Anwälte in Syrien

Wenigstens minimale Gerechtigkeit

medico unterstützt Rechtsbeistand und Notversorgung politischer Gefangener in Syrien.

"Die Inhaftierung von tausenden politischen Gefangenen ist die größte Waffe Assads." (syrischer Menschrechtsanwalt)

Wenn das Regime einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, dann werden Gefängnisse zu den Orten, in denen unliebsame KritikerInnen verschwinden, unter Folterungen zu falschen Aussagen gezwungen werden und unter menschenverachtenden Bedingungen ihrem Dasein fristen. Die internationale Staatengemeinschaft versagt seit Jahren unabhängige Ermittler einzusetzen, um solche Kriegsverbrechen in Syrien aufzuklären.

Unter hohem Einsatz betreuen wenige Anwälte ehrenamtlich politische Gefangene und werden dabei selbst zu Zeugen von Unrecht und politischer Willkür. medico international unterstützt die syrische Anwälte, die sich nicht mehr auf internationale Lösungen und Initiativen verlassen wollen.

Wenig aber Wichtig

Sie dokumentieren die Prozesse, setzen sich für die Rechte der Gefangenen ein und versuchen in widrigen Verfahren juristische Lösungen zu finden. So schaffen sie ein minimales, aber wichtiges Stück Gerechtigkeit, in einer Situation wo das Assad Regime wieder stabilisiert und Oppositionelle weiterhin verfolgt werden.

Das alles können die Anwälte nur unter besonders prekären und lebensbedrohlichen Bedingungen tun. Denn sie werden von den syrischen Geheimdiensten genau beobachtet und erhalten nicht selten selbst Drohungen. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und über Umwege verlassen ihre Berichte über die Situationen der Gefangenen das Land.

Um die Anwälte und ihre Arbeit zu schützen, können wir hier nicht über konkrete Details ihrer Arbeit vor Ort und ihre Strukturen berichten. Wir können aber die Berichte von ihnen wiedergeben und darüber schreiben wie sie sich für die Rechte der Gefangenen und die Aufklärung von Unrecht einsetzen.

Politische Gefangene sind in Syrien all jene, die sich in Opposition zum Assad Regime geäußert haben oder für eine zivilgesellschaftliche und demokratische Alternative einstehen. Zurzeit sind ca. 35.000 politische Gefangene in Gefängnissen in und um Damaskus untergebracht, schätzen die Anwälte vor Ort. Das syrische Justizsystem ist zutiefst korrupt, selbst juristische und rechtliche Mindeststandards werden systematisch verletzt. Politische Gefangene haben in Syrien keine Chance auf ein faires Verfahren.

Willkürliche Verhaftungen, Folterungen, Misshandlungen und Tötungen von Gefangenen waren aber bereits vor dem Arabischen Frühling wichtiger Teil der Repressionspolitik des Assad-Regimes. Seit dem Ausbruch der syrischen Revolution 2011 haben Verhaftungen und das Verschwinden von Oppositionellen nochmals sprunghaft zugenommen. Nach Schätzungen der Anwälte sind seit Ausbruch der Revolution über 150.000 Menschen in Syrien verschwunden. Sie wurden vom Militär und Geheimdiensten verschleppt und in geheimen Lagern, Militärstützpunkten oder Militärkrankenhäusern inhaftiert, gefoltert und ermordet. Solange sie in Gewahrsam der Geheimdienste und Militärs sind, wird den Familien und Angehörigen jede Information verweigert. Oder sie werden direkt konsequent belogen.

Hinter den Mauern

Die Anwälte berichten aus den Gefängnismauern: Eine typische Gefängniszelle ist 72qm groß. In diesen Zellen befinden sich ebenfalls eine Küche und eine Toilette. Diesen Raum müssen sich bis zu 100 Gefangene und mehr teilen. Genügend Betten gibt es nicht, eine Zelle ist lediglich mit 36 Betten ausgestattet. Nahrung erhalten die Häftlinge nur ungenügend, maximal zweimal pro Tag, in erbärmlicher Qualität. Es gibt keine medizinische Versorgung der Inhaftierten.

Gerade für Frauen ist die hygienische Versorgung katastrophal. Während ihrer Periode stehen den weiblichen Gefangenen nicht einmal Artikel für den Intimbereich zur Verfügung. Einige Frauen müssen ohne ärztliche Betreuung und medizinischer Versorgung in den Gefängnissen ihre Kinder zur Welt bringen. Misshandlungen, Erniedrigungen und Körperverletzungen durch das Sicherheitspersonal sind an der Tagesordnung.

Anders als in den Militärgefängnissen, wo keine Informationen über Inhaftierte und ihren Zustand nach draußen dringen, ist es in den Zivilgefängnissen noch möglich die Gefangenen zu begleiten. Diese Arbeit leisten die medico-Partner vor Ort. Die Anwälte sind für die Inhaftierten oft der einzige Kontakt in die Außenwelt, ihre Rolle geht daher über die Begleitung juristischer Prozesse hinaus. Sie vermitteln zwischen den Inhaftierten und ihren Familien und Freunden, bringen Botschaften aus und ins Gefängnis.

Mehr als juristische Unterstützung

Durch die Unterstützung von medico und anderen Hilfsorganisationen können Anwälte die Gefangenen mit medizinischen und hygienischen Artikeln sowie Kleidung versorgen. Ganz besonders kümmern sich die Anwälte um inhaftierte Frauen und ihre Kinder. Da die sichtbare Übergabe von Artikeln oft zu gefährlich ist, wird den Gefangenen oft auch einfach Bargeld gegeben, um sich und Mitgefangene in den spärlich ausgestatteten Gefängnisläden selber zu versorgen.

Neben der humanitären Versorgung zählt der juristische Beistand aber natürlich zu der wichtigsten Unterstützung. Die Anwälte versuchen Entlastungszeugen zu finden oder belastende Zeugenaussagen zu widerlegen, um eine Strafmilderung oder Freilassung durch Kaution zu erreichen. Denn oft sind Anklagen (meist Unterstützung einer terroristischen Organisation) willkürlich erfunden. Daher besteht in solchen Fällen eine kleine Chance durch gute Recherche und Zeugen die Vorwürfe zu widerlegen. Nebenbei ist die lückenlose Dokumentation der Fälle ein weiterer wichtiger Teil, um Menschenrechtsverletzungen in syrischen Gefängnissen anzuklagen und öffentlich zu machen.
 

Es sind Anwälte, die versuchen die Situation politischer Gefangenen erträglich zu machen, politische Verfahren zu begleiten und Strafmilderung zu erkämpfen. Die Aufklärung und Anklage von menschenrechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und Überwachung leisten die Anwälte unter hohem persönlichem Einsatz. Diese mutige Arbeit braucht weiterhin Hilfe. Spendenstichwort: Syrien

Veröffentlicht am 01. November 2017

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