kurz & knapp

Der IS in einem Satz

Nicht nur grammatikalisch stimmig, sondern eine umfassende historische Interpretation des IS – im Gegensatz zu vielen Sätzen vieler Anderer.

Karl Sharro, in London lebender libanesischer Architekt, Satiriker und Kommentator nahöstlicher Ereignisse, schreibt regelmäßige Kolumnen in britischen Medien, betreibt einen Blog und twittert. Folgenden Tweet verschickte er am 1. Dezember, im Vorfeld der Debatte um den Eintritt Großbritanniens in den Luftkrieg gegen den sogenannten „Islamischen Staat“. Sein Tweet wurde innerhalb einer Woche knapp 7000 Mal retweetet. Wir haben ihn übersetzt und können sagen, ja, es ist nicht nur grammatikalisch ein stimmiger Satz, er bietet sogar – im Gegensatz zu vielen Sätzen vieler Anderer – eine umfassende historische Interpretation des IS an. Chapeau!

"Sie wollen, dass ich Ihnen ISIS in einem Satz erkläre? Kein Problem: ISIS stammt aus dem Scheitern des Versuchs der postkolonialen Eliten, wahrhaft demokratische Gesellschaften zu begründen und einen Sinn für nationale Einheit zu stiften, aus dem heraus sie dann Militärdiktaturen unterstützt haben, die dann jedes Potenzial einer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung verspielten, verstärkt durch den Fehler der progressiven arabischen Parteien in ihrer Beschwichtigungspolitik gegenüber autokratischen Herrschern, die zur vollständigen Entleerung des politischen Rahmenwerks geführt hat, in dem sich ein organischer Widerstand gegen ausländische Vorherrschaft, Einmischung und direkte Militärinterventionen hätte bilden können, die ihrerseits dazu geführt haben, dass radikale Deutungen der Religion zur letzten ideologischen Plattform wurden, um die Entrechteten mobilisieren zu können, verschärft durch den weltweiten Niedergang universeller Ideen und den Aufstieg der Identität zur bewegenden Kraft, ermöglicht auch durch die politische und finanzielle Unterstützung seitens um ihre Legitimität ringender theokratischer Regimes, all dies weiter verschlimmert durch den Zusammenbruch der regionalen Sicherheitsordnung in der Folge von Stellvertreterkriegen und politischen, sozialen und ökonomischen Umbrüchen, weiter angeheizt durch ein unzusammenhängendes geopolitisches Herumgepfusche, das die Konflikte verschärft und damit zu dem fortwährenden Chaos geführt hat, in dem der Ruf nach der Wiederherstellung einer im Kalifat verkörperten religiös-politischen Ordnung auch und gerade deshalb so attraktiv werden konnte, weil er durch eine millenaristisch-apokalyptische Erzählung gedeckt wurde. Ganz einfach."

Veröffentlicht am 08. Dezember 2015

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