Krise im Nordirak

IS im Irak: „Das Umfeld austrocknen“

Interview in der Frankfurter Rundschau

medico-Nahostreferent Martin Glasenapp spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über den Kampf gegen die Milizen des "Islamischen Staat", über Kurdistan und angemessene internationale Reaktionen auf den Konflikt.

Herr Glasenapp, die USA unterstützen den Kampf der Kurden gegen die IS-Terroristen mit Waffen. Ist das richtig?

In den kurdischen Gebieten im Irak stößt dies auf große Zustimmung. Während die kurdischen Peschmerga der Barsani-Regierung sich wegen des IS-Vormarschs anfangs zurückzogen und hilflose Zivilisten preisgaben, hat sich die Situation nach den Luftangriffen der USA beruhigt. Es herrscht jetzt große Einigkeit unter allen Kurden, diesem Terror zu widerstehen. Die Luftangriffe finden aber nur im Großraum Erbil statt. In der Nähe des Sindschar-Gebirges, wo IS-Truppen die Jesiden eingekesselt haben und vor allem kurdische Milizen der syrischen PYD, aber auch der PKK versuchen, sie durch einen Schutzkorridor über Syrien in die Autonomieregion zu bringen, haben die USA bislang aber nur Hilfspakete abgeworfen.

Die Unterstützung aus der Luft ist das eine. Die Lieferung von Waffen stärkt die kurdischen Kämpfer aber auch langfristig und hat Folgen für deren Kampf für einen eigenen Staat.

Diejenigen, die sich diesem Terror entgegenstellen und in Syrien und dem Irak das Recht auf kulturelle und religiöse Freiheit schützen, müssen materiell, aber auch politisch unterstützt werden. Das ist auch ein Paradigmenwechsel in der Politik. Es geht nicht mehr um die Frage nach Staatlichkeit, sondern darum, die Kräfte zu fördern, die im weitesten Sinn für Demokratie einstehen und den konfessionalisierten Barbarismus bekämpfen, den die IS-Milizen nicht nur im Irak, sondern auch schon länger in Syrien betreiben. Waffenlieferungen und Luftschläge lösen aber nicht das offenkundige Dilemma, dass es keinen nachhaltigen internationalen Krisenmechanismus für solche Situationen gibt.

Und was könnte die Rolle Deutschlands sein?

Die Bundesregierung müsste wirklich erheblichen Druck auf die Türkei ausüben, den IS-Terroristen dort keinen Ruhe- und Transitraum mehr zu bieten. Angesichts der Ereignisse in den Sindschar-Bergen muss sie aber auch ihre Syrien-Politik überprüfen und endlich politische Kontakte zu allen kurdischen Gruppen, also auch zur bislang geächteten PYD, aufnehmen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung das ideologisch-terroristische Umfeld der IS-Milizen austrocknen. Konkret: keine Waffen an Saudi-Arabien, wo viele Finanziers des salafistischen Terrors sitzen.

Müsste Deutschland nicht mehr tun? Es beteiligt sich zwar nicht an Waffenlieferungen, macht aber auch darüber hinaus nicht viel.

Was der IS den Jesiden antut, wird zu Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Man kann das nicht allein durch eine Aufstockung der Hilfe lösen, sondern muss politisch aktiv werden. Die abwartende Haltung angesichts der Krise in Syrien – aber auch zum Irak – muss überprüft werden. Das betrifft nicht nur die Frage von Versorgungslieferungen. Für uns als Hilfsorganisation ist wichtig, dass es Zugang zu den Bedürftigen, zu den Flüchtlingen gibt. Die Grenze der Türkei zu den kurdischen syrischen Gebieten muss geöffnet und das Streben der syrischen Kurden nach Autonomie anerkannt werden.

Warum schalten sich die Vereinten Nationen nicht endlich via Sicherheitsrat in diesen Konflikt ein?

Die UN sind seit Jahren blockiert, was die Syrien-Politik angeht. Die Ereignisse im Irak haben ihre Ursache unter anderem auch im syrischen Bürgerkrieg. Der Krieg ist übergesprungen und hat sich im Irak zusätzlich entfesselt. Wenn es jetzt keine politische Antwort gibt und die demokratischen Kräfte nicht unterstützt werden, werden sich die Massaker fortsetzen.

Es gibt Meldungen, dass die Luftschläge der USA kaum etwas bewirken und die Versorgungspakete nicht ankommen. Können Sie solche Beobachtungen auch bestätigen?

Es ist eine absurde Situation entstanden. Die IS-Terroristen haben, als sie Mossul eingenommen haben, amerikanische Waffen erbeutet. Die Hubschrauber, die jetzt im Gebirge versucht haben, die Flüchtlinge zu versorgen, wurden mit diesen amerikanischen Waffen bedroht und mussten in sehr großer Höhe fliegen. Viele Flüchtlinge verdursteten, weil viele Hilfsakete deshalb nicht bei ihnen angekommen sind.

Interview: Sabine Hamacher, Frankfurter Rundschau vom 13.08.2014

medico international ist seit vielen Jahren, gemeinsam mit seiner Partnerorganisation Haukari, in den kurdischen Gebieten des Nordiraks tätig und unterstützt dort seine lokalen Partner bei der Versorgung irakisch-arabischer Flüchtlinge, die aus Städten, in denen ISIS die Kontrolle übernommen hat, geflohen sind. Auch in Syrien, in Syrisch-Kurdistan und im Libanon fördert medico international lokale Organisationen und steht den Flüchtlingen in Not zur Seite.

Veröffentlicht am 13. August 2014

Jetzt spenden!