Vor kurzem ist Dan Owalla auf Einladung der Vereinten Nationen mit Vertretern anderer kenianischer NGOs nach Genf gereist, um seiner Regierung zu widersprechen. Diese hatte in ihrem Rapport vor dem UN-Ausschuss für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit positiv hervorgehoben: Die Zahl der Toten sei nicht angestiegen. Drei Minuten hatte der KAPLET-Aktivist Zeit, um zu erklären, dass 40.000 Neugeborene, die nicht einmal einen Monat alt werden, keine Erfolgsmeldung sind. Binnen drei Minuten schilderte er, was die stille Tragödie mit dem desolaten Zustand des Gesundheits- und Bildungssystems in Kenia zu tun hat, mit Ausgrenzung und drückender Armut – und der Ignoranz des Staates.
Für Dan Owalla, der meist mit leiser Stimme spricht, ist ein solch offizieller Auftritt keine Selbstverständlichkeit. Er hat selbst nur wenige Jahre die Schule besuchen können und die Reise nach Genf war sein erster Aufenthalt außerhalb Afrikas. Gleichwohl ist er es gewohnt, komplexe Sachverhalte anschaulich darzustellen. Als Mitglied des medico-Partners KAPLET trägt er seit Jahren sein Wissen über Menschenrechts- und Gesundheitsfragen bei Workshops und lokalen Versammlungen dorthin, wo Armut und Gewalt das Leben von Millionen prägen: in die Slums von Nairobi, in denen zwei Drittel der Hauptstadtbewohner in Wellblechhütten leben. Die Menschen sollen wissen, wie sich eine Ansteckung mit HIV vermeiden und das Malariarisiko reduzieren lässt; dass Polizisten sie nicht grundlos einsperren dürfen; dass Frauen sich gegen die Gewalt von Männern wehren können und ihrerseits Rechte haben. „Viele hören das zum ersten Mal. Wenn sie das wissen, können sie entscheiden, was sie tun“, erklärt er diese Graswurzelarbeit. „Wissen ist Macht“ lautet der Slogan – obwohl allen klar ist, dass nur die allerwenigsten den ärmlichen Verhältnisse jemals entkommen werden.
KAPLET streitet genau dort für das Recht auf Gesundheit, wo die Lebensverhältnisse die Gesundheit tagtäglich gefährden und medizinische Hilfe kaum zugänglich ist. In privaten Praxen muss jede Leistung bezahlt werden. Öffentliche Krankenhäuser sind rar und auch hier werden Patienten für Vieles zur Kasse gebeten. Einmal hat KAPLET erfolgreich gegen das Vorgehen einer Geburtsklinik mobilisiert, die Wöchnerinnen in Gewahrsam hielt, bis die Behandlungskosten eingetrieben waren. Dan und seine Mitstreiter können diese Arbeit in den Slums tun, weil sie keine Außenstehenden sind. Sie sind hier aufgewachsen und leben weiterhin in den urbanen Elendsvierteln – und mit dem, was hier alltäglich ist. Mehrere Geschwister von Dan Owalla sind bereits gestorben, an Krankheiten, die hierzulande, aber auch in anderen Teilen Nairobis heilbar gewesen wären. Doch die Kliniken im reichen Westen der Stadt sind für die Slum-Bewohner nicht näher als das ferne Genf. Seine dortigen drei Minuten hat Dan Owalla übrigens genutzt: Der Sozialausschuss der UN hat sich seine Perspektive zu eigen gemacht und Kenia kritisiert.
Christian Sälzer
Seit 2011 fördert medico die Gesundheits- und Menschenrechtsarbeit von KAPLET – Spendenstichwort: Ostafrika.