Globale Gesundheit

Probe aufs Exempel

Kann auch ein Konzern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden? Das Experiment „Monsanto-Tribunal“.

Von Christian Sälzer

Kolon Saman war einer der ersten, der in den Zeugenstand trat. In einfachen Worten, aber bestimmtem Ton schilderte der Vorsteher eines Dorfes in Sri Lanka, dass die örtlichen Reisbauern 1984 begannen, das als ungefährliches Wundermittel angepriesene Herbizid RoundUp einzusetzen. Zehn Jahre später fing es an: Bei auffallend vielen Bauern und ihren Familien trat eine chronischen Nierenerkrankung auf. Das setzte Studien in Gang, die abermals zehn Jahre später den Zusammenhang zwischen dem Herbizd und den Erkrankungen nachwiesen. 2011 verbot Sri Lanka als drittes Land der Erde die Nutzung von RoundUp.

Den Zehntausenden Betroffenen half das nicht mehr. Deswegen, so Saman, sei er heute hier. Er war nicht alleine. Aus aller Welt waren Menschen zusammengekommen, die auf die eine oder andere Weise mit dem Agrar-Konzern Monsanto konfrontiert waren. Da waren Schweinezüchter und Baumwollbauern, Gesundheits- und Umweltexperten, Pharmakologen und Toxikologen, Anwälte und Regierungsbeamte. Sie alle hatten ihre je eigene Sprache und Geschichte mitgebracht, ein Spektrum so breit wie die Erde groß ist. Jede und jeder berichtete von Schädigungen. Von erkrankten Menschen und verendeten Tieren, von verseuchten Gewässern und ausgelaugten Böden, von Diffamierungen und Gängelungen, von akuten Katastrophen und unabsehbaren Langzeitfolgen.

Im Laufe der Anhörungen wurde aus den individuellen Schicksalen und lokalen Katastrophen eine gemeinsame Stimme: Wir klagen an.

Tatbestand Ökozid

Auf dem Monsanto-Tribunal in Den Haag Mitte Oktober 2016 war drei Tage erlebbar, was der abstrakte Begriff Globalisierung im konkreten bedeutet – im Guten wie im Schlechten. Das Tribunal war kein ordentliches Gerichtsverfahren, stellte ein solches aber mit großer Ernsthaftigkeit und formaler Strenge nach. Es gab Zeugen, Kläger, Gerichtsschreiber und fünf angesehene Juristen auf der Richterbank , etwa Dior Fall Sow, ehemalige Generalanwältin des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda. Organisiert wurde das Tribunal von einer Vielzahl internationaler Nichtregierungsorganisationen und Initiativen. Indem Betroffene aus aller Welt zusammen und zu Wort kamen, sollte die globale Dimension einer zerstörerischen Unternehmenspolitik dokumentiert werden. Mehr noch: Das Tribunal sollte klären, ob sich der Konzern des Verstoßes gegen die fundamentalen Rechte auf eine gesunde Umwelt, Ernährung, Gesundheit sowie Informationen schuldig gemacht hat und ob der Tatbestand eines „Ökozids“ erfüllt ist.

Die grundlegenden Fragen dahinter: Kann ein Unternehmen wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden? Und ist das internationale Recht bereits robust genug, um es mit einem globalisierten Kapitalismus aufzunehmen?

Sowohl Ort als auch der Angeklagter waren bewusst gewählt. Den Haag ist Sitz des Internationalen Strafgerichtshofes, zuständig für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Trotz aller Schwächen ist er eine Art Vorbild für einen Gerichtshof, der nicht nur Kriegsverbrecher, sondern auch Wirtschaftsunternehmen auf der Anklagebank platziert. Dass die Initiatoren Monsanto diesen Platz zugewiesen haben, ist kein Zufall: Kein anderes Unternehmen hat sich einen solch miserablen Ruf erwirtschaftet wie der Chemie-, Agrar- und Gentec-Konzern, der jüngst von der Bayer AG übernommen wurde.

In seiner Geschichte hat Monsanto immer wieder so lange Geschäfte mit hochgiftigen und für Mensch, Tier und Umwelt schädlichen Substanzen gemacht, bis er deren Verbot nicht mehr verhindern konnte. So war es mit Weichmachern (PCB), mit T-Säuren – Hauptbestandteil des im Vietnamkrieg eingesetzten Entlaubungsmittels Agent Orange – oder beim Herbizid Lasso. Momentan werden wissenschaftliche und politische Schlachten um die weitere Zulassung des Glyphosat-Produkts RoundUp ausgetragen, das weltweit meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel. Völlig in Verruf geraten ist Monsanto als Marktführer von gentechnisch verändertem Saatgut (GVOs) und dem damit verbundenen Vertriebsmodell. Der Konzern hat in Soja- oder Baumwollpflanzen eine Resistenz gegen Round-Up eingebaut und damit ein unzertrennliches Kombipaket geschaffen: Wer das Saatgut kauft, braucht das zugehörige Herbizid. Durch den aggressiven Aufkauf anderer Saatguthersteller hat Monsanto vielerorts ein Monopol geschaffen. Marktmacht, Knebelverträge und die Durchsetzung eines Patentschutzes haben lokale Landwirtschaften diesem System unterworfen. In ganz Amerika, Afrika und Asien verbreiten sich so transgene Pflanzen und Monokulturen, die einen beständigen Herbizideinsatz erfordern. Die Umwelt- und Gesundheitsschäden sind eine Folge, gesellschaftliche Verwerfungen andere: Monsanto hat Kleinbauern in eklatante Abhängigkeiten getrieben und die Ernährungssouveränität ihrer Gemeinden zerstört.

Auf dem Tribunal wurden nicht nur diese Praktiken mit jeder Anhörung deutlicher, sondern auch die Schwierigkeiten, das Unternehmen haftbar zu machen. Wie etwa soll der Reisbauer aus Sri Lanka vor Gericht die Verantwortung von Monsanto für eine vor 20 Jahren erfolgte Vergiftung nachweisen – zumal die Gegenseite Heerscharen von Anwälten aufbieten kann? Hinzu kommt die Logik des „selbst wenn“. 2005 verurteilte ein Gericht den Konzern, weil er in Indonesien für die Zulassung seines transgenen Baumwollsaatgutes mindestens 140 Regierungsbeamte bestochen hatte. Der Konzern musste 1,5 Millionen Dollar zahlen. Lächerlich wenig. Für Monsanto ist es weit rentabler, hin und wieder eine Strafe zu kassieren, als seine Geschäftspraxis zu ändern.

Fehlende Rechtsverbindlichkeit

In Den Haag wurden ähnliche Fälle berichtet, die erhellten, warum all die Gifte und Gene überhaupt auf den Markt kommen. Mehrere Wissenschaftler schilderten, wie sie oder Kollegen nach der Veröffentlichung kritischer Forschungsergebnisse massiven Diffamierungskampagnen ausgesetzt waren. Mitarbeiter von staatlichen Aufsichtsbehörden, die die Zulassung von Monsanto-Produkten verweigern wollten, wurden entlassen oder kaltgestellt. Mit intensivstem Lobbying übt Monsanto weltweit enormen Druck auf Politik und Wissenschaften aus. Zudem hat der Konzern ein Konglomerat aus PR-Firmen und vermeintlich unabhängigen Forschungsinstituten aufgebaut, die er bei Bedarf von der Leine lässt.

Es ist das Verdienst des Tribunals, all das zusammengetragen und öffentlich gemacht zu haben. Die Schlussplädoyers von vier Anwälten zeigten gleichwohl, wie komplex es noch ist, Monsanto wirklich den Prozess zu machen. Zwar gibt es zahlreiche Leitlinien und Prinzipien, auf die man sich berufen könnte, sollte und müsste. Rechtsverbindlichen Charakter aber haben sie kaum. In den kommenden Wochen ist das Richtergremium am Zug. Auf Basis der relativ neuen UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und des Römischen Statuts wird es ein Rechtsgutachten erstellen, das den Vereinten Nationen zugehen wird und in den weltweiten Kämpfen gegen Monsanto & Co. genutzt werden kann. In ihrem Schlusswort betonte die Vorsitzende Richterin Françoise Tulkens, wie wichtig eine Ausweitung der Menschenrechtsnormen auf Fragen der Unternehmenshaftung und Entschädigung im internationalen Recht sind. Was aber müsste passieren, um darin den Straftatbestand des Verbrechens an der Gesundheit von Mensch und Umwelt zu verankern? Tulkens: „Das Recht folgt den Ereignissen. Es wird sich nur durch die Bewegungen der Zivilgesellschaft weiterentwickeln.“ Das Monsanto-Tribunal war ein solches Ereignis.

medico hat sowohl das Monsanto-Tribunal als auch die parallel stattfindende People’s Assembly, eine internationale Versammlung von sozialen Bewegungen der Ernährungssouveränität, finanziell unterstützt.

Spendenstichwort:
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Dieser Artikel erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2016. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link material rundschreiben rundschreiben-bestellen>Jetzt abonnieren!

Veröffentlicht am 06. Dezember 2016

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