Abschiebeflug

Seehofer und kein Ende

Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt, Abschiebungen nach Sri Lanka fortgesetzt. Chronik einer Bürokratie des Bösen.

Von Thomas Rudhof-Seibert

Im Jahr 2018 stellte der deutsche Innenminister Horst Seehofer der Öffentlichkeit seinen „Masterplan Migration“ vor. Die Pressekonferenz fand sechs Tage nach einer Sammelabschiebung von 69 Menschen nach Afghanistan statt. Am selben Tag feierte der Minister seinen 69. Geburtstag. Den Zusammenfall der beiden Ereignisse kommentierte er damals wie folgt: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Die Darbietung des ministeriellen Galgenhumors geriet zum Skandal, als bekannt wurde, dass einer der Abgeschobenen nach seiner Ankunft Selbstmord begangen hatte: der 23jährige hatte zuvor acht Jahre in Deutschland gelebt. Bekannt wurde dann auch, dass ein weiterer Abgeschobener nach Deutschland zurückgeholt werden musste, weil sein Klageverfahren noch gar nicht abgeschlossen war, er deshalb gar nicht hätte abgeschoben werden dürfen. Damit nicht genug. Bekannt wurde schließlich, dass der Minister mit diesem von 134 Polizisten begleiteten Flug die mit dem afghanischen Flüchtlingsministerium getroffene Vereinbarung gebrochen hatte, nach der nicht mehr als fünfzig Personen auf einmal abgeschoben werden dürfen.

Den Minister kümmerte das alles nicht. Er ließ weiter abschieben. Einen letzten Flug plante sein Ministerium zum 3. August diesen Jahres. Das Flugzeug musste am Boden bleiben, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Minister per einstweiliger Verfügung in letzter Minute daran hinderte. Die menschenrechtsgerichtliche Einsprache aber nahm Seehofer zwei Tage später zum Anlass eines Briefs an die EU-Kommission. In diesem auch von anderen Ministern seines Schlags gezeichneten Brief forderte er die Kommission auf, die afghanische Regierung zur Ermöglichung weiterer Abschiebungen zu nötigen.

Das Vorhaben scheiterte, weil die Regierung in Kabul von den Taliban gestürzt wurde. Jetzt fiel dem Minister auch die eigene Regierung in den Arm. Am 11. August setzte Deutschland Abschiebungen nach Afghanistan vorläufig aus. Den Minister aber kümmert auch das nicht. Er hält sich und seine Wut einfach an anderen Menschen schadlos. Da er in Deutschland lebende Afghan:innen zumindest bis auf weiteres nicht mehr in ihr Unheil schicken kann, wendet er sich jetzt anderen Asylbewerber:innen zu.

Am Montag, den 27. September – nur einen Tag nach der Bundestagswah! – will er tamilische und muslimische Asylbewerber:innen aus Sri Lanka in das Land zurückschicken, aus dem sie sich nach Deutschland gerettet haben. Auch das tut er nicht zum ersten Mal: nach Abschiebeflügen vom 30. März und vom 9. Juni wäre dies allein in diesem Jahr bereits der dritte Flug.

Auch hier handelt der Minister in vollem Bewusstsein des Unheils, das er zu verantworten haben wird. Tatsächlich startete der erste Abschiebeflug dieses Jahres nur vier Tage nach der Veröffentlichung der Resolution 46/1 des UN-Menschenrechtsrats, an deren Zustandekommen die deutsche Bundesregierung maßgeblich mitgewirkt hat. In dieser Resolution äußern die Vereinten Nationen ihre „ernste Besorgnis“ über die „Verschlechterung der Menschenrechtslage in Sri Lanka.“ Dazu gehören „die zunehmende Militarisierung der zivilen Regierungsfunktionen, die Aushöhlung der Unabhängigkeit der Justiz und wichtiger Institutionen, die für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zuständig sind, die anhaltende Straflosigkeit und politische Behinderung der Rechenschaftspflicht für Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in eindringlichen Fällen.“

Dazu gehören auch die „zunehmende Marginalisierung von Personen der tamilischen und muslimischen Gemeinschaften, die Überwachung und Einschüchterung der Zivilgesellschaft, die Einschränkungen der Medienfreiheit und die Schrumpfung des demokratischen Raums.“ Die Resolution verweist zuletzt ausdrücklich auf in Sri Lanka übliche „willkürliche Verhaftungen“, auf „mutmaßliche Folter und andere grausame, unmenschliche, erniedrigende Behandlungen oder Bestrafungen sowie sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt.“

Dass sich der UN-Menschenrechtsrat zu Recht um die Menschenrechtslage auf Sri Lanka sorgt, weiß der Minister auch aus der Dokumentation einer Fact Finding Mission, die der Internationale Bremer Menschenrechtsverein im Frühjahr diesen Jahres mit der Unterstützung von medico international durchgeführt hat. In dieser Dokumentation warnen Opfer der sri-lankischen Staatsgewalt, sri-lankische Politiker:innen tamilischen und muslimischen Hintergrunds und sri-lankische Menschenrechtsaktivist:innen eindringlich vor weiteren Abschiebungen auf die Insel. Den Minister kümmert das alles nicht. Wer, so bleibt zu fragen, kümmert sich jetzt eigentlich um diesen Minister? Wer fällt ihm endlich in den Arm?

Wir stellen diese Frage auch mit Blick auf Afghanistan. Denn hier ist es der Minister, der die Aufnahme von Menschen, die sich jetzt vor den Taliban zu retten suchen, strikt auf die Aufnahme sogenannter „Ortskräfte“, deren Ehepartner:innen und minderjährige Kinder beschränkt.

medico und unsere afghanische Partnerorganisation AHRDO sind davon unmittelbar betroffen. Die AHRDO-Mitarbeiter:innen haben sich und ihre Verwandten nach der Machtübernahme der Taliban nach Pakistan retten können. Nach den Kriterien des Ministers hat aber nicht einmal die Hälfte von ihnen die Chance, als „Ortskräfte“ in Deutschland Asyl zu erhalten. Wer diese Chance wahrnehmen will, wird vom Minister gezwungen, seine Verwandten im Stich zu lassen oder aber in Pakistan auszuharren: bedroht von der Abschiebung unter das Regime der Taliban.

Zum Aufruf: Stoppt die 3. Sammelabschiebung nach Sri Lanka!

Veröffentlicht am 23. September 2021
Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert war bis September 2023 in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für Südasien und Referent für Menschenrechte. Der Philosoph und Autor ist außerdem Vorstandssprecher des Instituts Solidarische Moderne; weitere Texte zugänglich auch unter www.thomasseibert.de


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