Zivile Ziele

Angriff auf Rojava

Bei türkischen Attacken auf Nordostsyrien wurden heute mindestens 8 Menschen getötet, unter ihnen zwei Kinder.

Von Anita Starosta

+++ Update +++ Auch am Freitag gingen die Angriffe auf zivile Ziele, insbesondere die Energieversorgung weiter. Angriffe wurden aus allen Städten der Region gemeldet. Betroffen sind auch medico-Projekte. Nach Drohneneinschlag mussten die Kinder aus einem Waisenhaus in Hasakeh evakuiert werden. Die Sorgen vor weiteren Angriffen und vor einer Retraumatisierung der Kinder, die im Krieg bereits Schlimmes erlebt haben, ist groß.

Beitrag von Donnerstag, 6.10.:

Gestern Abend kündigte der rechte türkische Außenminister Fidan an, als Vergeltung für den PKK-Anschlag vom 1. Oktober in Ankara auch zivile Ziele im Nordirak und in Nordostyrien militärisch anzugreifen. Militärische Angriffe auf zivile Ziele verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht und sind schlicht verboten.

Unsere Partner:innen vor Ort berichten, wie mit Drohnen und Kampfjets heute zahlreiche Infrastrukturen gezielt zerstört haben: Warenlager, Energieversorgung, ein Umspannwerk, Öl-Förderstationen, dazu Drohneneinschläge in der Nähe eines Flüchtlingslagers und gezielte Drohnenangriffe auf Autos. Bisher wurden mindestens 8 Menschen getötet, unter ihnen zwei Kinder. Ähnlich wie die zweiwöchige Offensive im November 2022 geht es offensichtlich darum, die Lebensgrundlage der Bevölkerung in der gesamten Region zu zerstören. Wie immer trifft es zuerst die Bevölkerung und diejenigen, die ohnehin unter schlechten humanitären Bedingungen leben.

Wie im November 2022 nimmt die Türkei einen Anschlag zum Anlass massiver Angriffe auf Nordostsyrien. Damals war der Anschlag auf der Istiklal-Straße Istanbul Vorwand für eine zweiwöchige Militäroperation. Während YPG und PKK jegliche Verantwortung für den Anschlag zurückwiesen, wurde eine Syrerin als angebliche Attentäterin präsentiert. Von den damaligen Luftschlägen gegen die Infrastruktur hat sich die Region bis heute nicht erholt.

Am 6. Februar 2023 erschütterte das Jahrhunderterdbeben in der Region auch Nordostsyrien – in Kobane, Shebha und Aleppo stürzten zahlreiche Gebäude ein, Menschen starben. Wochenlang trauten viele sich aus Angst vor Nachbeben nicht mehr in ihre Häuser zurück. Krankenhäuser, Stromverteilung, Wasserleitung – all dies musste mühsam wieder aufgebaut werden. Hinzu kam die Versorgung der Obdachlosgewordenen und die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten – hier sind auch die medico-Partner:innen vom Kurdischen Roten Halbmond weiter aktiv.

Die heute gestartete türkische Offensive trifft in Nordostsyrien auf eine humanitär extrem prekäre Lage und bedeutet für die dortige Bevölkerung den Entzug ihrer Lebensgrundlage. Hinzu kommen die Angst und das Wissen um vergangene türkische Militärschläge: Niemand fühlt sich sicher, die Verzweiflung ist groß.

Trotz der wiederkehrenden Angriffe setzen sich medico-Partner:innen in Nordostsyrien dafür ein, Grundlagen für eine demokratische und gerechte Zukunft zu legen. Sie versorgen Geflüchtete, arbeiten in der Reha der Kriegsversehrten und dokumentieren Fälle von Übergriffen, Enteignungen und Straftaten, die besonders von türkischen Militärs und islamistischen Milizen begangen wurden – mit dem Ziel, dass über sie eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof Recht gesprochen wird. Aktuell gilt: Je größer die Ungewissheit in der Region ist, umso wichtiger ist unsere Solidarität und Unterstützung.

Veröffentlicht am 05. Oktober 2023

Anita Starosta

Anita Starosta leitet die Öffentlichkeitsarbeit von medico international. Außerdem ist die Historikerin für die Türkei, Nordsyrien und den Irak zuständig.

Twitter: @StarostaAnita


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