Berichterstattung über den Sechs-Tage-Krieg

Viel Lärm um Nichts?

Zum 50. Jahrestag des sogenannten Sechs-Tages-Krieges schienen rechte Positionen aus Israel an Wirkkraft zu gewinnen. Doch man kann die Kirche im Dorf lassen. Von Katja Maurer

Die Berichterstattung über den Jahrestag war differenziert und hat den Anlass genutzt, auf die wesentlichen völkerrechtlichen Umstände zu verweisen. Die Besatzung bleibt Besatzung und verstößt damit gegen Völkerrecht. Auch der Gazastreifen ist besetzt, weil Israel die Außengrenze vollständig kontrolliert.  Die Annexion von Ostjerusalem verstößt ebenso gegen das Völkerrecht wie der fortgesetzte Siedlungsausbau. Dass eine friedliche Lösung dieses Konflikts ohne die Anerkennung dieser Umstände nicht vonstattengehen wird, auch daran ließen die vielen Texte wenig Zweifel aufkommen. Stimmen wie die des Frankfurter CDU-Bürgermeisters Becker, der behauptet, dass Jerusalem die Hauptstadt Israels sei und sich die Welt an diese Tatsache nun mal gewöhnen werde, künden eher von politischer Inkompetenz als von politischer Relevanz.

Also Zeit für Entwarnung? Wird sich auf Dauer eine Lösung unter Berücksichtigung des Völkerrechts zwingend ergeben? Yehuda Shaul, unser Projektpartner von Breaking the Silence, war sich da im Gespräch mit mir vor anderthalb Jahren sicher. Die Palästinenser*innen ließen sich nicht vertreiben und behielten deshalb auf Dauer die Karten in der Hand. Wer, wie viele besatzungskritische Israelis, die Besatzung, aber auch die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem späteren israelischen Kernland 1948 als Siedlungskolonialismus betrachtet, für den ist das Argument Shauls einsichtig. Denn bei allem was recht ist, ein Siedlungskolonialismus, wie er in den vergangenen Jahrhunderten bis hin zur Auslöschung der Ursprungsbevölkerung denkbar war,  ist heute ausgeschlossen. Wenn also die Vertreibung nicht glückt, ist die derzeitige israelische Politik zwar erfolgreich, aber ohne dauerhafte Perspektive.

Das Problem besteht nur darin, dass heutzutage nur die Gegenwart zählt. Und solange das so ist, haben die mit dem Recht  des Stärkeren an ihrer Seite mehr anzubieten als die, die internationales Recht als einen Weg sehen, Frieden zu stiften und unterschiedliche Interessen auszugleichen. Der Status Quo hat sich für Israel – vielleicht nicht in unseren Projektionen auf ein schönes und demokratisches Israels – aber in ökonomischer Hinsicht bezahlt gemacht.

Das Land steigt im OECD – Ranking der Industrieländer kontinuierlich nach oben, während die Wirtschaftskraft der arabischen Nachbarländer kontinuierlich sinkt und die Perspektivlosigkeit gerade unter den Jugendlichen einen idealen Nährboden für fundamentalistische Verführer darstellt. Eine schleichende Deentwicklung kennzeichnet den Gazastreifen im extremen Maße, aber auch die Westbank – von seltsamen neoliberalen Wirtschaftsblasen abgesehen - vor allen Dingen seit der Blockade des Gaza-Streifens und der Einführung des komplexen Permitssystem in der Westbank. Wer will da auf eine gerechtere Zukunft wetten.  Trotzdem, ein Wahnsinn, wer das Völkerrecht in Frage stellt, gerade angesichts dessen, was sich im gesamten Nahen und Mittleren Osten gerade entwickelt. Es bleibt die wichtigste Leitplanke für eine Außenpolitik, die auf friedlichen Ausgleich setzt. Ja, setzen muss.  Die Besatzung ist völkerrechtswidrig und muss aufgegeben werden. Die Annexion von Ost-Jerusalem ebenfalls. Nur die Anerkennung dieser Tatsache kann zu einer Friedenslösung führen, die auch der Wirklichkeit Rechnung trägt. Davon sind wir noch weit entfernt.

Stattdessen versucht die israelische Rechte den Status Quo geschickt zu zementieren und damit zu einer perspektivischen Lösung zu machen. Sie tut das vor allen Dingen mit dem Antisemitismus-Vorwurf und der Suggestion, dass im Grunde Forderungen nach harten Maßnahmen zur Durchsetzung von UN-Beschlüssen, also völkerrechtlich bindenden Beschlüssen, gegen die Existenz des Staates Israel gerichtet und damit antisemitisch seien.  Ein solche Verkehrung der politischen Verantwortung gelingt nur deshalb, weil die israelische Rechte verstanden hat, die Shoa und nicht den europäischen Nationalismus und den damit einhergehenden Zerfall der Vielvölkerstaaten  zum Urgrund für die Existenz des Landes zu erklären. Der israelische Journalist und Historiker Tom Segev hat das schon in den 1990er Jahren in seinem Buch „Die Siebte Million“ nachgezeichnet, in dem er unter anderem beschreibt, wie israelische Jugendliche in Auschwitz in die israelische Fahne gehüllt die Shoa als eigene Verfolgungsgeschichte verinnerlichen. Die Erfahrung der jahrhundertelangen Verfolgung in Europa wird so zur universellen jüdischen Erzählung. Ausgeblendet dagegen werden andere Erfahrungen. Darunter die, dass Juden im osmanischen Reich Jahrhunderte lang halbwegs sicher leben konnten, jedenfalls im Vergleich mit Europa. Erst die Staatsgründung Israels hat das verändert und zu einem halb freiwillig halb erzwungenen Exodus der meisten Juden aus den arabischen  Ländern geführt.  Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Juden heute in den USA und in Europa sicherer leben als in Israel, selbst wenn man in Zeiten wachsenden Rassismus auch von einer Zunahme des  Antisemitismus in diesen Ländern ausgehen muss.

Ein selbstgemaltes Schild

Mit dem Krieg von 1967 verbinde ich auch persönliche Erinnerungen. Ich war damals zehn Jahre und ging begeistert mit meinem Vater auf diverse Demonstrationen: Ostermarsch, gegen den Vietnam-Krieg, etc. Eine war wohl auch gegen die israelische Besatzung. Mein Vater trug ein selbstgemaltes Schild, auf dem meiner Erinnerung nach stand: Ich bin Jude und gegen die Besatzung. In der heutigen Diskursmaschine würde man das wahrscheinlich zwischen jüdischem Selbsthass und linkem Antisemitismus einsortieren. Und auch ich habe mich jahrelang über diese – wie ich fand – Instrumentalisierung der eigenen Verfolgung geärgert. Ja, es war vielleicht die erste Konfrontation mit der jüdischen Herkunft in unserer Familie. Je länger ich selber jedoch mich mit Israel und dem israelisch-palästinensischen Konflikt beschäftige, und das tue ich seit fast 20 Jahren, umso mehr verändert sich auch mein Blick auf dieses selbst gemalte Schild. Denn von heute aus gesehen hat das heutige Selbstverständnis der israelischen Mehrheitsgesellschaft wenig mit dem zu tun, was in einer säkularen Familie wie meiner mit der jüdischen Tradition verknüpft war: Weltoffenheit und Kosmopolitismus. Der jüdische Philosoph Yeshayahu Leibowitz hatte 1967 davor gewarnt, dass die Besatzung Israel korrumpieren werde. Teil der Korruption ist die Legitimierung der eigenen Überlegenheitsgefühle aus der vorhandenen oder auch überzeichneten Bedrohung. Für meinen Vater war das eine Form von Rassismus.

Dass das auch andere so empfunden haben, zeigte der Film „zensierte Stimmen“, den arte anlässlich des Sechs-Tage-Krieges dieser Tage ausstrahlte.  Der Film setzt alte Herren, unter anderem Amos Oz, vor ein Tonband, von dem ihre Aussagen abgespielt werden, die sie wenige Tage nach dem Ende des Krieges ins Mikrofon sprachen. Die gerade aus dem Krieg heimgekehrten  Soldaten offenbaren ihre Ängste, ihre Gedanken und ihre Taten. Viele von ihnen haben entgegen der offiziellen Propaganda vom starken Israeli eine unbändige Angst vor dem Militäreinsatz gehabt. Sie schildern Szenen schwerer Kriegsverbrechen an gefangenen Soldaten und arabischen Zivilisten und viele äußern Assoziationen zur eigenen Verfolgungsgeschichte.  Nun tue man denen an, was man den Juden in Europa angetan habe, sagen manche. Sie meinen den Rassismus, nicht Auschwitz wohlgemerkt. Sie sind noch geprägt von der eigenen Erfahrung der rassistischen Verfolgung und Demütigung. So wie mein Vater, der sonst nie selbst gemalte Schilder trug. 1967 war das noch erlebter Teil der Biographie.

Beim Betrachten des Films fragte ich mich, was man in Israel alles tun musste, um diese für viele Soldaten naheliegenden Gefühle und Zweifel zu unterdrücken.  Nur eines tröstet mich: Das, was damals Amos Oz mit den Aufnahmen begonnen hatte, machen unsere Freund*innen und Partner*innen von Breaking the Silence weiter. Sie sammeln die Augenzeugenberichte von israelischen Soldat*innen. Im Gegensatz zu damals jedoch bleiben die Namen anonym. Die Zeiten sind härter geworden.

P.S.: medico ist kurz in dem von der Bild-Zeitung promoteten Dokumentarfilm „Der Hass auf die Juden in Europa“, der auf arte nicht lief, erwähnt. Mit dem Satz: „Auf dem evangelischen Kirchentag widmen sich dutzende NGOs notorisch dem Wohle der Palästinenser ... sind getragen von Kirchen, Spenden und vor allem ihren Steuergelder, so zum Beispiel ...... medico international.“ Wie alle anderen denunzierten NGOs wurden wir von den Filmemachern nicht um eine Stellungnahme gebeten. Besonders angegriffen wurde Brot für die Welt. Mit dieser evangelischen Hilfsorganisation arbeiten wir seit Jahren im Sinne einer demokratischeren und gerechteren Welt  ohne Rassismus und  Antisemitismus zusammen.

Hier ein Link zu deren Stellungnahme zum oben erwähnten Film: https://www.brot-fuer-die-welt.de/pressemeldung/2017-stellungnahme-brot-fuer-die-welt-zur-berichterstattung-der-bild-zeitung-13062017

Veröffentlicht am 14. Juni 2017
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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