Palästinenser in Israel

Narrativ des Schweigens

Wer spricht zur Situation der Palästinenser? Ein Kommentar von Nahostreferent Riad Othman

Für Amjad Iraqi, der sich beim medico-Partner Adalah in Haifa für die Rechte der arabischen Minderheit in Israel einsetzt, ist nicht erst die Besatzung seit 1967 Ursache für die Erosion der israelischen Demokratie. Vielmehr schreibe sie ein von Anbeginn an auf Ungleichheit fußendes System fort. In einem Artikel resümierte er: "Der ‚Jüdische Staat‘ hat von den Palästinenserinnen und Palästinensern immer schon verlangt, rechtlich und moralisch zu akzeptieren, dass ihre Zugehörigkeit zum Land zweitrangig gegenüber der von Jüdinnen und Juden sei; dass der Preis für den Frieden das Einverständnis zu minderwertigen Rechten sei, ob sie nun Bürgerinnen und Bürger oder beherrschte Subjekte (unter Besatzung) sind." Die 150.000 Palästinenser, die im 1948er-Krieg nicht vertrieben worden oder geflohen waren oder ins neu geschaffene Israel zurückkehren konnten, wurden bis 1966 unter Militärrecht gestellt. Die israelische Regierung kujonierte und verwaltete sie mit den geerbten Instrumenten des britischen Kolonialregimes, stellte Iraqi fest: "Der Staat schärfte seine diskriminierende Politik von Landraub, Checkpoints und brutaler Gewalt gegen seine MinderheitenbürgerInnen, bevor er sie in die palästinensischen Gebiete transferierte." Der als jüdisch definierte Staat mochte zwar in ihrem eigenen Land errichtet worden sein, aber nicht für sie.

Aus diesem Staatsverständnis heraus erwachsen immer neue Vorhaben, dieses zu zementieren, zum Beispiel die gesetzliche Einschränkung der Gedächtniskultur. Seit 2011 dürfen öffentlich geförderte Einrichtungen unter Androhung finanzieller Sanktionen den Tag der Staatsgründung Israels nicht "als Trauertag" im Gedenken an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenserinnen und Palästinenser im Kontext der Entstehung Israels und des Krieges von 1948 begehen. Damit soll das historische Narrativ der palästinensischen Minderheit in Israel im öffentlichen Raum bzw. eine Institutionalisierung von Gedenkveranstaltungen erschwert und, wenn möglich, unterbunden werden. Es soll möglichst nicht daran erinnert werden, dass es eben nicht ein "Land ohne Volk" war und dass die Gründung der so bitter nötigen Heimstätte für das jüdische Volk für jene Anderen eine Katastrophe war – denn das bedeutet das Wort Nakba auf Arabisch, das die Flucht und Vertreibung dieser Jahre bezeichnet.

1966/67 vollzog sich eine fast gegenläufige Entwicklung. Noch bevor Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern im Westjordan-land, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem unter Militärherrschaft und Besatzung gerieten, hatte der israelische Staat im November 1966 das 18-jährige Militärregime gegenüber den eigenen palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern beendet. Zwar hatte die arabische Minderheit damit noch nicht gleiche Bürgerrechte erzielt, war aber in ihrem Kampf um Gleichberechtigung ein bedeutendes Stück vorangekommen. Unterstützt wurde sie dabei immer auch von jüdischen Linken.

Dieses Ringen hält bis heute an und ist u.a. in der politischen Partizipation sichtbar. Koalitionsverhandlungen mit einer arabischen Partei hat es zwar bis heute nie gegeben. Mit der Schaffung der Gemeinsamen Liste ist die palästinensische Minderheit jedoch so stark in der Knesset vertreten wie nie zuvor. Mit 13 Sitzen ist sie drittstärkste Kraft und die größte ernst zu nehmende Oppositionspartei. Ihre Abgeordneten üben durch die Mitarbeit in den Komitees einen gewissen Einfluss auf begrenzte Politikfelder aus. Bei Fragen der Siedlungspolitik aber schließen sich die vermeintlichen Gräben zwischen angeblich gemäßigten Parteien und rechtsnationalen gegenüber der arabischen Opposition sofort.

Zudem sehen sich Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel laut Iraqi nach wie vor mit der Erwartung konfrontiert, sich unterzuordnen und das eigene Narrativ zu verschweigen. Auch mit ihnen solidarisch verbundene jüdische Israelis verspüren zunehmend den Druck, Israel nicht mit Kritik "zu schwächen". Das sei Verrat, denn "ein sehr wichtiger Bestandteil der Besatzung ist die Stille, die sie umgibt", so Yehuda Shaul von Breaking the Silence. Beides verweist auf die Forderung nach der Stummheit der Opfer. "Demokratie in Israel bedeutet, dass sich Israelis mit Israelis über das Schicksal der Palästinenser unterhalten – aber nicht mit ihnen."

Genau das zeigt sich auch bei der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Menschenrechte des Bundestages am 21. Juni 2017. Der Ausschuss hatte vier Deutsche und einen Israeli als Sachverständige eingeladen, um mehr über "Die menschenrechtliche Lage in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten" zu erfahren. Fiel niemandem auf, dass darin genau die Missachtung bestätigt wird, die die Verhältnisse in Ramallah oder Jenin prägen? Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler reflektierte in ihrem Essay Gefährdetes Leben unter anderem über die Beziehung zwischen Repräsentation und Entmenschlichung oder Ver-Menschlichung, darüber, wie "normative Schemata der Verständlichkeit etablieren, was menschlich und nicht menschlich sein wird, welches Leben lebenswert und welcher Tod beklagenswert sein wird". Darin heißt es: "Politik – und Macht – funktionieren, indem sie regulieren, was in Erscheinung treten und gehört werden kann." Im Ausschuss konnte die palästinensische Perspektive nicht in Erscheinung treten.

Veröffentlicht am 13. Juli 2017

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