Das große Geschäft der Aufrüstung der Türkei mit Waffen

Türkei - Kurdistan - BRD

»Das heutige Deutschland vertritt eine Politik des Friedens, nichts anderes ist der Fall.«
Joseph Fischer, AA-Chef, Planet Radio, 8. Oktober 1999

Washington AFP, 8. Oktober 1999 – »Die USA waren 1998 der weltweit größte Waffenexporteur. Einem Bericht des US-Kongresses zufolge handelte das Land Verträge im Wert von 7,1 Milliarden USD für Waffenexporte aus. An zweiter Stelle folgt Deutschland mit einem Verkauf von rund 10 Milliarden DM«.

Etwas mehr als 50 Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht ist das von Mahnmalen erfüllte neue Deutschland wieder an der Spitze der Waffenexporteure der Welt. Geleitet von einer sozialdemokratisch-grünen Regierung wird die DM auf dem gesamten Balkan als Leitwährung eingeführt und die dortigen Militärstatthalter der Bundesrepublik bestehen in wörtlicher Rede darauf, daß ihre Soldaten keine »Schwächezeichen« mehr kennen. Es bedurfte offenbar eines Grünenanteils an der Regierung des Landes, damit erstmals in der fatalen Geschichte dieses Gremiums, sich der Bundesaußenminister im Bundessicherheitsrat widerstandslos hat überstimmen lassen. Die Tatsache, daß ein aus der Zeit des Kalten Krieges stammendes Gremium am Parlament vorbei internationalen Waffenhandel betreibt, war wohl der Grund gewesen für die Ministerin Wieczorek-Zeul, die Vergaberichtlinien verschärfen zu wollen – ein Vorhaben, dem Joseph Fischer frühzeitig widersprach. Er widersprach damit den von seiner Partei formulierten Essentials im außenpolitischen Teil des geltenden Koalitionsvertrages: »Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik« und man wolle »Menschenrechtsklauseln« in die Waffenexportrichtlinien einführen.

Nachher weiß man mehr

USA Today, 28.Juni: »Viele der Zahlen der Clinton-Administration und der NATO scheinen nun, da die Alliierten die Kontrolle über das Kosovo übernommen haben, weit übertrieben.«

medico investigativ:

Die Richtlinien der Politik bestimmen in der Berliner Republik wieder die deutschen Waffenproduzenten. Denn alles das, was als Spektakel für die Medien zwischen Fischer & Schröder & Scharping & Wieczorek-Zeul als »Thema« abgehandelt wurde, hatte eine weit bedeutsamere Realgeschichte:

Es ging um vorerst 6 Milliarden DM »Wertschöpfung«. Letztlich um weit mehr; weshalb die Spitzenmanager der Mannesmann-Tochter Krauss-Maffei Wegman seit 5 Jahren schon aus dem Weichbild Ankaras nicht mehr wegzudenken sind. Der Staatssekretär für die Rüstungsindustrie Ankaras, Burcak, hatte keinen

Zahlen und Figuren

Flüchtlingshilfswerk UNHCR, 2. August: »Die Gesamtzahl der nicht-albanischen Kosovo-Vertriebenen (meist Serben und Roma) in Serbien betrug am 29. Juli 155000. Weitere 23000 Nicht-Albaner kamen aus Kosovo und Montenegro.«

Zweifel daran gelassen, daß bis eigentlich Ende September alle Bewerber die im »Request for Proposal« benannten Konditionen genau zu erfüllen hätten. Anders sei ein reeller »Wettbewerb« zwischen den 5 Konkurrenten nicht durchführbar. Bis Ende des Jahres, so sieht das geheime Ausschreibungspapier es vor, müssen die 5 Hauptbieter – Deutschland, USA, Frankreich, Italien, Ukraine – einen ihrer Panzer zu Testzwecken zur Verfügung stellen. Schon im November müssen von den Anbietern die türkischen Besatzungen für diese Fahrzeuge geschult werden. Vom 1. Januar an sollen die 5 Panzertypen 6 bis 12 Monate lang auf ihre Leistungsfähigkeit getestet werden. Die Zeit war also knapp. Es gab Verschiffungsfristen, es existierten menschenrechtliche Probleme, es gab Frau Wieczorek-Zeul, von der Herr Burcak sagte, sie »hat sich dagegen ausgesprochen, während Scharping gerade auch wegen eindeutiger nationaler Interessen das Projekt befürworte, wobei Außenminister Fischer sich mit Rücksicht auf seine Partei bedeckt hält, obwohl sein eigenes Ministerium die Zustimmung betreibt«.

Forensiker auf der Suche

Reuters, 3. September: »Britische Gerichtsmediziner haben im Kosovo ein Massengrab mit 50 Toten entdeckt. Es sei das größte Grab aus der Zeit des Krieges der jugoslawischen Serben gegen die Albaner im Kosovo, das die Fachleute bisher gefunden hätten.«

Und es gab schließlich auch noch den US-Kampfpanzer Abrams M1A2 von General Dynamics. Die hatten sogar angeboten, der Türkei 350 ältere gebrauchte M1 zu schenken, käme man insgesamt ins Business. Die Israelis hatten ihren Panzer Merkava auf Drängen der USA aus dem Rennen genommen – im Gegenzug soll ihnen die Bewerbung um den lukrativen Auftrag zur Modernisierung des amerikanischen M-60 Typen in den türkischen Landstreitkräften »überlassen« werden. General Ates, Chef der türkischen Streitkräfte, früher Militärattaché in Bonn, galt als der Regisseur des großen Handels, bei dem auch soviel an überzeugungswirksamen Schmiergeldern geflossen sein dürfte, bis Minister Ates unter der Hand überall erzählte, »die Amerikaner hätten einen zu ihren Bedingungen in Europa veranstalteten Vergleichstest zwischen Leopard II und M1 vorzeitig abgebrochen«. Krauss-Maffei schwankte also zwischen großer Euphorie & dem ängstlichen Gedanken an die Politik.

Scharping hat viel vor

DPA, 8.August: »Verteidigungsminister Scharping (SPD) sieht für die Bundeswehr in den nächsten 10 Jahren einen zusätzlichen Finanzbedarf von 20 Milliarden DM. Er begründet dies mit den künftigen Aufgaben der Bundeswehr.«

Waffen für den Krieg

Was kaum eine Öffentlichkeit weiß: Das Panzer-Projekt ist Bestandteil eines umfassenden, vor 3 Jahren beschlossenen Modernisierungsprogramms für die 3 Gattungen der türkischen Streitkräfte. Dieses Programm soll zugleich dem Aufbau einer weitgehend eigenständigen Rüstungsindustrie in Anatolien dienen. Die Militärs haben dafür die ungeheure Summe von 150 Milliarden USD über die nächsten 25 Jahre veranschlagt. Staatssekretär Burcak war im vergangenen Winter eigens zu einem öffentlich nicht erwähnten Besuch in Bonn gewesen, um die BRD-Führung entre nous in das Programm einzuführen. Es ist ein wahnsinniges Geschäft – und es ist eines, das mit Sicherheit Krieg bedeuten wird! Gerade im Hinblick auf die explizit so ausformulierte neue Rolle der aktuellen türkischen Regierung, besteht deren Anspruch darauf, Regionalmacht und Stabilitätsfaktor im Dreieck potentieller Krisengebiete auf dem Balkan, im Kaukasus und im Nahen Osten zu sein. Die rechtsextreme Regierungspartei MHP besteht sogar programmatisch darauf, alle pantürkisch identifizierten Territorien in ein neues anatolisches Großreich integrieren zu wollen. Das zielt tief in die Gebiete der ehemaligen Sowjet Union. Burcak hat das Bonn in die Worte »vom wachsenden Selbstbewußtsein« gekleidet, »das nicht länger bereit ist, bei der Rüstungszusammenarbeit mit anderen Staaten als unangemessen empfundene Vorbehalte oder Einschränkungen hinzunehmen.« Das waren ungerechte Worte, weil sie exakt an jenem Tag fielen, als die Bundesregierung der Lizenzproduktion des neuen Heckler & Koch Sturmgewehres zugestimmt hatte. Es war sogar äußerst ungerecht, weil vorherige Bundesregierungen – stets mit Zustimmung der SPD – schon im Rahmen der »Nato-Verteidigungshilfe« zwischen 1964 und 1995 Rüstungsgüter von mehr als 7 Milliarden DM an Ankara geliefert hatte. Großenteils umsonst. Zu einem Löwenanteil aus den Beständen der NVA der DDR. Unterzeichnet vom kurzfristigen Verteidigungsminister und deutschen »Radikal-Pazifisten« Pfarrer Eppelmann. Die demokratische Wertegemeinschaft im Bundestag hatte – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sogar die damit in Beihilfe zum Völkermord vollzogene Vernichtung von fast 4000 kurdischen Dörfern ruhigen Gewissens übersehen können, dafür allerdings die die Arbeiterpartei Kurdistans PKK mühelos als »kriminelle Vereinigung« identifiziert.

Wenn das der Führer noch gelesen hätte!

Deutschlandradio, 11. August: »Wer schneller schießt und besser trifft, überlebt. Wer Schwäche zeigt, wird auf dem Balkan so behandelt werden. Unsere Soldaten sind so ausgebildet, daß wir Schwächezeichen erst gar nicht aufkommen lassen.«

Die 150-Milliarden-Dollar Aufrüstung der Türkei bedeutet für den Mittleren Osten und Rußland zukünftigen Krieg. Krieg aber auch im Inneren der Türkei. Deren verarmten Menschen diese gewaltige Summe sozial vorenthalten werden soll, um in den Waffenhandel mit Deutschland im Zeichen einer rot-grünen Regierung zu fließen.

Hans Branscheidt

medico Initiativen

»Deutsche Nichtregierungsorganisationen besorgt über Rüstungsexporte«

Berlin, 27. Oktober 1999: »Gegen die drohende Gefahr einer Liberalisierung der Rüstungsexporte wenden sich in einer gemeinsamen Erklärung zahlreiche deutsche NGOs wie amnesty, Brot für die Welt, IPPNW, medico international, BITS, BUKO, UNICEF Deutschland u.v.a.. Der Einspruch der Organisationen entzündet sich an der jüngst beschlossenen Lieferung eines Panzers an die Türkei, die als Signal dafür gewertet wird, daß die künftigen »Politischen Grundsätze der Bundesregierung für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter« nicht – wie angekündigt – zu einer restriktiven Rüstungsexport-Praxis, sondern zu einer Erleichterung und Ausweitung deutscher Rüstungsexporte führen wird. (...) Die Organisationen appellieren an die Bundesregierung:

  • Rüstungsexporte wirksam und eindeutig an das Kriterium der Einhaltung & des Schutzes der Menschenrechte und der Konfliktvorbeugung zu koppeln und diese Entscheidungen der Öffentlichkeit transparent zu machen.
  • Jeden Rüstungstransfer zu untersagen, der zu Menschenrechtsverletzungen, zum Entstehen, zur Fortführung oder zu einer Verschärfung bestehender Konflikte beiträgt.
  • Und bis zur Verabschiedung der Grundsätze, die diesen Kriterien genügen, keine neuen Rüstungsexporte zu genehmigen.«

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The voice of freedom

epd, 2. Juli: »Der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve (SPD), hat Verständnis für die Informationspolitik der Nato während des Kosovo-Krieges geäußert. Die Allianz habe wie eine Firma operieren müssen, die am Erfolg gemessen werde. Dazu gehöre nicht zuletzt die entsprechende Propaganda. Das Bündnis könne sich insofern in ›kriegerischen Einsätzen nicht demokratisch verhalten‹, sagte Duve.«

Veröffentlicht am 01. November 1999

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