Abgeschoben aus Israel

Im Stich gelassen

Ein junger Nigrer wird aus Israel abgeschoben und strandet nach einer tragischen Odyssee ohne Papiere in Äthiopien. Er ist kein Einzelfall.

Von Marvin Jammermann

16 Jahre war Eissa Muhamad alt, als er seine Heimat Niger verließ. Nachdem er die beschwerliche Reise durch Libyen und Ägypten überstanden hatte, erreichte er 2011 Israel. Dort fand er für 7 Jahre Zuflucht, bis er im April 2018 festgenommen und für einige Monate inhaftiert wurde, da er sich dort zwangsläufig ohne gesetzlich geregelten Status aufhielt.

Weil die israelische Regierung Eissa ohne Pass in den Niger abschieben wollte, stellte sie ihm eine Art Reisedokument aus, das die nigrischen Behörden jedoch nicht akzeptierten. Sie verweigerten ihm die Einreise und inhaftierten ihn für eine Woche. Danach setzten sie ihn in ein Flugzeug zurück nach Israel.

Die israelischen Behörden verweigerten Eissa nun ihrerseits die Einreise und sperrten ihn abermals ein. Nach mehreren Wochen in einem israelischen Gefängnis schoben sie ihn erneut ab – dieses Mal über Äthiopien. Die nigrischen Behörden informierten unterdessen ihre Kollegen in Äthiopien darüber, dass sie Eissa nicht zurücknehmen würden. Während der Zwischenlandung in Addis Abeba wurde ihm daher die Weiterreise verweigert.

Gestrandet in Äthiopien

In der Zeit, in der die Behörden eine Lösung für ihn finden wollten, lief sein vorübergehendes israelisches Reisedokument ab. Gestrandet und im Stich gelassen ist er seit mehr als zwei Monaten dazu gezwungen, am äthiopischen Flughafen zu warten. Um zu überleben, ist er auf die Großzügigkeit der Passagiere angewiesen, die ihm etwas Essbares geben. Ohne Zugang zu einer Dusche und mit dem öffentlichen Gebetsraum als Schlafplatz, ist seine Situation verzweifelt.

Bis heute ist Eissa dazu verdammt zu warten, da ihn weder Israel noch Niger aufnehmen wollen und er den Flughafen in Addis Abeba nicht verlassen darf. Mittlerweise ist es sein dringender Wunsch zurück in den Niger zu gehen, zurück in eine Heimat ohne Perspektive, die er vor Jahren verließ.

Kein Einzelfall

Eissas Geschichte ist leider kein Einzelfall. Die israelische NRO Hotline for Refugees and Migrants bestätigt, dass Migrant*innen bei ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland oder bei der sogenannten freiwilligen Ausreise in ein vermeintlich sicheres Drittland, die meist nur nach Ausübung von extremem Druck zustande kommt, mit den von Israel ausgestellten Reisedokumenten immer wieder in Schwierigkeiten geraten, da die Behörden der Herkunfts- und Transitländer die Dokumente nicht akzeptieren.

In einigen Fällen wird Israel vorgeworfen, falsche Visa ausgestellt zu haben, bzw. werden die israelischen Papiere von den Behörden afrikanischer Staaten schlicht nicht anerkannt, weil sie zwischenstaatlich vereinbarten Standards nicht entsprechen. Oft stellen sie nicht einmal ein im israelischen System offiziell existierendes Dokument dar.

Schwebezustand in Israel

Eissas Erlebnisse sind ein trauriges Spiegelbild der konsequenten und illegalen Abschiebepolitik Israels. Geflüchtete werden in Israel per Gesetz als „Eindringlinge“ definiert. Die Behörden machen es ihnen praktisch unmöglich, einen Asylantrag zu stellen, was auch am institutionellen Rassismus in Israel liegen dürfte. Den meisten bleiben faire Asylverfahren und damit verbundene Einzelfallprüfungen verwehrt. Nur wenige Asylbewerber*innen wie beispielsweise ein kleiner Teil der mehrheitlich eritreischen und sudanesischen Geflüchteten, die Israel nicht in ihre Heimatländer abschieben kann, erhalten willkürlich festgelegte Aufenthaltstitel. Andere, wie zum Beispiel nigrische Geflüchtete, haben keinerlei Chance auf einen Titel. Selbst mit geregeltem Status erhält man nicht automatisch das Recht zu arbeiten, der Zugang zu Gesundheitsversorgung bleibt stark eingeschränkt und es fehlt an sozialer Absicherung.

Staatenlos und ohne Zukunft

Der Aufenthalt in Israel wird so unangenehm wie möglich gemacht, damit sich möglichst viele der selbst nach israelischem Verständnis nicht abschiebbaren sudanesischen und eritreischen Geflüchteten, die die Mehrheit der Asylsuchenden in Israel bilden, zur „freiwilligen“ Ausreise entscheiden. So wurden Menschen aus Eritrea und dem Sudan nach Ruanda deportiert, wo sie oft schon bei der Einreise beiseite und ausgenommen wurden. Auch an den Flughäfen von Kigali und Kampala hat sich bei den Zuständigen herumgesprochen, dass die Ankömmlinge aus Tel Aviv eine israelische Ausreiseprämie dabeihaben.

Offenbar unter Mitwirkung, zumindest aber mit Wissen der Einreisebehörde am Ankunftsflughafen werden sie ohne gültige Reisedokumente an der regulären Passkontrolle vorbei ins Land geschleust, das sie dann auch nicht mehr auf geregelte Art verlassen können, weil sie weiterhin keinen Status haben. Ohne offizielle Einreise gibt es auch keine reguläre Ausreise, und so finden sich die Betroffenen vom Augenblick ihrer Ankunft an in völliger Abhängigkeit jener Mittelsmänner und ihrer Geschäftspartner, die sie am Flughafen in Empfang genommen haben. Auch die vorübergehende Unterbringung in Wohnungen, Pensionen und schäbigen Hotels unmittelbar nach dem illegalen Betreten des Landes lassen sich die Schleuser gut bezahlen.

Falls man sie in Nachbarländer bringt, zum Beispiel von Ruanda nach Uganda, kostet sie das erneut einen schmerzhaften Teil ihrer israelischen Ausreiseprämie. Sie stranden dann als völlig verarmte Papierlose in der Peripherie und in den Armensiedlungen afrikanischer Städte, versuchen doch noch sich ohne Dokumente in ihr Herkunftsland durchzuschlagen oder treten die Reise an die nordafrikanische Mittelmeerküste an, um die Überfahrt nach Europa zu wagen, falls sie es bis auf ein Boot schaffen.

Beunruhigend ist bei alledem, dass unfreiwillige Rückkehrer*innen mit den unzureichenden israelischen Reisepapieren zunehmend quasi staatenlos werden und gezwungen sind, in Drittstatten zu verweilen, bzw. wie im Fall Eissas sogar an der vorgezogenen territorialen Grenze des Drittstaates stranden, ohne zu wissen, was mit ihnen passieren wird, und ohne juristische Unterstützung zu bekommen.

Für das Recht zu gehen

Menschen fliehen nicht ohne gewichtige Gründe. Der Niger nimmt den letzten Platz im Human Development Index 2018 ein und gehört damit zu den ärmsten Länder der Welt. Öffentliche Dienstleistungen stehen kaum zur Verfügung. Das bedeutet, dass es folgenschwere Defizite in allen grundlegenden Bereichen, wie z.B. dem Gesundheitssektor, dem Bildungssektor und der Lebensmittelversorgung gibt. Perspektivlosigkeit und die durch den Klimawandel zunehmende Ernährungsunsicherheit in der Sahelzone zwingen immer mehr Menschen dazu, Richtung Norden zu migrieren.

Niger ist ein Staat, der – auch unter dem Einfluss europäischer Migrations- und Flüchtlingspolitik und der sich verschlechternden Sicherheitslage – immer repressiver wird. Organisationen wie Boko Haram verüben mittlerweile auch dort regelmäßig Terroranschläge und bedrohen die Bevölkerung. Die Meinungs- und Organisationsfreiheit ist stark bedroht. Der Niger ist durch seine zentrale Lage in Afrika ein Knotenpunkt der internationalen Migration in Richtung Norden. Insbesondere die Stadt Agadez gilt als Drehscheibe für Migranten, die ihre Heimat verlassen haben. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in der umliegenden Wüste ihr Leben auf der Reise gelassen haben. Alle vereint die Suche nach einem besseren Leben.

Veröffentlicht am 11. März 2019

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