Das GAP-Projekt & der ILISU-Staudamm

Kurdistan/Türkei: Die Konsequenzen für Natur und Umwelt

Zehn Jahre brauchten die Pistazienbäume um Halfeti bis sie das erste Mal Früchte trugen. Eine gute Ernte gibt es nur jedes zweite Jahr. Gerade in diesem Jahr standen die Bäume in voller Blüte. Nun geriet bereits der größte Teil der Haine unter den Wasserspiegel des Birecik-Stausees am Euphrat. Doch auch die Flächen, die nicht ertränkt wurden, sind durch den See gefährdet. Die Pistazienbauern in der Umgebung der Stauseen des GAP klagen in den letzten Jahren mehr und mehr über Schimmelpilzbefall der Pistazien, verursacht durch die höhere Luftfeuchtigkeit, die die Verdunstung der großen Wasserflächen mit sich bringt.

Doch welche genauen Auswirkungen hat der Bau der Stauseen auf Natur und Umwelt und damit auf die Lebensgrundlage der Menschen? Eine Gesamt-Umweltverträglichkeitsprüfung fand für das Anatolische Staudammprojekt (GAP) nicht statt. Weder existiert eine systematische Aufnahme des ökologischen Zustandes der Region noch wurden die zu erwartenden Änderungen der Ökosysteme analysiert. Lediglich für Einzelprojekte wurden isolierte völlig unzureichende UVP durchgeführt. Im Falle des Ilisu-Staudammes wurden unter anderem die möglichen Alternativen weitgehend außer acht gelassen und zahlreiche Umweltauswirkungen ungenügend analysiert. Konkrete Planungen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen fehlen folglich.

Durch den Ilisu-Staudamm und den flußabwärts geplanten Cizre-Staudamm wird die Flußlandschaft des Tigris auf einer Länge von mehr als 200 Kilometern in einem künstlichen See verlorengehen. Dies hat immense ökologische Folgen. Dem stehenden Gewässer fehlt die Selbstreinigungsfähigkeit des Flusses. Die Großstädte Diyarbakır und Batman im Einzugsbereich des Stausees sind in den letzten Jahren durch die Ansiedlung von Flüchtlingen aus den von den Sicherheitskräften entvölkerten Dörfern massiv gewachsen. Damit einher gehen Müll- und Abwasserprobleme. Kläranlagen gibt es bisher nicht. Lediglich für Diyarbakır ist der Bau solcher geplant. Inwiefern dadurch real eine Verschmutzung des Stausees zu vermeiden ist, darf angesichts der desolaten Infrastruktur und des Fehlens entsprechender Vorhaben für die anderen Städte und den ländlichen Raum bezweifelt werden. In dem stehenden Gewässer werden sich Fäkalien und Schadstoffe anreichern. Dadurch wird sowohl die Bevölkerung in der Umgebung des Stausees gefährdet als auch die Wasserqualität flußabwärts beeinträchtigt. Eine große Gefahr stellt die Ölförderung um Batman dar. Kontaminationen von Grund- und Oberflächenwasser im unmittelbaren Einzugsgebiet des Stausees sind wahrscheinlich. Die Entstehung großer Wasserflächen führt zur Ausbreitung in der Region bisher seltener Krankheiten wie Malaria und Leishmaniose.

Der Staudamm hätte massive Auswirkungen auf den Sedimenthaushalt des gesamten Tigris. Unterhalb des Dammes ist eine verstärkte Tiefen- und Seitenerosion zu erwarten. Dies führt zur Tieferlegung des Flußbettes und dem Absinken des Grundwasserspiegels. Die Landwirtschaft flußabwärts wäre dadurch gleichermaßen gefährdet wie die natürlichen Ökosysteme. Die Unterbrechung des Sedimenttransportes würde Auswirkungen bis zum Mündungsgebiet in den persischen Golf haben. In den von GAP betroffenen Trockengebieten werden bei Regenfällen große Mengen von Bodenmaterial erodiert. Die Stauseen werden von diesem Material innerhalb weniger Jahrzehnte aufgefüllt sein. Um die Erosion zu vermindern wurden in der Umgebung des Atatürk-Stausees mit Hilfe tausender Freiwilliger aus allen Landesteilen Bäume gepflanzt, mit geringem Erfolg. In der Umgebung der anderen Stauseeprojekte ist von Aufforstungen nichts zu sehen. Im Gegenteil, nahezu alle großen Waldgebiete werden durch die Sicherheitskräfte seit Jahren systematisch geschädigt und vernichtet.

Staudämme sind Barrieren für wandernde Fische. Dies wird auch nicht, wie in Europa Standard, durch Fischtreppen abgemildert. Darüber hinaus führen die vom Fluß völlig verschiedenen ökologischen Bedingungen der Stauseen zu einer Fragmentierung des Lebensraumes. Das Füllen und der Betrieb der Stauseen vernichten die Dynamik des Abflusses und den Wechsel von Überschwemmung und Trockenfallen flußabwärts und gefährden damit Natur und Landwirtschaft, die an diesen Wechsel angepaßt sind.

Die Flußlandschaften von Tigris und Euphrat sind die Wiege des Ackerbaus und der Gartenkultur. Sie sind zugleich Lebensraum einer hohen biologischen Vielfalt. Durch den Bau der Staudämme ist bereits ein Großteil dieser reichen Kulturlandschaft, die über zehntausend Jahre die Menschen ernährte, in den Fluten untergegangen. Die Überflutung weiterer 300 km² würde nicht nur archäologische und bauliche Zeugnisse sondern auch Landnutzungsmethoden, Gartenbautechniken und die genetische Vielfalt alter lokaler Kulturpflanzensorten zerstören.

Ziel von GAP ist auch die Ausweitung und Intensivierung der Bewässerungslandwirtschaft mit Kulturen für den Export, z.B. Baumwolle, zuungunsten der Subsistentenwirtschaft. Traditionelle, relativ umweltschonende Landnutzungsformen werden verschwinden. Durch diese Intensivierung steigt der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden sowie schweren Landmaschinen mit allen bekannten negativen Auswirkungen. Die extensive Bewässerung führt unter den ariden Verhältnissen leicht zu Bodenversalzung. Dieser wird in der Regel durch »Spülung der Äcker« und Ableitung des salzreichen Wassers entgegengewirkt. Dieses Wasser erhöht dann den Salzgehalt von Flüssen und Standgewässern. Ansammlungen von salzhaltigem Drainagewasser führen zur Entstehung von Salzsümpfen. Versalzung, Vernässung und Pestizideinsatz führen zu gesundheitlichen Gefahren.

Stefan Michel

Naturschutzbund (NABU)

Veröffentlicht am 26. August 2000

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