Trump & Jerusalem

Die gefährliche Kraft des Faktischen

Mit der angekündigten Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem droht ein völkerrechtlicher Dammbruch. Von Riad Othman

Als US-Präsident Donald Trump Ende vergangenen Jahres verkündete, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, drohte die Hamas umgehend mit einer dritten Intifada. Tatsächlich kam es Mitte Dezember zu massiven Protesten, bei denen 16 Menschen getötet und rund 3000 Menschen verletzt wurden. Der angedrohte – und befürchtete – Flächenbrand blieb jedoch aus.[1]

Dass es stattdessen vorerst nur zu einem Strohfeuer kam, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen befürchtet die palästinensische Bevölkerung in Jerusalem nicht, dass sich ihre Lage durch die Entscheidung der US-Regierung deutlich verschlechtern wird. Aus ihrer Sicht passte sich die Rhetorik bloß dem langjährigen politischen Handeln Washingtons an.[2] Zum anderen genießen sowohl die im Gazastreifen regierende Hamas als auch die Autonomiebehörde im Westjordanland zu wenig Glaubwürdigkeit, als dass sie die Bevölkerung zu einer Intifada mobilisieren könnten. Vor allem aber hat die Hamas momentan kein Interesse an einer Eskalation. Zwar feuerten militante Palästinensergruppen nach Bekanntgabe der US-Entscheidung zahlreiche Raketen auf Israel ab. Als die israelische Armee jedoch Vergeltungsangriffe auf Hamas-Einrichtungen durchführte, schlug diese nicht zurück, sondern verhaftete einige Salafisten, die sie für den Beschuss verantwortlich macht.[3]

All dies darf jedoch nicht über die dramatischen Folgen hinwegtäuschen, welche die angekündigte Verlegung der US-Botschaft haben wird. Denn tatsächlich droht weit mehr als nur eine vorübergehende Zuspitzung dieses Konflikts, nämlich ein völkerrechtlicher Dammbruch: Ausgerechnet die USA, die sich noch immer als globale Schutzmacht von Demokratie und Freiheit sehen, ignorieren mit der Jerusalem-Entscheidung internationales Recht.

Die unmittelbaren Auswirkungen auf den Nahostkonflikt sind schon jetzt deutlich zu erkennen. Die amtierende israelische Regierung setzt bereits seit längerem alles daran, eine Zweistaatenlösung, die sich nicht zuletzt ein Großteil der Palästinenser wünscht, zu verhindern – indem sie politische Fakten schafft, die eine solche Einigung unmöglich machen. Mit Donald Trump hat sie nun offenbar einen mächtigen Verbündeten gefunden.

Absage an den Multilateralismus

Aus völkerrechtlicher Sicht markiert Trumps Entscheidung, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, nicht weniger als eine Kehrtwende. Laut dem UN-Teilungsplan von 1947 soll ganz Jerusalem als Corpus Separatum unter internationale Verwaltung gestellt werden.[4] Der von Israel 1948/49 eroberte Westteil der Stadt zählt ebenso dazu wie das seinerzeit von Jordanien okkupierte Ost-Jerusalem, das Israel im Krieg von 1967 besetzte. In den vergangenen Jahrzehnten hatte diese Vereinbarung Bestand bzw. galt Jerusalem als zukünftige Hauptstadt beider Staaten. Zwar besuchen ausländische Staatsgäste auch offiziell israelische Einrichtungen im Westteil der Stadt – allerdings ohne damit Jerusalem als israelische Hauptstadt anzusehen. Zugleich erkannten die meisten UN-Mitgliedsstaaten den palästinensischen Anspruch auf Ost-Jerusalem indirekt an, indem sie dessen Status als besetztes Gebiet bestätigten.

Dagegen blockierten die USA Mitte Dezember im UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die den Status Ost-Jerusalems als besetzt bestätigen sollte. 14 der insgesamt 15 Mitglieder des Sicherheitsrats stimmten dennoch für die Resolution. Allein die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, legte ihr Veto ein.[5] Daraufhin wurde die Resolution in die UN-Generalversammlung zur Abstimmung eingebracht. Dort verfügt kein Staat über ein Vetorecht, allerdings sind von der Generalversammlung verabschiedete Resolutionen rechtlich nicht bindend.

Im Vorfeld der Abstimmung drohte Trump damit, die Hilfsgelder für all jene Länder zu streichen, die für die Resolution votieren würden. Dessen ungeachtet wurde die Resolution mit 128 Jastimmen zu 9 Neinstimmen bei 35 Enthaltungen verabschiedet – wohl auch, weil viele Länder durchschauten, dass Trump bluffte: Etliche der Hilfspakete sind vom US-Kongress mandatiert, der US-Präsident kann sie daher nicht eigenmächtig einstellen.[6] Anfang Januar drohte Trump dann damit, der UN-Agentur für palästinensische Geflüchtete (UNRWA) Finanzmittel in Höhe von mehr als 300 Mio. US-Dollar im Jahr zu entziehen – rund ein Drittel deren Budgets.[7] Zumindest diese Ankündigung machte das US-Außenministerium teilweise wahr, als es Mitte Januar Zuwendungen an die UNRWA in Höhe von 65 Mio. US-Dollar einfror. Nur einen Tag darauf forderte der PLO-Zentralrat in einer Abstimmung, die Anerkennung des Staates Israel auszusetzen. Außerdem bezeichnete Abbas Israel als „koloniales Projekt“, das „nichts mit den Juden zu tun hat“.[8]

Israel: Die Rechte wittert Morgenluft

Die Fronten verhärten sich somit zusehends. Und vor allem das Vorgehen der Vereinigten Staaten zeigt dabei deutlich, wie sich die Trump-Regierung eine Konfliktlösung im Nahen Osten vorstellt: mittels brachialer Unterwerfungsforderungen abseits multilateraler Verhandlungen. Zugleich bekommt die internationale Einigkeit bereits erste Risse: Inzwischen planen auch Guatemala, Honduras und die Philippinen, ihre Botschaften nach Jerusalem zu verlegen.[9]

Der israelischen Regierung ist das nur recht. Unmittelbar vor Trumps Inauguration im Januar 2017 fand in Paris ein Krisengipfel zur Zweistaatenlösung statt. Für diesen hatte Premierminister Benjamin Netanjahu schon damals nur Spott übrig: „Dies ist der letzte Atemzug der gestrigen Welt. Das Morgen wird anders aussehen. Und dieses Morgen ist sehr nah“, prophezeite er damals.[10] Dass sie Morgenluft wittert, hat die israelische Regierung im vergangenen Jahr gleich mehrfach unter Beweis gestellt – unter anderem, indem sie den Siedlungsbau im Westjordanland massiv vorantrieb.

So verabschiedete die Knesset bereits im Februar 2017 mit den Stimmen der Regierungsmehrheit das sogenannte Regulierungsgesetz. Es ermöglicht rückwirkend die Legalisierung von Siedlungen und Außenposten, die – selbst nach israelischem Recht – illegal auf palästinensischem Privatgrund in der Westbank errichtet worden sind. Sollte das Gesetz Bestand haben, hebelt es ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1979 aus, wonach israelische Siedlungen nicht länger auf beschlagnahmtem palästinensischem Privatland gebaut werden dürfen.

Kurz nach der Entscheidung Trumps kündigte der israelische Bauminister Joaw Galant sogleich den Bau von 14 000 Wohneinheiten im völkerrechtswidrig annektierten Teil Jerusalems.[11] Der Siedlungsbau erlebt damit einen neuen Boom. In den Jahren 2013 und 2014 – und damit noch während der Vermittlungsversuche des damaligen US-Außenministers John Kerry – erlaubte die israelische Regierung binnen neun Monaten den Neubau von ebenfalls knapp 14 000 Wohneinheiten – allerdings in Ost-Jerusalem und der Westbank zusammen. Nun sollen noch einmal so viele neue Wohneinheiten allein in Ost-Jerusalem entstehen. Offenkundig ist mit Trump jeder mäßigende Einfluss aus den USA auf die Regierung Netanjahu endgültig weggefallen.

Doch damit nicht genug: Die israelische Regierung will außerdem die Stadtgrenzen Jerusalems erheblich erweitern. So soll unter anderem die Großsiedlung Ma’ale Adumim dem israelischen Staatsgebiet hinzugefügt werden. Auf diese Weise will die Regierung den Siedlungsring um Jerusalem schließen, das dann vollständig von der Westbank abgeschnitten wäre. Die Teilung der Stadt in einem künftigen Friedensabkommen soll so durch die Macht geschaffener Fakten verhindert werden.

Erste konkrete Schritte dahin hat die regierende Likud-Partei bereits unternommen: Am 31. Dezember vergangenen Jahres votierte ihr Zentralkomitee für die Annexion der Westbank[12] bzw. der sogenannten C-Gebiete – jener rund 60 Prozent des Westjordanlands, die sich auch nach den Osloer Abkommen weiterhin unter vollständiger israelischer Kontrolle befinden und in denen alle dortigen Siedlungen liegen.[13] Damit haben die Knesset-Abgeordneten des Likud von ihrer Partei das Mandat erhalten, dieses Vorhaben im Parlament voranzutreiben. Der Koalitionspartner „Das Jüdische Heim“, die Siedlerpartei unter Naftali Bennett, verfolgt seit längerem offen genau dieses Ziel.

Bislang hatte Benjamin Netanjahu mit Blick auf eine weitere mögliche Isolation seines Landes solche brisanten Beschlüsse immer verhindert. Dieses Mal aber blieb der Parteivorsitzende der Abstimmung fern. Die polizeilichen Ermittlungen in mehreren Korruptionsfällen haben Netanjahu in den vergangenen Monaten parteiintern geschwächt. Um seine Position innerhalb der Partei und in der Koalition nicht weiter zu untergraben, vermied er daher die direkte Konfrontation. Seine Versuche, die extreme Rechte in der Vergangenheit etwas zu bändigen, waren ohnehin eher außenpolitischen Erwägungen geschuldet gewesen oder von gemäßigteren Koalitionspartnern eingefordert worden. Seinen eigenen politischen Zielen – jenseits des eigenen Machterhalts – entsprachen sie nicht.

Die USA als Vermittler?

Trumps Entscheidung, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, zeitigt somit schon jetzt dramatische Folgen – in den Vereinten Nationen wie auch vor Ort. Und ebendies war auch die Absicht des US-Präsidenten. In einer Rede rechtfertigte Trump seine Entscheidung damit, dass alte Herausforderungen neue Ansätze bräuchten. Jahrzehntelang hätten seine Vorgänger dem Frieden zuliebe die Verlegung der US-Botschaft und damit die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt aufgeschoben. Einem dauerhaften Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern seien sie damit aber keineswegs nähergekommen.[14]

Das ist richtig und falsch zugleich: Denn dass es bislang nicht zu einem tragfähigen Abkommen im Nahen Osten gekommen ist, hängt nicht zuletzt auch mit der „Vermittlerrolle“ der Vereinigten Staaten zusammen. Zu keiner Zeit haben sie die Funktion eines unparteilichen Vermittlers eingenommen, sondern im Zweifelsfall ihre eigenen Interessen verfolgt oder diese im Einklang mit jenen der unterschiedlichen israelischen Regierungen gesehen. Aus diesem Grund haben die USA in der Vergangenheit auch nicht auf die Einhaltung des Völkerrechts oder der Menschenrechte gepocht, sondern unterstützten die Besatzungspolitik der israelischen Regierungen oder nahmen sie zumindest stillschweigend hin.

Das belegt nicht zuletzt das Abstimmungsverhalten der USA im UN-Sicherheitsrat: Zwischen 1972 und 2017 legten die USA hier 43 Mal ihr Veto ein und verhinderten so Resolutionen, die sich gegen israelische Regierungsentscheidungen richteten.[15] Die bislang einzige Ausnahme bildet die Abstimmung über die Resolution 2334 im Dezember 2016: Sie forderte unter anderem, sämtliche Siedlungsaktivitäten in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalems einzustellen. Unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama hatten sich die USA bei dieser Abstimmung erstmals enthalten. Obama wurde dafür nicht nur von der israelischen Regierung und von republikanischen Senatoren scharf kritisiert, sondern zog sich auch den Unmut einiger US-Demokraten zu.[16]

Angesichts all dessen verwundert es wenig, dass sich die USA aus palästinensischer Sicht nicht erst mit ihrer Jerusalem-Entscheidung als Mittler im Nahostkonflikt disqualifiziert haben. Das Problem ist nur: Künftige Verhandlungen ohne Beteiligung der USA würde Israel nicht akzeptieren. Mit Trump im Weißen Haus sollten die Europäische Union und die nächste Bundesregierung ihre Rolle des Beifahrers im Nahen Osten mehr denn je dringend überdenken. Nur mit ihrer Hilfe ließe sich die gefährliche Kraft des Faktischen noch eindämmen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 02/2018, S. 17-20.


[1] Vgl. Jerusalem as capital: all the latest, in: „Al Jazeera“, 31.12.2017.

[2] Anders als beispielsweise noch im Sommer vergangenen Jahres: Damals protestierten die Menschen gegen den eingeschränkten Zugang zum Haram Al-Sharif bzw. Tempelberg, weil sie die Verletzung ihrer Grundrechte nicht hinnehmen wollten.

[3] Vgl. Amos Harel, Hamas arrests and tortures Salafi militants to curb Gaza rocket fire into Israel, in: „Haaretz“, 19.12.2017.

[4] Vgl. United Nations General Assembly, Resolution adopted on the report of the Ad Hoc Committee on the Palestinian Question (UN A/RES/181 (II)), 29.11.1947.

[5] Vgl. Peter Beaumont, US outnumbered 14 to 1 as it vetoes UN vote on status of Jerusalem, in: „The Guardian“, 19.12.2017.

[6] Vgl. Mark Landler, Trump threatens to end American aid: ‘We’re watching those votes at the U.N.’, in: „New York Times“, 20.12.2017.

[7] Vgl. Noa Landau, In Gaza, U.S. cuts to UN Palestinian refugee agency expected to endanger thousands of teachers’ jobs, in: „Haaretz“, 7.1.2018.

[8] Vgl. PLO-Zentralrat will Anerkennung Israels zurückziehen, in: „Zeit Online“, 16.1.2018.

[9] Die historischen Beziehungen zwischen Israel und diesen Ländern sind vielseitig: von der Aufnahme von jüdischen Geflüchteten in den 1930er und 1940er Jahren über technische und wirtschaftliche Kooperation bis hin zu Aufrüstung und israelischer Beratung in der Aufstandsbekämpfung.

[10] Vgl. Patrick Wintour, Paris conference to send Trump a warning over Israel and Palestinians, in: „The Guardian“, 15.1.2017.

[11] Vgl. Israel plans 14,000 new settlement units in occupied Jerusalem, in: „Middle East Monitor“, 9.12.2017. Dies korrespondiert in etwa mit den bereits im Frühjahr 2017 zur Planung vorgesehenen 15 000 Wohneinheiten in zu Jerusalem zählenden Siedlungen – trotz Trumps öffentlicher Aufforderung an Netanjahu im Februar 2017, sich beim Siedlungsbau „ein wenig zurückzuhalten“. Vgl. Ori Lewis, Israel planning 15,000 more settlement homes in Jerusalem, in: „Reuters“, 28.4.2017.

[12] Vgl. Chaim Levinson, Netanjahu’s party votes to annex West Bank, increase settlements, in: „Haaretz“, 1.1.2018.

[13] United Nations Peacemaker, Israeli-Palestinian Interim Agreement on the West Bank and the Gaza Strip (Oslo II), http://peacemaker.un.org/israelopt-osloII95, 28.9.1995.

[14] Vgl. Statement by President Trump on Jerusalem, www.whitehouse.gov, 6.12.2017.

[15] Vgl. The 43 times US has used veto power against UN resolutions on Israel, in: „Middle East Eye“, 18.12.2017.

[16] Vgl. Valerie Richardson, Democrats defy Obama with show of support for Israel, in: „Washington Times“, 8.1.2017.

Veröffentlicht am 05. Februar 2018

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