Geflüchtete in Israel

Solidarität und Widerstand

Die israelische Regierung erzwingt den Exodus der ins Land Geflüchteten. 20.000 in drei Jahren lautet die Zielmarke. Doch es formiert sich Widerstand. Von Riad Othman

In den ersten drei Texten ging es um die Vorgeschichte zur Situation Geflüchteter in IsraelRuanda oder Saharonim und die Eskalation im Umgang mit ihnen. Der dritte Teil beschäftigte sich mit denPlanungen der Regierung.

„Wir wissen, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein“

Nach eigener Aussage inspiriert von der Geschichte Anne Franks, kündigten mehrere Rabbiner an, Geflüchtete verstecken zu wollen, um sie vor Deportation und Gefängnis zu schützen. 35 prominente israelische Schriftsteller*innen, darunter international bekannte Größen wie Amos Oz, David Grossman oder Zeruya Shalev, forderten die israelische Regierung und die Knesset in einem Schreiben dazu auf, von ihren Plänen abzusehen.

Auch Holocaust-Überlebende wandten sich an die Regierung und mahnten: „Wir, die wir wissen, was es bedeutet ein Flüchtling ohne Zuhause zu sein, ohne ein Land, das einen vor Gewalt und Leid beschützt und dagegen verteidigt, können nicht verstehen, wie eine jüdische Regierung Flüchtlinge und Asylsuchende auf eine Reise des Schmerzes, Leidens und Todes zwingen kann.“ Wie Hunderte anderer Israelis auch boten manche von Ihnen an, Geflüchtete bei sich zu Hause zu verstecken. Auf jüdische Werte beriefen sich die 50 orthodoxen Rabbiner der pluralistischen Vereinigung Torat Chayim in ihrer Kritik der Regierung, während 470 Hochschullehrkräfte in ihrer Fürsprache für Geflüchtete Bezug auf die eigene Verfolgungsgeschichte des jüdischen Volkes nahmen.

Widerstand quer durch die Bank

Der Protest gegen die geplanten Deportationen und Inhaftierungen beschränkte sich jedoch nicht auf elitäre Kreise urbaner Linker und Linksliberaler oder Geistliche. Der Widerstand zog sich durch fast alle Gesellschafts- und Bildungsschichten sowie verschiedene politische Lager: von Meretz über die Gemeinsame Liste zur Zionistischen Union.

Vor allem aber organisierten auch die Betroffenen selbst eindrucksvolle Kundgebungen in Herzliya, vor der Knesset in Jerusalem und in Tel Aviv. Unter dem Eindruck der grauenvollen Bilder aus Libyen stellten Geflüchtete mit nackten Oberkörpern und in Ketten den Sklavenmarkt des 21. Jahrhunderts nach, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die den Menschen nach ihrer Deportation drohen, wenn sich nicht wenige gezwungen sehen, sich erneut auf den Weg Richtung Mittelmeer zu machen. Vor dem Gefängnis Saharonim begannen sie einen Hungerstreik in Solidarität mit jenen, die bereits inhaftiert worden sind.

Rückendeckung erhielten die Geflüchteten von unerwarteter Seite: Konservative aus dem Ausland wie Alan Dershowitz (Anwalt und emeritierter Juraprofessor), Abraham Foxman (früherer Direktor der Anti-Defamation League in den USA), Rabbi Marvin Hier (Gründer des Simon Wiesenthal Center) und andere, die sich selbst als „glühende Zionisten“ beschreiben und sonst so gut wie immer die israelische Regierung verteidigen und unterstützen, fanden deutliche Worte, wenn auch teilweise nur aus Sorge um den internationalen Ruf des Landes. Dershowitz stellte dennoch unverblümt fest: „Der Ruch von Rassismus kann nicht vermieden werden, wenn in einer Situation 40.000 people of color massenhaft deportiert werden.“ Hier wäre zu ergänzen: besonders dann nicht, wenn rund 74.000 Menschen aus Osteuropa und Südamerika ohne gültigen Aufenthaltsstatus in Israel nicht denselben Zwangsmaßnahmen unterworfen werden.

Teile und herrsche

Regelmäßig beziehen sich israelische Politiker*innen auf die unerträgliche Situation im armen Süden Tel Avivs und machen den Zuzug Geflüchteter dafür verantwortlich. Dabei schwingen sie sich zu Fürsprecher*innen der ebenfalls benachteiligten vor allem nordafrikanisch- bzw. marokkanisch-stämmigen jüdischen Bevölkerung auf, kriminalisieren die Flüchtlinge und behaupten, ihretwegen trauten sich die israelischen Bewohner*innen abends nicht mehr aus dem Haus. Dabei wird die Situation vor Ort oft so dargestellt, als sehe auch die marginalisierte jüdische Einwohnerschaft die Flüchtlinge als das Hauptproblem.

Die Regierung benutzt die Lage dazu, um von den eigenen Versäumnissen abzulenken, unter der angestammten israelischen Bevölkerung Stimmung gegen Migrant*innen aus afrikanischen Ländern zu machen und innenpolitisch zu punkten. Dass es ihr dabei weder um die benachteiligte jüdische Bevölkerung des Stadtteils noch um eine konstruktive Lösung der Flüchtlingsproblematik geht, das zeigt ihr Umgang mit den Betroffenen und Abgeordneten der Opposition während einer Anhörung des zuständigen Knesset-Komitees.

Dazu passt dann auch, dass Innenminister Arye Dery plötzlich die billige Arbeitskraft der Palästinenser wiederentdeckt hat. Als zahlreiche Arbeitgeber Geflüchteter sich gegen den Abschiebeplan positionierten, versprach der Minister, dass für je zwei deportierte Afrikaner ein Palästinenser aus den besetzten Gebieten eine Arbeitserlaubnis für Israel erhalten werde. Außerdem werden zusätzliche Arbeitsmigrant*innen aus Südostasien ins Land geholt.

Gespaltene Gesellschaft

Obwohl es im Mai 2012 in Süd-Tel Aviv tatsächlich zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Geflüchtete kam, an denen sich Hunderte anscheinend fremdenfeindlich motivierter Israelis beteiligten, ist die jüdische Bevölkerung des Stadtteils natürlich mitnichten monolithisch als xenophob zu betrachten. Die Medienorganisation Israel Social TV, die medico 2016 unterstützt hat, zeichnet ein sehr viel differenzierteres Bild. Sie zeigt exemplarisch, dass Menschen vor Ort sehr wohl verstehen, dass nicht die Geflüchteten das Problem sind, sondern die jahrzehntelange Vernachlässigung des Bezirks durch die Regierung und Stadtverwaltung.

Auch Meles, ein eritreischer Flüchtling, der über sieben Jahre in Israel gelebt hat und sich am Ende dem Druck beugte und der eigenen Abschiebung zustimmte, hat ein anderes Israel kennengerlernt. „Es ist unmöglich zu verstehen, was wir durchmachen, aber es gibt viele gute Leute in Israel. Israel ist eine großartige Nation. Die meisten verstehen, was es heißt, menschlich zu handeln. Es ist nur die Regierung, die das nicht versteht“, kommentiert er die Proteste und Solidarität in Israel, völlig mittellos in der ugandischen Hauptstadt Kampala sitzend.

Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass laut einer Umfrage des Israeli Democracy Institute 69% der befragten Israelis die Regierungspläne unterstützen. Unter der palästinensischen Bevölkerung Israels, die Diskriminierung aus eigener Erfahrung kennt, sieht es mit der Toleranz gegenüber Geflüchteten ein wenig besser aus. Doch auch hier stellt sich die Hälfte der Befragten hinter die Politik und gegen die Schutzbedürftigen aus Eritrea und Sudan. Auch hier lässt sich wie vielerorts leider beobachten, dass die eigene Benachteiligung nicht zwangsläufig dazu führt, sich mit anderen Opfern von Diskriminierung und Menschen, die noch mehr unter Armut und Ausgrenzung leiden, zu solidarisieren.

Solidarität und Widerstand

Neben dem von Einzelpersonen und Gruppierungen angekündigten Bürger- und „Synagogenasyl“, gibt es auch die langjährige von diversen Organisationen geleistete solidarische Hilfe für Geflüchtete. medico unterstützt seit Jahren die offene Klinik des Partners Physicians for Human Rights – Israel (PHR-IL) in Jaffa, an der Grenze zu Süd-Tel Aviv. Dort werden Personen ohne Zugang zum israelischen Gesundheitsversorgungssystem medizinisch versorgt und ggf. rechtlich beraten. Da die Regierung israelische Arbeitgeber bei Strafe dazu zwingt, keine Geflüchteten mehr zu beschäftigen, bzw. die Behörden inoffizielle Arbeitsverhältnisse nicht weiter dulden werden, erfährt die Klinik zusätzlichen Andrang von Patient*innen, die bisher anderweitig behandelt wurden.

PHR-IL verfügt über ein Netzwerk von Tausenden Freiwilligen, die hauptberuflich im Gesundheitssektor arbeiten. Mehrere Hundert von ihnen sind regelmäßig ehrenamtlich für die Organisation aktiv. Sowohl unter diesem als auch anderem medizinischem Personal klärt PHR-IL über die Problematik der erzwungenen „freiwilligen Rückkehr“ auf. Auch Menschen mit chronischen und anderen ernsthaften Erkrankungen sind von der Abschiebungspolitik betroffen, können aber auf Grund ihrer gesundheitlichen Verfassung Einspruch gegen die Ausreisebescheide einlegen. Der medico-Partner hat ein fachärztliches Arbeitsforum freiwilliger Mediziner*innen eingerichtet, um darüber aufzuklären und dafür zu sensibilisieren, vor allem aber, um Geflüchtete mit Gutachten zu unterstützen und ihnen bei der Bewältigung der Bürokratie zu helfen. Außerdem wird die Nachverfolgung anhängiger Fälle bei den Behörden betreut.

In Kooperation mit anderen israelischen Menschenrechtsorganisationen intensiviert PHR-IL den Dialog mit den zuständigen Behörden, um zumindest Geflüchtete von der Politik auszunehmen, für die die Ausreise nach Ruanda oder Uganda aus gesundheitlichen Gründen lebensbedrohliche Folgen haben könnte. Die Thematik wird auch in Gesprächen mit dem Parlament erörtert. PHR-IL strebt an, ein Gerichtsurteil zu erwirken, das die Deportation chronisch und ernsthaft erkrankter Asylsuchender grundsätzlich verböte.

PHR-IL hat außerdem eine Petition gegen die Abschiebungen initiiert und alle Angehörigen medizinischer Berufe dazu aufgefordert zu unterzeichnen. Binnen einer Woche wurden über 1.000 Unterschriften gesammelt. Daneben rief die Organisation die zuständige Körperschaft dazu auf, Professor Shlomo Mor Yosef, den Generaldirektor der Bevölkerungs- und Einwanderungsbehörde, von der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit zu suspendieren, weil sein Einsatz für die Deportationspolitik im Widerspruch zur Medizinethik stehe, auf die er als Arzt einen Eid abgelegt hat.

Zwar hat Mitte März der Oberste Gerichtshof angeordnet vorläufig keine weiteren Geflüchteten zu deportieren oder in Saharonim festzusetzen, aber das stellt keine grundsätzliche Annullierung des Abschiebeplans dar. Es ist auch keine Revision der Gerichtsentscheidung von August 2017, dass Deportationen in Drittländer zulässig seien, sondern beruht lediglich darauf, dass die Regierungen Ugandas und Ruandas negieren, dass es überhaupt Abkommen gibt, während die israelische Regierung von Geheimabkommen spricht. Das Problem sieht der Gerichtshof nur darin, dass Geflüchtete sich auf nichts berufen können, um sich gegen die nachgewiesene Recht- und Statuslosigkeit in den Aufnahmeländern zu wehren. Auch müssen die bereits in Saharonim Inhaftierten nicht freigelassen werden. Sowohl die Geflüchteten als auch diejenigen, die sich in Israel für sie einsetzen, brauchen deshalb dringend weiterhin unsere Unterstützung.

Bereits erschienen:

(Teil 1) Die Qual der unfreien Wahl: Ruanda oder Saharonim

(Teil 2) Schutzberechtigte ohne Status

(Teil 3) Der Abschiebe-Plan
 

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Veröffentlicht am 26. März 2018

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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