Kommentar

Politik jenseits der Realität

26.11.2024   Lesezeit: 4 min  
#europa  #klimagerechtigkeit  #kolonialismus 

Die Weltklimakonferenz in Baku ist zu Ende, zur Rettung des Klimas hat sie nicht beigetragen.

Von Karin Zennig

„Wann war denn der Zeitpunkt als die Menschen mit ihren Klimaschutzbemühungen noch ganz gut waren?“, wird Klimaforscher Niklas Höhne in der Tagesschau gefragt und man muss ehrlich sagen, diesen Zeitpunkt gab es nicht. Seit 1992 wird von einer Weltklimakonferenz, kurz COP, zur nächsten über die Rettung des Klimas verhandelt, mit ernüchterndem Ergebnis: Seit Beginn der Weltklimakonferenzen sind die CO²-Emissionen nicht nur nicht gesunken, sondern geradezu explodiert – und mit ihnen die Krise.

Nun ist auch die 29. COP in Baku zu Ende gegangen. Auf ihr sollte vor allem über die Finanzierung von Klimafolgeschäden und Klimaanpassungsmaßnahmen für die Länder verhandelt werden, die zwar am meisten betroffen sind, aber oft nur geringe eigene Kapazitäten haben, um sie zu bewältigen. Doch die Klimafinanzierung ist auch zentral für die Begrenzung der globalen Erderwärmung selbst, denn das Gros der nationalen Klimaziele beinhalten Maßnahmen, die nur durchgeführt werden können, wenn die nötige Finanzierung steht. Kurz gesagt: Gibt es kein Geld für die Klimafinanzierung, steuern wir auf eine globale Erderwärmung um 3,1 Grad zu. Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie die Welt bereits bei 1,5 Grad aussieht.

Doch schon um sich auf das absolute Minimum zu einigen, war eine Verlängerung des zweiwöchigen Verhandlungsmarathons in Baku nötig. Die auslaufende Vereinbarung zur Klimafinanzierung wurde durch eine neue ersetzt, der zufolge die Industriestaaten aufgefordert sind, ihre Zahlungen bis 2035 auf jährlich 300 Milliarden US-Dollar zu steigern. Das ist eine Verdreifachung des aktuellen Betrages und dennoch eine Bankrotterklärung. Von Indien bis Malawi und Nigeria bis Bolivien haben Regierungen des globalen Südens das Ergebnis nicht als Einigung, sondern als Beleidigung bezeichnet. Es deckt nicht einmal einen Bruchteil des bereits jetzt Nötigen. Während die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kommentierte: „Die Welt besteht nicht aus dem, was man sich wünscht, sondern aus dem, was man bereitstellen kann.“ Bereitstellen will wäre wohl die angebrachtere Formulierung gewesen. Denn das Geld ist da: Immerhin liegen die weltweit für die Subventionierung von fossilen Energieträgern aufgebrachten Beträge bei 7 Billionen US-Dollar.

Offengelassen wurde auch, auf welchem Weg das Geld zusammenkommen soll. „Es werden Wege gefunden werden“ heißt es in einer Roadmap von Baku bis zum brasilianischen Belém, wo Ende 2025 die nächste COP stattfinden wird. Ein weiteres verlorenes Jahr. Dabei wissen alle, dass das teuerste Szenario sich daraus ergibt, weiterhin nichts zu tun. Wie die Katastrophen und Schäden eskalieren eben auch die Kosten.

Chauvinismus rules

Allein, das ist kein Fehler, kein Missgeschick. Die Konsequenzen des Nicht-Handelns sind bekannt, sie werden wissentlich und willentlich in Kaufgenommen und drücken die Logik der Welt aus, in der wir angekommen sind.

Obwohl die Realität der Klimakatastrophe mittlerweile auch in die Zentren des globalen Nordens hereinbricht, sucht man ein Bekenntnis zum Ausstieg aus dem Verbrennen von fossilen Ressourcen wie Öl, Kohle und Gas oder den Ausstieg aus fossilen Subventionen vergeblich. Die Vernutzung, Plünderung und organisierte Zerstörung der Welt wird fortgesetzt, am Weiter-so wird festgehalten – offenbar um jeden Preis.

Auch das ist eine Form des globalen Rechtsrucks, der im Kern die Bereitschaft bedeutet, Bewohner:innen ganzer Weltregionen und Teile der Bevölkerung der Industriestaaten zu opfern – trotz existierender Alternativen. Deutlich wurde diese Haltung schon bei der Verweigerung der Freigabe der Patente auf Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19. Sie setzt sich fort im Lamentieren darüber, dass das Lieferkettengesetz die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft gefährde, die Kinderarbeit, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen nicht mehr ignorieren darf.

Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass verstärkt der Resilienz-Begriff Einzug in die Debatte um die Klimakrise hält. Er beschreibt die psychologische Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Anders gesagt: Resilienz beschreibt das Moment der Gewöhnung und Anpassung an eine Situation organisierter Zerstörung und Verrohung, die die Politik aufgegeben hat verändern zu wollen.

Macht versus Vernunft

Wenige Orte wären prädestinierter, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken als die Weltklimakonferenzen: Eine multilaterale Einrichtung der Vereinten Nationen, auf der unter der Maßgabe „Ein Land, eine Stimme“ globale Antworten auf globale Herausforderungen gefunden werden sollen und die sich der gemeinsamen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet sieht, in der nach Paragraph 28 jeder Mensch Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung hat, in der die allgemeinen und universellen Menschenrechte voll verwirklicht werden können. Gut gedacht.

Karin Zennig

Karin Zennig ist bei medico in der Öffentlichkeitsabteilung für die Region Südasien und das Thema Klimagerechtigkeit zuständig. 

Twitter: @KarinZennig


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