Griechenland

Wir müssen uns warm anziehen

Die Griechenlandkrise verhandelt mehr als die Zukunft der Europäischen Union, es geht um politische Handlungsfähigkeit in zentralen Konflikten weltweit.

This is why I profess a deep respect for Syriza’s struggle. The very fact that they persist makes us all free: we all know that as long as Syriza is there, there is a chance for all of us.
Slavoj Zizek

Nicht, dass es nicht schon vorher klar gewesen wäre, dass das Programm der griechischen Regierung, das Austeritätsverdikt, also die Umverteilung von unten nach oben, abzuschaffen, wenig Chancen hat, sich politisch durchzusetzen. Und noch ist die Auseinandersetzung ja nicht beendet. Doch schon jetzt wirft die griechische Erfahrung für jeden und jede, der sich einsetzt für Flüchtlinge und deren Rechte, für solidarische Formen des Wirtschaftens, für Gemeingüter in den wesentlichen Lebensbereichen, für eine nachhaltige Wende in der globalen Klimapolitik usw. zentrale Fragen auf. Denn sobald es an die Grundfrage des neoliberalen Kapitalismus geht, gibt es eine schier unüberwindliche Mauer des Widerstands, in der noch immer kaum Löcher zu sehen sind, und in all den genannten Fragen wird es ja keine Lösung geben, ohne diese Mauer einzureißen.

Symbiose aus Finanzkapital und Politik

Viele Kommentator_innen beschreiben diese Auseinandersetzungen als Primat der Ökonomie versus Primat der Politik. Ob das so richtig beschrieben ist, ist fraglich angesichts der Einhelligkeit der Ablehnung in der europäischen Politik. Der Literaturwissenschaftler Josef Vogl schlug auf einer medico-Veranstaltung stattdessen vor, von der „elementaren Symbiose aus Finanzkapital und Politik“ zu reden. Die jüngsten Gerüchte, lanciert von einem Whistleblower aus den höchsten Rängen der CDU im britischen Guardian, bestätigen das. Von Anfang an habe fest gestanden, behauptet er, dass für die deutsche Regierung die Syriza-Regierung nicht als verhandlungsfähig gilt. Also, dass man sie durch Nichtverhandeln so in die Enge treibt, dass sie stürzen wird. So geschieht es nun, es sei denn in Griechenland wählt man Oxi, Nein.

Institutioneller Putsch

Dass man die von Deutschland angeführte Haltung in Griechenland als institutionellen Putsch empfindet, ist eine gültige Beschreibung des Vorgangs.  Man sollte auf die Briten hören, denn sie wissen worum es geht, zeigt sich hier doch das neoliberale System noch anders als in Deutschland ganz unverhüllt. Der Herausgeber des Guardian, Seumas Milne, schreibt dieser Tage, dass es keinen ernsthaften Zweifel daran geben könne, dass Angela Merkel, die Troika und der IWF „die gewählte griechische Regierung beseitigen wollen“. Heute braucht man dafür kein in den USA geschultes Militär wie 1973 in Chile gegen Salvador Allende. Heute geht es aber nur auf den ersten Blick unblutiger zu. Alle Berichte aus Griechenland und aus seinem Gesundheitswesen zeigen: die tödlichen Opfer sind die Armen, die keine Stimme haben. Sie haben ja nicht mal Geld für die Medikamente. Die europäischen Institutionen errichteten am Beispiel Griechenlands eine „antidemokratische Feuermauer“, so der Guardian-Herausgeber. Wer darunter leidet, findet ohnehin kein Gehör. Das ist das Kalkül.

Propaganda statt Journalismus

Denn die Medien spielen eine besondere Rolle in dieser Auseinandersetzung. Und das nicht nur in Deutschland. Die Griechen seien Opfer einer Kampagne, die die niedrigsten Instinkte mobilisiert, meint Slavoj Zizek mit Blick auf seine Beobachtung der slowenischen Presselandschaft. Dieselben Medien, die zu recht ihre russischen Kollegen der Kriegs-Propaganda bezichtigen, betreiben vielfach bezüglich der griechischen politischen Bemühungen dasselbe Spiel. Journalistische Grundprinzipien der Recherche, der Abgewogenheit werden für einen Meinungsjournalismus reihenweise über den Haufen geworfen, der alle Begriffe von Solidarität bis Hilfe ihres eigentlichen Sinnes beraubt und in ihr Gegenteil verkehrt.

Jürgen Habermas, einer der wenigen renommierten deutschen Intellektuellen, der sich gegen den antidemokratischen Furor ausgesprochen hat, nennt das „postdemokratische Einschläferung der Öffentlichkeit“. Die Presse wandele sich zu einem „betreuenden Journalismus bei, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden von Kunden kümmert“.

Von einem engagierteren Standpunkt aus könnte man wieder Zizek zitieren. Die „Feindpropaganda“ habe zum Ziel, „die Hoffnung zu töten“. Ihre Botschaft sei immer die gleiche:  „Wir leben in der bestmöglichen Welt, und auch wenn sie nicht gut ist, jeder radikale Wechsel macht sie schlechter“. So erleben wir, dass die gleiche Medienlandschaft sehr engagiert ist bei der empathischen Berichterstattung über Flüchtlinge im Mittelmeer. Unser Freund und Kollege Hagen Kopp beschreibt das gut in unserem Interview: "Frontex steht mit dem Rücken zur Wand".

Es gibt noch Hoffnung

Aber muss man sich angesichts der Griechenland-Debatte in deutschen Medien nicht die Frage stellen, ob das mehr ist als eine moralische Selbstrechtfertigung. Denn wer sich tatsächlich für eine halbwegs menschliche Lösung der Flüchtlingsfrage einsetzen will, der muss für mehr einstehen als für zwei Schiffe der Bundeswehr, die sich an der Rettung beteiligen. Dann wird wieder die Systemfrage genauso  gestellt, wie die Syriza-Regierung das gerade tut.

Ein Sieg des Oxi wäre ein kleines Loch in der „antidemokratischen Feuermauer“. Für wirkliche Änderungen muss diese Mauer niedergerissen werden.  Dafür sollten wir uns innerlich warm anziehen und uns am griechischen Beispiel wappnen. Unterdessen aber geht in Griechenland der Demos auf die Straße. Handgeschriebene Wandzeitungen hängen an den Straßenecken, selbstgebastelte Flugblätter werden unter die Türritzen geschoben. Es gibt noch Hoffnung. Wer das verfolgen will, hier der Blog dazu: http://blockupy-goes-athens.tumblr.com/

Veröffentlicht am 02. Juli 2015
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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