Von den Grundlagen des Überlebens

Pilotprojekt in einem Landbesetzerdorf in Maranhão

Der Bundesstaat Maranhão im Norden des lateinamerikanischen Riesenlandes wird hin und wieder mit dem seltsam anmutenden Spitznamen »Kongo Brasiliens« betitelt. Das ist kein Verweis auf die Herkunft, sondern auf die Armut seiner Bewohner. Brasilien verzeichnet den weltweit größten Unterschied zwischen arm und reich. Maranhão ist dafür das Synonym. Die berühmte Großgrundbesitzerfamilie Sarney regiert den zweitärmsten Bundesstaat von ihren Latifundien aus wie einen Privatbesitz. Riesige Landgüter besitzen hier auch Filmstars, Mannequins oder populäre Musikgruppen. Der Reichtum der Oberschicht versperrt den Blick für die Lebenswirklichkeit derer, die nichts besitzen. 63 Prozent der Bevölkerung Maranhãos leben unterhalb der Armutsgrenze, gerade die Hälfte der Leute verfügt über fließendes Wasser, kann lesen und schreiben. Bei weniger als einem Drittel der Leute wird der Müll entsorgt. Nur ein Prozent des Landeshaushaltes wird für Gesundheitsversorgung ausgegeben. Im Bundesstaat der Großgrundbesitzer versucht das MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra), die »Bewegung der Landlosen«, die längst überfällige Agrarreform von unten durchzusetzen: mit Landbesetzungen. Momentan hat die Bewegung 13 Ländereien besetzt; 45 früher besetzte Güter sind heute legalisierte Siedlungen, in denen Tausende Familien leben: Projekte der Armutsbekämpfung und der Inrechtsetzung der Armen und Ausgegrenzten in einem.

Seit dem Jahr 2005 kooperiert medico mit dem MST. In Maranhão hat im Herbst in der seit 1994 legalen Ansiedlung »Diamante Negro« ein gemeinsames Pilotprojekt begonnen. Der Aufbau einer Wasser- und Abwasserversorgung soll in Verbindung mit Fortbildungsmaßnahmen im Umgang mit Hygiene, Abfall und Kompost die Gesundheitssituation der etwa 800 Bewohner maßgeblich verbessern. Zunächst wurden die Lage vor Ort und die Bedürfnisse der Bevölkerung in einer Befragung untersucht. Das Ergebnis spricht Bände. »Es gibt,« so heißt es, »nicht einmal eine minimale Basisgesundheitsversorgung. Der fehlende Zugang zu Gesundheit und Bildung führt dazu, dass die Menschen ihre Bürgerrechte weder kennen noch ausüben können.«

Derselbe Teufelskreis spiegelt sich auch im Alltag der Bewohner von »Diamante Negro«. Weil es keine Kenntnisse über einen umweltschonenden Umgang mit den Abfällen gibt, wird überall kompostierbarer Müll verbrannt. Der allgegenwärtige Rauch rührt aber auch von der Verbrennung von Nussschalen her, mit der die Leute Brennmaterial gewinnen, um kochen zu können. Die verrußte Luft führt vor allem bei den Kindern zu Atemwegserkrankungen. Das größte Gesundheitsproblem des Ortes sind allerdings die Abwasser. Der künstliche Brunnen, der die Bewohner mit Brauchwasser versorgt, wird nicht gewartet, die Auffangbecken der Plumpsklos laufen im Winter regelmäßig über. Schließlich grassieren im Dorf von Tieren übertragene Krankheiten wie Leishmaniose, weil Hühner, Katzen, Hunde, Schweine und Ziegen ungehindert umherlaufen.

Das wichtigste Resultat der Studie ist allerdings, dass 75 Prozent der Gesundheitsprobleme durch Eigenanstrengungen der Leute behoben werden könnten. Mit der Unterstützung medicos wird das MST deshalb eine Abwasseranlage errichten, die auch den heftigen Regenfällen des Winters standhält. Zugleich aber werden Kurse zur Aus- und Fortbildung in Umwelt- und Gesundheitsfragen durchgeführt, und schließlich werden 67 junge Leute aus der näheren und weiteren Umgebung in dreijähriger Schulung zu Gesundheitstechnikern mit staatlich anerkanntem Diplom ausgebildet. Die Kursteilnehmer kommen selbst aus MST-Siedlungen oder wurden von anderen sozialen Bewegungen entsandt, der Kurs selbst wird mit Unterstützung einer Universität durchgeführt und ist, anders als die staatlichen Studiengänge, unmittelbar auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der armen Landbevölkerung zugeschnitten.

Wir bitten um Ihre weitere Unterstützung unter dem Spendenstichwort: Brasilien.

Veröffentlicht am 01. November 2007

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