Krieg in Syrien

Ende aller Hoffnung?

Mit dem vorläufigen Sieg Assads in weiten Teilen des Landes ist der Krieg noch nicht zu Ende. Was von der syrischen Zivilgesellschaft übrig ist, muss sich neu orientieren. Von Katja Maurer

Von Katja Maurer

In diesem Frühjahr sind binnen weniger Wochen gleich drei medico-Projekte in dem Strudel des Krieges zerstört worden: In Afrin im Norden wurde ein von medico durch Medikamente unterstütztes Krankenhaus im Zuge der türkischen Offensive getroffen. In Ost-Ghouta beschädigte in Douma eine Bombe das Frauenzentrum und schlug in Erbin eine bunkerbrechende Bombe in unterirdische Schutzräume des Schulprojektes ein. Stets gab es Tote, allein in den Kellerklassenzimmern sind mindestens 15 Kinder gestorben. Und hier wie dort sind die Gebiete erobert: Afrin ist von der türkischen Armee besetzt, in Ost-Ghouta sind Regierungstruppen und russisches Militär einmarschiert. Außerhalb der noch verbliebenen Gebiete unter kurdischer Kontrolle sind damit fast alle Projekte, die medico zum Teil seit Jahren und auch das ganze Jahr 2017 gefördert hat, an ein vorläufiges Ende gekommen. Es ist ein Wendepunkt. Welche Möglichkeiten es für zivilgesellschaftliches Handeln unter der Assad-Herrschaft geben wird, ist unbestimmt. Wer offen zur zivilen Opposition gehörte, wird wenig Spielräume haben und muss neben dem Militärdienst auch die diversen Geheimdienste fürchten.

Zwischen den Fronten

Alle Partnerorganisationen von medico haben sich mit ihren zivilen Tätigkeiten immer zwischen den Fronten bewegt. Die Untergrundschulen in Erbin machten die humanitäre Katastrophe auf erschreckende Weise deutlich. Denn dass 2.000 Kinder fünf Jahre lang in Kellern unterrichtet werden mussten, weil die Belagerung mit regelmäßigen Bombardierungen einherging, ist an sich beredt genug. Wer es nicht schaffte, das Land zu verlassen oder sich in sichere Regionen zu begeben, der oder die musste lernen, ein normales Leben unter unnormalen Bedingungen zu führen. Zugleich erzählten die Schulen und das Frauenzentrum in Douma auch davon, dass in Syrien nicht Wenige an ihrem demokratischen Anliegen festhielten. Das Bürgerkomitee in Erbin erarbeitete in diesem Sinne Lehrpläne für die Schulen. Die Schulen waren säkular ausgerichtet und verfolgten die Idee einer demokratischen Erziehung. Damit gerieten sie immer wieder in Auseinandersetzung mit den islamisch oder islamistisch ausgerichteten Milizen. Ähnliche Auseinandersetzungen gab es auch beim Frauenzentrum in Douma.

Am Beispiel von Erbin lässt sich auch die Genese des syrischen Konflikts erzählen. In Erbin gab es nach den friedlichen Protesten eine Zeit lang eine Selbstverwaltung der Bewohnerinnen und Bewohner, weil sich das Militär aus der Stadt zurückgezogen hatte. Dann militarisierte sich der Konflikt, es entstanden bewaffnete Milizen unterschiedlicher Couleur, die sich in einer zunehmend aussichtsloseren militärischen Auseinandersetzung nach und nach radikalisierten. Ob dahinter politisch-ideologische Programme standen – Gelder kamen unter anderem aus der Türkei und Katar – oder einfach Formen von Söldnerwesen im Rahmen einer Kriegsökonomie, lässt sich nicht immer sagen. Allerdings rekrutierten sich die bewaffneten Kräfte aus Bewohnern der Stadt – im Gegensatz zum IS oder auch zu den Assad-Truppen und ihre Vielzahl internationaler Söldner. So gab es zumindest Gesprächsmöglichkeiten, weshalb die Schulen und das Frauenzentrum trotz massiver Angriffe weiterarbeiten konnten. Mit der militärischen Unterstützung Assads durch Russland 2015 wendete sich das Blatt. Schnell wurde klar, dass die Bereitschaft zu völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung in den von Milizen kontrollierten Gebieten gepaart mit russischer militärischer Hochtechnologie die Situation entscheidend verändern würden. Das ist nun eingetreten.

Kurdische und palästinensische Dilemmata

Für die syrisch-palästinensischen und -kurdischen medico-Partnerorganisationen stellen sich zum Teil andere Fragen. Die syrischen Kurdinnen und Kurden haben in der Bürgerkriegssituation versucht, ihre Autonomie zu Krieg in Syrien Ende aller Hoffnung? Mit dem vorläufigen Sieg Assads in weiten Teilen des Landes ist der Krieg noch nicht zu Ende. Was von der syrischen Zivilgesellschaft übrig ist, muss sich neu orientieren – und kann doch daraus schöpfen, was sie in den vergangenen Jahren geleistet hat. stärken und ein gesellschaftliches Projekt unter Beteiligung aller dort lebenden Minderheiten zu beginnen. Soweit unter den kriegerischen Bedingungen möglich, gibt es dabei durchaus demokratische Ansätze, die an die syrische Demokratie-Rebellion anknüpfen und jenseits religiöser und ethnischer Spaltungen eine Alternative aufbauen wollen. Zugleich aber haben die Kurdinnen und Kurden die direkte Konfrontation mit Assad-Truppen vermieden. Nach dem Einmarsch der Türkei ins syrisch-kurdische Afrin haben sie bei der Zentralregierung erfolglos um Unterstützung gebeten. Der türkische Präsident Erdoğan hat angekündigt, weitere kurdisch besiedelte Gebiete besetzen zu wollen. Das könnte einen militärischen Konflikt mit dem Nato-Partner USA bedeuten. Aktuell arbeiten die medico-Partnerorganisationen in Rojava weiter.

Die medico-Partnerorganisation Jafra ist nach wie vor in vielen palästinensisch geprägten Gemeinden Syriens aktiv. Doch auch die syrisch-palästinensischen Gruppen stehen vor neuen Herausforderungen. Vor allem die junge Generation war Teil des Aufstands und der Demokratie-Bewegung. Tausende kamen ins Gefängnis, wurden umgebracht oder sind bis heute verschwunden. Die jahrelange Belagerung des größten syrisch-palästinensischen Lagers Yarmouk, vor dem Krieg ein blühender Stadtteil von Damaskus, hat zu einem Exodus von Abertausenden geführt. Die Palästinenserinnen und Palästinenser stehen vor der existentiellen Frage, welche Zukunft sie in Syrien überhaupt haben. Möglicherweise ist ein Einsatz für das palästinensische Anliegen nur noch um den Preis der Unterwerfung unter die Bedingungen des Regimes zu haben. Die Führung in Ramallah hatte ihre Unterstützung für Assad ohnehin nie aufgegeben.

Kritik an medico

Die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Kräfte in Syrien in all ihrer hier aufgezeigten Diversität hat medico auch Kritik eingebracht. Gerade die Unterstützung in Erbin und Douma wurde von manchen als Unterstützung islamistischer Milizen interpretiert. medicos Anliegen war und ist es jedoch, an der Seite der betroffenen Zivilbevölkerung zu agieren und ihnen auch unter diesen kriegerischen Bedingungen, die sie nicht beeinflussen können, zur Seite zu stehen. Die Kritik basiert womöglich auf der Vorstellung, dass eine wie auch immer geartete Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien die beste Hilfe für die Zivilbevölkerung sein mag. Das ist eine verständliche pragmatische Idee. Ob sie sich realisieren wird, ist allerdings fraglich. Denn mit dem sich abzeichnenden Sieg Assads ist der Stellvertreter-Krieg, der immer offener zutage tritt, noch lange nicht vorbei. Mit der Sicherung der Assad-Herrschaft ist auch eine iranische Vorherrschaft in Syrien angezeigt. Denn die Unterstützung durch den Iran und die Hizbollah waren neben der russischen Militärhilfe wesentlich. Die Auseinandersetzung um die regionale Vorherrschaft zwischen Iran und Saudi-Arabien, die auch in Syrien stattfindet, heizt das weiter an. Auch Israel, das immer wieder vermutete iranische Stützpunkte in Syrien angegriffen hat, hat mili tärisch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Während also die Assad-Regierung ihre Herrschaft in Syrien durch „demographic engineering“, also durch bevölkerungspolitische Umgruppierung, massive Enteignung und Neuansiedlung von regimetreuer Bevölkerung und Söldnern zu sichern versucht, könnte der internationale Konflikt in eine nächste gefährliche Runde gehen. Trotzdem bleibt abzuwarten, ob sich für das, wofür die medico-Partnerinnen und Partner selbst inmitten des Krieges eingetreten sind und eintreten, neue Handlungsspielräume eröffnen. Der Horizont für eine dauerhafte demokratische Neuordnung Syriens ist allerdings weiter entfernt als je zuvor.

Veröffentlicht am 17. Mai 2018

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