Aufruf für Demokratie, Menschenrechte & die Lösung der kurdischen Frage

Am 11. Oktober 1999 stellten die Schriftsteller Yasar Kemal, Zülfü Livaneli Orhan Pamuk, Ahmet Altan und Mehmed Uzun auf einer Pressekonferenz in Istanbul/Türkei einen Appell für Demokratie, Menschenrechte und die politische Lösung der kurdischen Frage der Öffentlichkeit vor. Der Appell wird von einem internationalen Kreis Intellektueller unterstützt. Seit Bestehen des türkisch-kurdischen Konfliktes ist es das erste Mal, daß sich ein solch breiter Kreis für Demokratie, Menschenrechte und die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei einsetzt. Die Türkei befindet sich in der derzeitigen Phase an einem Scheideweg. Krieg oder Frieden? Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat mit ihrem Schritt, den bewaffneten Kampf einzustellen, in dem schon seit über 15 Jahren andauernden blutigen Konflikt eine neue Ausgangslage geschaffen. Die Staatengemeinschaft und Öffentlichkeit ist gefordert, die Türkei dazu zu bewegen, den unumkehrlichen Weg des Friedens einzuschlagen.

Aufruf für Demokratie, Menschenrechte & die Lösung der kurdischen Frage

Als einer der blutigsten Zeitabschnitte der Menschheitsgeschichte geht das 20. Jahrhundert zu Ende. In diesen letzten Tagen quält uns eine Frage: wird das 21. Jahrhundert so blutig wie das vergangene sein? Wird Unterdrückung auch weiterhin über ethnische und gesellschaftliche Verantwortung dominieren? Unsere Antwort auf diese Fragen ist ein kategorisches »Nein«. Das neue Jahrhundert und die Völker des neuen Jahrhunderts haben die Verpflichtung, jegliche Form von Diskriminierung und Unterdrückung zurückzuweisen. Wir, die Schriftsteller & Künstler, wünschen uns, die Türkei im nächsten Jahrhundert als eine führende Vertreterin bei der Durchsetzung der Menschenrechte und der Demokratie zu sehen. Gegenwärtig ist die Türkei dafür bekannt, die vitalen Regeln der Menschenrechte und der Demokratie zu verletzen. Das entscheidende Problem ist die kurdische Frage. Weil sie dieses Problem nicht angemessen gelöst hat, kann die Türkei weder die gewünschten Schritte in der Frage der Menschenrechte unternehmen noch die volle Demokratie erreichen. Wir glauben, daß die Türkei die Kraft besitzt, das kurdische Problem zu lösen. Heute sind die ungefähr 15 Millionen Kurden in der Türkei unentbehrliche Staatsbürger. Die Kurden fordern nur die Erhaltung ihrer Sprache und kulturellen Identität und möchten als freie Staatsbürger in der Einheit der Türkischen Republik leben, kurdisch zu lesen und zu schreiben und im Kurdischen unterrichtet zu werden, zu arbeiten, und ihr Glück zu suchen bei Bewahrung ihrer besonderen Eigenart und Kultur. Seit 1923 gab es rigide politische Anstrengungen zur Türkisierung. Kurdisch wurde als Erziehungssprache und Kommunikationsmittel verboten. Unter diesem Zwang wurden zahllose Menschen verhaftet und bestraft. Zehntausende Namen von Städten, Dörfern, Weilern, Bergen, Tälern und Hügeln wurden durch türkische ersetzt. Doch ist keine dieser Maßnahmen erfolgreich gewesen. Die Kurden sind nicht zu Türken geworden. Die kurdische Frage wurde nicht gelöst. Die blutgetränkten Ereignisse der letzten 15 Jahre bekräftigen: Gewalt ist kein Ausweg. Mit Gewalt ist weder die Türkisierung der Kurden zu realisieren noch wird sie den Kurden zu ihren Rechten verhelfen.

Die Türkei muß nun mit einem für die gesamte Welt und das neue Jahrhundert beispielhaften Schritt die kurdische Frage lösen, indem sie ihre kurdischen Staatsbürger in ihren eigenen Rechten wahrnimmt. Wir glauben, daß ein solcher Schritt die Türkei wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell sehr stärken und bereichern wird. Kurdisch ist eine der reichsten lebenden Sprachen der mesopotamischen Zivilisation. Es besitzt sowohl eine reiche klassische Literatur wie eine vielfältige musikalische Tradition und eine blühende moderne Literatur. Die überaus alte kurdische Geschichte und ihr kulturelles Erbe gehören uns allen.

Anstatt sie zu leugnen oder herabzusetzen, müssen diese Kostbarkeiten zum lebendigen Bestandteil des Reichtums der Türkei werden. Die Kurden, die in der gesamten Geschichte im Völkermosaik Anatoliens 1/3 ausgemacht haben, dürfen nicht länger diskriminiert werden. Sie müssen ihre Rechte und ihre Würde erhalten.

Kurdisch muß zur Schul- und Ausbildungssprache werden. Die Notwendigkeit kurdischen Rundfunks und Fernsehens muß anerkannt werden. Das Recht auf die kurdische Sprache, Kultur und Identität muß in der Verfassung verankert werden.

Wir appellieren an den Präsidenten, den Ministerpräsidenten, das Parlament und die Regierung: Bitte befreien Sie die Türkei von ihrer Schande. Im 21. Jahrhundert soll die Türkei stolz dastehen, als Leuchtfeuer und Verkörperung humanitärer und demokratischer Werte.

Erstunterzeichner: Yasar Kemal (Schriftsteller), Zülfü Livaneli (Schriftsteller, Künstler), Orhan Pamuk (Schriftsteller), Ahmet Altan (Schriftsteller), Mehmed Uzun (Schriftsteller)

Unterzeichner: Günter Grass (Schriftsteller / Nobelpreis für Literatur 1999 / Deutschland), Nadine Gordimer (Schriftstellerin / Nobelpreis für Literatur 1991 / Südafrika), Ingmar Bergman (Regisseur, Schriftsteller / Schweden), Costa Gavras (Regisseur / Frankreich), Harold Pinter (Schriftsteller / Großbritannien), Jose Saramago (Schriftsteller / Nobelpreis für Literatur 1998 / Portugal), Arthur Miller (Schriftsteller / USA), Maurice Bejart (Choreograph / Frankreich), Elie Wiesel (Schriftsteller / Friedensnobelpreis 1986 / USA), Jack Lang (Schriftsteller / ehem. Kulturminister / Frankreich), Adonis (Schriftsteller / Libanon), Bibi Andersson (Schauspielerin / Schweden), Margaret Atwood (Schriftstellerin / Kanada), John Berger (Schriftsteller / Großbritannien), Hans Branscheidt (Journalist), Suzanne Brøger (Schriftstellerin / Dänemark), Adriaan van Dis (Schriftsteller, Regisseur / Holland), Mahmud Doulatabadi (Schriftsteller / Iran), Margaret Drabble (Schriftstellerin / Großbritannien), Kerstin Ekmann (Schriftstellerin / Schweden), Richard Falk (Schriftsteller / USA), Lady Antonia Fraser (Schriftstellerin / Großbritannien), Juan Goytisolo (Schriftsteller / Spanien), Sir David Hare (Schriftsteller / Großbritannien), Ronald Harwood (Schriftsteller, Regisseur / Großbritannien), Erland Josephson (Schriftsteller / Schweden), Michael Holroyd (Schriftsteller, Regisseur / Großbritannien), Yoram Kanluk (Schriftsteller / Israel), Jaan Kaplinski (Schriftsteller / Estland), Nikos Kasdaglis (Schriftsteller / Griechenland), György Konrad (Schriftsteller / Ungarn), Alberto Manguel (Schriftsteller / Argentinien), Adam Michnik (Schriftsteller, Journalist / Polen), Kai Nieminen (Schriftsteller / Finnland), William Nygaard (Verleger / Schweden), Monika van Paemel (Schriftstellerin / Belgien), Herbert Pundik (Verleger, Journalist / Dänemark), Claude Regy (Schriftsteller / Frankreich), Klaus Rifbjerg (Schriftsteller / Dänemark), Bernice Rubens (Schriftsteller / Großbritannien), Arne Ruth (Journalist, Akademiemitglied / Schweden), Johannes Salminen (Schriftsteller, Verleger / Finnland), Antonis Samarakis (Schriftsteller / Griechenland), Kirsti Simonsuuri (Schriftstellerin / Finnland), Thorvald Stehen (Schriftsteller, Präsident des Schriftstellerverbandes / Schweden), Sigmund Strømme (Verleger / Schweden), Birgitta Trotzig (Schriftstellerin, Akademiemitglied / Schweden), Liv Ullman (Regisseurin, Schauspielerin / Schweden), Andre Velter (Schriftsteller / Frankreich), Günter Wallraff (Schriftsteller, Journalist / Deutschland), Georg Henrik von Wright (Philosoph, Schriftsteller / Finnland), Per Wastberg (Schriftsteller, Akademiemitglied / Schweden), Moris Farhi (Schriftsteller, Generalsekretär des englischen PEN-Clubs / Großbritannien), Homero Aridjis (Schriftsteller, Präsident des Internationalen PEN-Clubs / Mexiko), Elisabeth Nordgren (Journalistin, Präsidentin des PEN-Clubs / Finnland)

Bitte helfen Sie uns bei unserer Friedens- und Demokratiearbeit unter dem Spendenstichwort: »Kurdistan«

Diesen Aufruf können Sie in ungekürzter Form zusammen mit weiteren kostenlosen Informationen bei uns bestellen.

Veröffentlicht am 01. November 1999

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