ThyssenKrupp - verantwortungslos

Das Unternehmen will Stahlwerk in Rio schnell loswerden und keine Entschädigungen zahlen

Schnee und Matsch in Bochum halten tausende von Anlegerinnen und Anlegern, darunter viele Kleinaktionäre, nicht davon ab an dieser Versammlung teilzunehmen. Denn die 12. Aktionärsversammlung von ThyssenKrupp an einem Freitag Mitte Januar unterscheidet sich von allen davor gewesenen. Heute geht es nicht nur um die Zukunft eines der traditionsreichsten deutschen Industrieunternehmen, sondern um die schiere Existenz. Die Milliarden hohen Fehlinvestitionen, verursacht durch neue Stahlwerke in der Bucht von Rio de Janeiro und in Alabama und andere gravierende Managementfehler, stürzen das Unternehmen in die schlimmste Krise seiner Geschichte.

Aktionäre ohne Rendite

Am Eingang der Kongresshalle gleich neben dem Stadion des Vfl Bochum stehen die Aktionäre Schlange – größtenteils ältere Herrschaften, die mit unverwechselbaren Zungenschlag des Ruhrgebiets über die Krise sprechen. Offenkundig sind viele von ihnen ehemalige Beschäftigte, die in den kommenden Stunden ungeahnte Angriffe auf den Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme und sogar den 99jährigen Berthold Beitz, der grauen Eminenz des Konzerns, erleben werden.

Ausgerüstet mit Schutzmasken und Bannern stehen auch wir vor dem Eingang und verteilen Informationen über die Situation Fischer und Anwohner des Stahlwerkes in der Bucht von Rio de Janeiro. Wir – das sind Vertreterinnen und Vertreter des Dachverbands kritischer Aktionäre, der Brasilien-Initiative KOBRA, des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) nd zum ersten Mal auch medico international. Seit vielen Jahren kritisieren Markus Dufner (kritische Aktionäre), Christian Russeau (FDCL) und Marcos da Costa Melo( Kobra) an diesem Ort die Fehlinvestition in Brasilien, die Menschenrechtsverletzungen, die das Stahlwerk durch die Zerstörung der Bucht und die gesundheitsschädlichen Emissionen an 8000 Fischern und 40.000 Anwohnern zu verantworten hat. Früher seien sie oft beim Verteilen der Informationen unflätig beschimpft worden, berichten sie. Dieses Jahr finden die Flugblätter guten Absatz. Jeder und Jede weiß hier, dass das mehrheitlich von ThyssenKrupp getragene Stahlwerk in Brasilien einer der Gründe dafür ist, dass es zum ersten Mal keine Dividende für Aktionäre geben wird. Die Aktionäre fühlen sich als Opfer einer kurzfristigen Gewinnstrategie und da haben sie auf einmal etwas mit den 8000 verarmten Fischern und den gesundheitlich beeinträchtigen Anwohnern in der Bucht von Rio gemeinsam.

Potemkinsche Dörfer

Die Eingangsrede des Aufsichtsvorsitzenden von ThyssenKrupp Cromme widmet sich gleich in den ersten Sätzen dem Desaster von Steel Americas, also den US-amerikanischen und brasilianischen Stahlwerken, die größtenteils Thyssen-Krupp gehören. Crommes Umgang mit dem Thema macht deutlich, woran Konzern gescheitert ist. Er bestreitet jede Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für das Desaster. Und so wie man einst den Beratern von McKinsey glaubte, dass das Stahlwerk in Brasilien schnell riesige Gewinne abwerfen würde, so werden jetzt andere Berater angeführt, um zu beweisen, dass der Aufsichtsrat seine Aufsicht nicht verletzt hat.

Erst der neue Direktor von ThyssenKrupp, Hiesinger spricht eine klarere Sprache. Seilschaften innerhalb des Unternehmens hätten verhindert, dass die Wahrheit des Scheiterns dieser gigantomanischen Großprojekte rechtzeitig ans Tageslicht dringt. Ein Dossier der Wochenzeitung „Die Zeit“, das im Frühsommer letzten Jahres erschien, zeichnete am Beispiel des Stahlwerks in Rio detailliert nach, wie die tollkühnen Rechnungen der Berater auf künftige Gewinne nur noch als Potemkinsche Dörfer für Vorstand und Aufsichtsrater aufrecht erhalten wurden.

Bei aller Kritik an dem internen Missmanagment bleibt die Tatsache, dass die geplanten schnellen Gewinne im Stahlbereich von Anfang an und offenkundig schlechtere Umweltstandards und existentielle sowie gesundheitliche Risiken für die Anwohner als Teil der Rendite einkalkulierten. Das wussten Vorstand und Aufsichtsrat von Anfang an. Im Zeit-Dossier wird der zuständige Staatsanwalt in Rio Daniel Lima Ribeiro mit Satz zitiert: „Das ist wilder Kapitalismus“. Dieses Werk, so Ribeiro, würde so nicht in Deutschland stehen.

Während der Staatsanwalt, Anwohnerinitiativen mit Unterstützung der brasilianische NGO und medico-Partner PACS seit Jahren gegen diese doppelten Standards kämpfen und Entschädigungen durchsetzen wolle, stellt ThyssenKrupp diese Frage hintenan. Und auch die Medien, die eifrig vor der Aktionärsversammlung Stimmen sammeln. Aus ihrer Sicht ist die Gesundheitssituation der Menschen in Rio eine Detaille-Frage gegenüber der Frage, ob ein Unternehmens mit 150.000 Mitarbeitern weltweit weiter existieren wird.

Cromme Teflonpfanne

Auf der Aktionärsversammlung werden die unterschiedlichen Interessen deutlicher. Bankenvertreter gehen in einer Schärfe mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme ins Gericht, dass man sich in eine der angriffslustigen Debatten unterschiedlicher Strömungen der 68er Bewegung versetzt fühlt. Er sei wie eine Teflon-Pfanne, von der jeder Vorwurf abperle. Er solle unverzüglich die Versammlungsleitung aufgeben. Hackt hier doch eine Krähe der anderen ein Auge aus? Oder ärgern sich die Bankenvertreter, dass sie das Unternehmen nicht zerschlagen und die lukrativen Teile herauslösen können? Denn die Thyssen-Krupp Stiftung unter Vorsitz von Berthold Beitz verhindert das bislang mit ihrem Einfluss. Einzig der Vertreter der Raiffaissen-Banken fordert von dem neuen Vorstandschef nicht nur einen Kulturwandel in den betrieblichen Abläufen, sondern auch in den Investitionen. Er nimmt TKCSA in Brasilien aber auch die Rüstungsgeschäfte in den Nahen Osten, unter anderem U-Boote für Saudi-Arbien und atomwaffenfähige U-Boote für Israel, als Beispiel für seine Forderung nach einem Kulturwandel für die Investitionspolitik . Auch sie müsse nach ethischen Kriterien ausgerichtet sein.

Fragwürdige neue Unternehmenskultur

Nach endlosem Warten und verkürzter Redezeit kommen auch die zu Wort, die sich seit Jahren für die Umwelt – und Gesundheitsrechte der Anwohnerinnen und Anwohner in Rio einsetzen. Christian Russau greift in seiner Rede die fortgesetzte Verharmlosungspolitik von ThyssenKrupp in Brasilien scharf an. Er sei es leid, „Falsches, Widersprüchliches und Lückenhaftes als Auskunft zu bekommen“. Und Markus Dufner nimmt die Verheerungen in der Bucht vom Sepetiba zum Anlass darauf zu verweisen, dass nur von einer neuen Unternehmenskultur die Rede sein kann, wenn angemessene Entschädigungen für Fischer und Anwohner gezahlt würden: „Zu einer guten Unternehmenskultur gehört es auch, sich um die Gruppen zu kümmern, die durch die Unternehmensaktivitäten Nachteile erleiden. Mit Entschädigung meine ich nicht die paar Millionen Euro, mit denen einige soziale Projekte für die Bevölkerung der Region bezahlt wurden. Es geht um eine angemessene Entschädigung für den Verdienstausfall von 8.000 Fischern. Realistisch wäre ein Betrag von 30.000 Euro je Fischer, also annähernd eine Viertelmilliarde Euro.“

Am Ende der Versammlung wurden Vorstand und Aufsichtsrat entlastet. Aber das Abstimmungsergebnis für Cromme war eine Ohrfeige. Statt 95 Zustimmung wie im letzten Jahr erhielt er nur noch 69 Prozent, schlechter schnitt nur das ehemalige Aufsichtsratsmitglied, der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ab. Für die Entschädigungsforderungen der Anwohner und Fischer wird sich das Bündnis aus medico, kritischen Aktionären, FDCL und Kobra weiter einsetzen. Ob wir nächstes Jahr wieder vor der Aktionärsversammlung stehen werden, ist fraglich. Denn ThyssenKrupp tut alles, um die Betriebe in Amerika loszuwerden.

Veröffentlicht am 28. Januar 2013

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