Syrien

Das Land gehört allen!

28.05.2025   Lesezeit: 3 min  
#syrien  #versöhnung 

Im Dezember 2024 kollabierte das Assad-Regime. Die Zukunft Syriens ist jedoch mehr als ungewiss. Wie kann eine demokratische gesellschaftliche Ordnung entstehen, wie das Unrecht aufgearbetet werden? Fragen an die medico-Partnerin Huda Khayti

Der 2011 begonnene Aufstand gegen das Assad-Regime schien gescheitert zu sein. Hast du dir den Sturz des Systems noch vorstellen können?

Ja, ich war immer optimistisch, dass wir eines Tages frei sein würden. Das Regime war schon länger am Ende, politisch, ökonomisch und militärisch. Hinzu kam die Standhaftigkeit vieler Menschen, die einfach nicht mehr von einem mörderischen System beherrscht sein wollten. Viele haben schon in den ersten Tagen nach dem Sturz damit begonnen, Bäume zu pflanzen, Straßen zu säubern und das Land wieder aufzubauen.

Du bist im Dezember gleich nach Damaskus gefahren. Was hast du dort erlebt?

Ich hätte mir nicht träumen lassen, wie schlecht die Situation in der Hauptstadt ist. Die Menschen haben Hunger, sie frieren, sind erschöpft. Alles ist marode, es gibt kaum Strom, das Internet funktioniert nur schlecht. Aber auch die sozialen Beziehungen sind zerstört. Damaskus unterlag einem strikten Kontrollregime, bis weit in den privaten Bereich waren Spitzel am Werk. Der Kampf ums Überleben hat Solidarität in den Hintergrund rücken lassen. Es gibt also ganz unterschiedliche Erfahrungen, je nachdem, ob man in befreiten Gebieten oder noch unter der Herrschaft des Regimes gelebt hat. Um diese Kluft zu überwinden, braucht es so etwas wie einen neuen Gesellschaftsvertrag und Versöhnungsprozesse bis hinein in die Gemeinden. Die syrische Erfahrung zeigt aber, dass wir das schaffen können, auch wenn es Rückschläge gibt und geben wird.

Ein schwerer Rückschlag war das Massaker, das Milizen in diesem Frühjahr an der alawitischen Minderheit begangen haben.

Wir brauchen eine Übergangsjustiz, die diesen Namen verdient, und zwar hier in Syrien, nicht außerhalb. Alle Täter müssen gemäß der Schwere ihres Vergehens bestraft werden. Es geht um gesellschaftlichen Frieden und Versöhnung, nicht um die Begleichung alter Rechnungen. Die Aufarbeitung beginnt also bei all jenen, die während der letzten 14 Jahre Menschenrechte gebrochen haben. Und sie reicht bis zu denjenigen, die dieses Massaker begangen haben. Hätte die Übergangsregierung sich ernsthaft darum bemüht, erste Schritte einer Übergangsjustiz zu implementieren, wäre es dazu vielleicht nicht gekommen. Wiedergutmachung für Kriegsgeschädigte, für Angehörige von Opfern des Regimes, sei es Folter, Gefängnis, Tod, Vertreibung oder Kriegsverletzung: All das muss im Zentrum des politisch-sozialen Wiederaufbaus des Landes stehen. Syrien gehört allen!

Du setzt dich seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen ein. Birgt der Sturz des Regimes die Möglichkeit, dass Frauen künftig eine andere Rolle im Land zukommt?

Ich bin überzeugte Feministin und organisiere seit 14 Jahren Frauenzentren, auch unter Belagerung durch das Regime und trotz Anfeindungen von sehr konservativen Gruppen. In Idlib hatte ich anfangs auch große Schwierigkeiten mit der HTS als lokaler Behörde. Heute ist die Situation anders: Die HTS akzeptiert unser Zentrum. Viele Frauen von HTS-Angehörigen kommen sogar zu uns, um zu reden und sich fortzubilden. Das politische Empowerment von Frauen wird einen wichtigen Beitrag in dem politischen Übergangsprozess leisten. Ich glaube fest daran, dass Frauen eine entscheidende Rolle dabei zukommt, die syrische Gesellschaft zusammenzubringen und zu befrieden.

Wie kann Syrien in zehn Jahren aussehen?

Am wichtigsten ist, dass wir in Zukunft auf die Revolution zurückblicken und sagen können: Ja, es hat lange gedauert, aber wir haben gesiegt und es war nicht umsonst.

Die Fragen stellte Imad Mustafa.

Die von Huda Khayti organisierten Zentren bieten für Frauen psychosoziale Unterstützung und Fortbildungsmöglichkeiten. medico unterstützt sie und diejenigen, die ein demokratisches Syrien trotz Bürgerkrieg und Terror nicht aufgegeben haben – von Rojava bis Damaskus. Dabei ging und geht es um Nothilfe, Aufarbeitung von Verbrechen, Gesundheitsversorgung und die Stärkung feministischer Kämpfe.


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