Geflüchteten aus Afghanistan zunehmend in Frage gestellt. Die Schutzquote für geflüchtete afghanische Männer ist von über 90 Prozent in 2024 auf 57 Prozent im laufenden Jahr eingebrochen. Parallel dazu bereitet die Bundesregierung tatkräftig die Umsetzung ihres Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag vor, künftig wieder nach Afghanistan abzuschieben – "beginnend mit Straftätern und Gefährdern". Der nächste Abschiebeflug könnte schon in den nächsten Tagen erfolgen. Obwohl die Pläne eindeutig menschenrechtswidrig sind, kündigte Bundesinnenminister Dobrindt kürzlich an, hierfür direkte Vereinbarungen mit den Taliban treffen zu wollen. Die Taliban zeigen sich ihrerseits offen dafür, Straftäter:innen aufzunehmen – den Betroffenen droht dort gemäß der radikalen Auslegung des islamischen Rechts eine Zweitbestrafung. 

Nachdem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) letzte Woche gegen Haibatullah Akhundzada, den Obersten Führer sowie Abdul Hakim Haqqani, den Obersten Richter der Taliban, Haftbefehle erlassen hat, werden nun also – in den Worten des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig – "die obersten politischen Vorgesetzten jener steckbrieflich gesucht, mit denen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt über regelmäßige Abschiebungen verhandeln will." Und so wird dieses Regime, das kürzlich von Russland weltweit erstmalig offiziell anerkannt wurde, auch von Deutschland legitimiert und aufgewertet. 

Während die Taliban in Afghanistan ihre Gewaltherrschaft ausbauen, entrechten Staaten wie Deutschland, Iran und Pakistan diejenigen, die davor fliehen. Damit verschaffen sie dem Regime faktisch internationale Anerkennung. Die repressive Abschiebepolitik treibt afghanische Geflüchtete in eine tödliche Falle. Wer ihnen den Schutz verweigert und die Menschen abschiebt, macht sich mitschuldig an ihrer Verfolgung bis zur Tötung. 

* Name aus Sicherheitsgründen geändert.

Vincent op ‘t Roodt ist bei medico international für das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan zuständig.


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