Interview

Der Weg zur globalen Verantwortung

03.07.25   Lesezeit: 8 min  
#klimagerechtigkeit 

Wie ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs den Kampf um Klimagerechtigkeit stärken soll.

Trotz Omnipräsenz der Klimakrise nimmt die global ausgestoßene Menge der Treibhausgase nicht ab, sondern zu. Immer öfter gibt es Versuche, dem mit Instrumenten des internationalen Rechts Einhalt zu gebieten. Eine der aktuell prominentesten Initiativen ist die der World's Youth for Climate Justice, deren mehrjährige Kampagne im Sommer zu einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) führen wird. Wir sprachen dafür mit Vishal Prashad aus Fiji, einem der Initiatoren.

medico: Ihr habt mehrere Jahre an dieser Initiative gearbeitet und es schließlich geschafft, dass die Verantwortung von Staaten für die menschengemachte Klimakrise zum Thema der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde. Diese hat den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten zur rechtlichen Haftung diesbezüglich ersucht. Worum geht es genau?

Vishal Prashad: Gegründet wurde unsere Initiative 2019 von einer Gruppe südasiatischer Jurastudierender, mittlerweile arbeiten wir mit 18 pazifischen Inselstaaten zusammen und werden von der Regierung von Panaotu unterstützt. Unser Ziel ist es, das höchste Gericht der Welt zu einem Rechtsgutachten zum Verhältnis von Klimakrise und Menschenrechten zu bewegen.

Wir wissen, dass nicht nur die unmittelbaren Katastrophen, sondern auch die dauerhafte Zerstörung durch die Klimakrise Menschen daran hindert, ihre grundlegenden Rechte auf Nahrung, freien Aufenthaltsort, Entwicklung und Gesundheit in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund sehen wir das Gutachten als eine Maßnahme die Verpflichtungen der Staaten im Umgang mit der Klimakrise zu skizzieren und zu klären, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie diesen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Was versprecht ihr euch davon?

Von einem Gutachten des IGH versprechen wir uns eine weitreichende Wirkung. In gewisser Weise bildet das Gutachten einerseits den Rahmen für die gesamte Debatte über Klimakompensation, wie sie derzeit auf den Weltklimakonferenzen relativ ergebnislos geführt wird. Zwar wurden Gelder zugesagt, doch die Summen sind nicht nur unzureichend, sondern sind freiwillig und enthalten keine Rechtsansprüche. Gezahlt wurde ohnehin noch nichts. Andererseits ermöglicht es ein IGH-Gutachten, die Grundsätze, die Rahmenbedingungen und die Rechtslage zu klären, auf die nationale und regionale Gerichte aufbauen können und Rückenwind für gesetzliche Vorschriften, um große Emittenten an der Fortsetzung ihrer Aktivitäten zu hindern.

Die Initiative wird aber nur zu einem Expertengutachten und nicht zu einem rechtskräftigen Urteil führen. Warum hab ihr euch trotz des Aufwands dafür entschieden?

In Europa scheint es eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Verständnis der Klimakrise einerseits und dem Konzept der Klimagerechtigkeit andererseits zu bestehen. Während die meisten ersteres zu verstehen scheinen, scheint letzteres tatsächlich nicht richtig erfasst zu werden. Die technischen Beschränkungen und der freiwillige Charakter vieler Maßnahmen innerhalb der bestehenden Mechanismen und COP-Rahmenwerke stellen angesichts der Dringlichkeit der Situation eine unverhältnismäßig schwache Reaktion auf den Klimawandel dar. Die reichen Länder entziehen sich ihrer Verantwortung, während sie fast keine der nationalen Selbstverpflichtungen hinsichtlich des 1,5-Grad-Ziels oder der Klimafinanzierung erfüllen.

Sechs Jahre nach den globalen Klimastreiks kämpfen wir immer noch für die gleichen Themen. Insbesondere in der Pazifikregion stellt der Klimawandel die größte existenzielle und sicherheitspolitische Bedrohung für die hier lebenden Menschen dar. Wir befinden uns im Grunde genommen im Kampf um unser Leben, während die Treibhausgasemissionen weiter steigen und nichts darauf hindeutet, dass diese gestoppt werden. Diese Realität erfordert einen Ansatz, bei dem alle mit anpacken müssen und wir alle uns möglichen Hebel in Bewegung setzen müssen.

In der Zwischenzeit hat sich die Welt verändert. Institutionen wie der Internationale Gerichtshof haben ihre Glaubwürdigkeit verloren, während multilaterale Institutionen durch die westlichen Länder untergraben wurden.

Wir haben von Anfang an klargestellt, dass das Gutachten, das wir vom IGH erhalten wollen, keine Wunderwaffe zur Lösung der Klimakrise sein wird. Es wird ein Instrument sein, das klarstellt, wie das Recht aussieht. Es ist dann aber auch erforderlich, dass es genutzt wird für einen gemeinsamen Vorstoß der Zivilgesellschaft und lokaler Gemeinschaften, um Regierungen in die Pflicht zu nehmen. Die Umsetzung des Gutachtens wird so auch nach seiner Vorlage weiterhin Aufgabe von uns allen bleiben.

Angesichts der Angriffe auf multilaterale Systeme und Institutionen und, wie manche meinen, ihres Niedergangs, könnte das Gutachten des IGH auch das Potenzial haben, diese Systeme zu stärken. Indem es einen klaren Weg für Veränderungen aufzeigt und die Klimakrise angeht, kann es Vertrauen schaffen und die schwindende Relevanz dieser Institutionen und Räume wiederherstellen. Wir sehen das Gutachten auch als eine Maßnahme zur Entwicklung und Stärkung einer internationalen, fortschrittlichen Auslegung des Völkerrechts.

Die Veröffentlichung des Gutachtens wird für Juli dieses Jahres erwartet. Welche Wirkung konnte eure Initiative bisher schon entfalten?

Obwohl das Gutachten noch in Arbeit ist, hat es bereits zu einer Zunahme von Klimaklagen geführt. Wir hoffen und erwarten, dass es nach der Veröffentlichung des Gutachtens zu einem exponentiellen Anstieg kommen wird. Wir haben gesehen, wie bereits der Internationale Seegerichtshof ein Gutachten herausgegeben hat, das bestätigt, das Treibhausgasemissionen eine Verschmutzung der Meere darstellen und kleine Inselstaaten Anspruch auf mehr Klimaschutz haben. Nun wird das Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgen und in den nächsten Wochen das Gutachten des IGH, die sich beide mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte befassen. Es gibt also eine enorme Entwicklung bei den Normen und Grundsätzen.

Welche Veränderungen kann das für die am stärksten betroffenen Menschen und Gebiete mit sich bringen?

Im Moment gibt es überhaupt keine verpflichtenden Mechanismen, die zu unmittelbaren Verbesserungen für die Betroffenen führen. Wenn der IGH zu dem Schluss kommt, dass die Verletzung der Menschenrechte durch klimakrisenbedingte Folgen relevant ist, eröffnet dies viele Möglichkeiten für Betroffene, um Regierungen besser zur Rechenschaft ziehen oder zu Handlung bewegen zu können.

Nehmen wir zum Beispiel rechtliche Fragen im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen: Wenn man feststellt, dass die Klimakrise durch deren Ausbau und Nutzung angeheizt wird und damit Menschenrechte von Personen und Gemeinschaften ganzer Weltregionen verletzt werden, besteht die Verpflichtung, die Verletzung zu beenden und in diesem Fall die Emissionen fossiler Brennstoffe zu stoppen.

Die gesamte Diskussion um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen könnte also durch ein Gutachten gestärkt werden und Staaten in die Pflicht genommen werden, Emissionen politisch zu regulieren. Gleiches gilt für das Thema Schäden und Verluste sowie die Zuweisung von Mitteln zur Finanzierung von Klimaanpassungsmaßnahmen – ebenfalls Teil der Verpflichtungen der Staaten: Ein positives Gutachten des IGH könnte dazu beitragen, Maßnahmen zur Umsetzung solcher Maßnahmen voranzutreiben.

Bei der Anhörung vor dem IGH haben sich auch viele Staaten zu Wort gemeldet, kannst du uns etwas über deren unterschiedlichen Reaktionen und Positionen sagen?

Ich denke, das Interessanteste war, dass eine Reihe von Ländern vor dem IGH argumentierten, dass zukünftige Generationen ein abstraktes Konzept seien, das für die Betrachtung des Völkerrechts derzeit nicht relevant sei. Dieselben Länder, die sich selbst als Vorreiter im Kampf gegen die Klimakrise und für Menschenrechte bezeichnen, argumentierten vor dem IGH, dass die Menschenrechtsgesetze in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen sollten. Von ihnen wurde auch versucht zu begründen, warum der Internationale Gerichtshofs eigentlich nicht zuständig sei. Das ist Teil der Ablenkungsmanöver der Länder des Globalen Nordens, um ihre historische Verantwortung zu begrenzen und die Auswirkungen des Gutachtens so weit wie möglich abzuschwächen.

Was die großen Emittentenländer wie die USA angeht, so erwarte ich nicht, dass sie sich für das Gutachten einsetzen werden; sie haben bereits viel getan, um den Prozess zu torpedieren. Die Auswirkungen des Gutachtens gehen jedoch über die Amtszeit eines einzelnen Präsidenten hinaus. Es geht darum, internationales Recht für Jahrzehnte, möglicherweise sogar Generationen, festzulegen. Es geht um das große Ganze und darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die für zukünftige Generationen funktionieren.

In Deutschland herrscht die Meinung vor, dass wir in Bezug auf Emissionen viel besser abschneiden als beispielsweise China. Was entgegnest Du diesen Positionen?

Ich denke, die beste Antwort darauf ist das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten: Die Länder, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben, sollten auch die größte Last tragen, wenn es darum geht, auf die Folgen zu reagieren. Selbst eine enge, traditionelle Sichtweise auf das Klimaregime definiert, wer die Industrieländer sind und welche Verpflichtungen sie haben. Und diese Verpflichtungen, wie die Bereitstellung von Klimafinanzierungen oder die Einhaltung des Temperaturziels von 1,5 Grad und der Nationalen Beitragsziele, werden nicht erfüllt.

Es gibt diesen enormen Versuch, Verwirrung darüber zu stiften, wer die Umwelt in der Vergangenheit verschmutzt hat und wer sie derzeit verschmutzt. Genau diese Heuchelei sehen wir auf den Klimakonferenzen, wo die Industrieländer ständig versuchen, den Entwicklungsländern die Schuld für die fortgesetzte Emission fossiler Brennstoffe zu geben, obwohl es die Industrieländer sind, die ihre Entwicklung mithilfe fossiler Brennstoffe erreicht haben. Der Grundsatz globaler und zeitlicher Gerechtigkeit muss berücksichtigt werden. Wenn man sich selbst als Industrieland bezeichnet, bringt dies bestimmte Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten mit sich, vor denen man sich nicht drücken sollte.

Was bedeutet Klimagerechtigkeit für dich?

Das Ideal der Klimagerechtigkeit ist die Möglichkeit für junge Menschen, in einem Umfeld zu leben, ohne Angst vor einer Krise haben zu müssen, die wir nicht verursacht haben. Auch der Aspekt der Ungleichheit ist wichtig, damit die Hauptverursacherländer zur Verantwortung gezogen werden, damit die jungen Menschen von heute und zukünftige Generationen nicht mit denselben Herausforderungen zu kämpfen haben. Für uns im Pazifik bedeutet dies auch die Bewahrung unserer Kultur, unserer Identität und unseres Landes, damit auch zukünftige Generationen sie genießen und daran teilhaben können.

Das Interview führte Karin Zennig.
Übersetzung: Oscar Herzog Astaburuaga


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