BDS

Kein seriöser Umgang

Der Bundestag verhandelt einen Antrag gegen die palästinensische BDS-Bewegung. Dem Kampf gegen Antisemitismus erweisen die Parteien damit einen Bärendienst. Von Katja Maurer

Heute wird der Bundestag aller Voraussicht nach über einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, Grünen, FDP und SPD sowie einen Antrag der AfD abstimmen, die beide die palästinensische Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) als antisemitisch deklarieren. Während die erstgenannten Parteien BDS wegen seiner Boykottforderung gegen Israel verurteilen, fordert die AfD gleich das gänzliche Verbot der Kampagne – obwohl BDS in Deutschland politisch keine Rolle spielt. Aber im Wettbewerb um den besten Vorkämpfer gegen Antisemitismus will die AfD nicht ohne Grund die Nase vorn haben: In aktuellen Studien wird die Antisemitismusgefahr in Deutschland zu 90 Prozent im rechten Lager verortet. Da kommt die BDS-Debatte gerade recht.

Welche genauen Folgen der Bundestagsbeschluss haben wird, ist schwer zu sagen. Viele ähnliche Beschlüsse auf kommunaler Ebene wurden zur Begründung von Raumverboten gegen Veranstaltungen herangezogen, die sich kritisch mit der israelischen Besatzungspolitik auseinander setzen. In den Fällen, die tatsächlich vor Gericht gingen, waren diese Verbote oft nicht haltbar, weil die Veranstaltungen unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit fielen.

Die meisten der im Bundestag vertretenen Parteien haben politische Stiftungen, die auch in den palästinensischen Gebieten tätig sind und die fast alle mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, die den BDS-Aufruf unterzeichnet haben. Sie werden sie hoffentlich auch künftig fördern. Die israelische Regierung und ihre deutschen – in Teilen: ihre „antideutschen“ – Apologeten, deren Verhältnis zu Israel an die Sowjetunion-Treue der DKP erinnert, träumen davon, dass die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen verboten wird. Denn dann blieben kaum noch palästinensische Partner.

Banalisierung des Antisemitismus

Die BDS-Bewegung spielt in Deutschland fast keine Rolle, obwohl ca. 200.000 Menschen mit palästinensischem Hintergrund in Deutschland leben. Warum also der Beschluss? Es dürfte sich vor allen Dingen um eine Geste gegenüber der israelischen Regierung und Teilen der israelischen Öffentlichkeit handeln. Dort aber werden die Stimmen professioneller Fake-News-Manipulatoren immer lauter, die mit dem Antisemitismusvorwurf um sich werfen wie Karnevalisten mit ihren Bonbons. Sie führen beispielsweise Hitlisten über die schlimmsten Antisemiten. Da hat es auch schon Mancher drauf geschafft, weil er die israelische Politik kritisierte. Sicher eine unangenehme Erfahrung.

Auch „antideutsche“ Gruppierungen bedienen sich gern dieser Methode. Einmal vorwärts und zurück gegoogelt und schon wissen sie, wen sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf zu bannen versuchen können. Diesen Umgang mit Antisemitismus unseriös zu nennen, ist noch vornehm ausgedrückt. Der Antisemitismus-Vorwurf ist zu einem billigen Versuch der Zensur verkommen, der nach Aufmerksamkeit in einem marktschreierischen öffentlichen Raum heischt. Ohne wirklich praktische Folgen, aber ehrverletzend.

Zugleich erweist diese Form der Debatte dem Kampf gegen den Antisemitismus einen Bärendienst. Das zeigt nicht zuletzt der AfD-Antrag, der den Antisemitismus-Vorwurf als Kampfbegriff gegen den Islam missbraucht und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Nachdenklichkeit, Differenziertheit, dialektisches Denken – all das ist in einem so polarisierten Raum nicht möglich und nicht gewollt. Wie da kritisches Bewusstsein entstehen und eine reflektierte Debatte stattfinden soll, bleibt ein Rätsel. Erst recht offen bleibt die Frage, wie Initiativen entstehen sollen, die Bewegung in die dramatisch verfahrene Situation im israelisch-palästinensischen Konflikt bringen können. Der zu erwartende Beschluss des Bundestages gegen BDS wird die außenpolitischen Möglichkeiten Deutschlands, Druck für eine politische Lösung auf Israel auszuüben, die auch die Interessen der Palästinenserinnen und Palästinenser berücksichtigt, weiter einschränken.

Eine differenzierte Debatte über und mit BDS ist nötig

Auch macht ein Bundestagsbeschluss ebenso wie der Antisemitismus-Vorwurf gegen die Kampagne jede kritisch-solidarische Diskussion um BDS unmöglich. Die Boykottforderung des BDS ist zwar differenzierter als es gemeinhin dargestellt wird, trotzdem ist im deutschen Kontext ein Boykottaufruf im Zusammenhang mit Israel unauflöslich mit der Erinnerung an den nationalsozialistischen Judenboykott verknüpft. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt und den Holocaust nur für Geschichte hält, betreibt einen gefährlichen Normalisierungsdiskurs in Bezug auf die deutsche Geschichte. Dennoch sollte man auch zur Kenntnis nehmen, dass Sanktionen ein vielfach eingesetztes Mittel der internationalen Politik sind. Man denke nur an den Iran oder Russland.

Kritisch zu fragen wäre BDS auch, wie der emotionalisierte Diskurs über den israelischen Kolonialismus eine profunde Beschäftigung mit dem Antisemitismus und seiner Historie überlagert und zunichte macht. Die Frage muss erlaubt sein, wo es um Solidarität und wo es um Projektion eigener antikolonialer Geschichte auf Israel geht. Hier gilt es unbedingt zu trennen zwischen einer rechten bis rassistischen Regierung in Israel, einer infamen Besatzungspolitik und „Israel in den Grenzen von Auschwitz“ (Dan Diner).

Wie kann eine politische Bewegung für die Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser aussehen, die tatsächlich etwas ändert? Manchmal hat man den Eindruck, dass die sehr heterogene BDS-Bewegung dem Credo folgt, jedes Echo sei gutes Echo. Ob aber die Lautstärke, mit der BDS agiert, wirklich so erfolgreich ist oder ob das Pro- und Contra-BDS nicht eigentlich nur dazu dient, die Lager zu verrammeln, wäre vielleicht eine sinnvollere Diskussion als die Entkernung des Antisemitismus-Vorwurfs fürs politische Tagesgeschäft.

Israelisch-palästinensische Akteure jenseits einfacher Schuldzuweisungen

Dabei ist doch gerade in dem möglichen Verständigungsraum zwischen israelischen Ängsten und palästinensischer Betroffenheit etwas Fatales passiert. Wer erinnert sich daran, dass es noch in den 1990er und 2000er Jahren eine israelische Öffentlichkeit gab, die zu weitgehenden Zugeständnissen für eine palästinensische Eigenstaatlichkeit bereit war? Die Genfer Initiative von angesehenen israelischen und palästinensischen Politikern, die damals versuchte, ein endgültiges Abkommen zu erarbeiten, in dem sowohl der Status von Jerusalem als auch die Frage des Rückkehrrechts wenigstens ansatzweise geklärt wären, erzielte für diese Vorschläge unter der israelischen Bevölkerung hohe Zustimmungsquoten. Einzig, es fehlte der politische Wille in der politischen Elite Israels. Die Entstehung der BDS-Bewegung ist vor allen Dingen Ergebnis dieses politischen Versagens in Israel.

Umso bedeutsamer ist es, dass es noch Initiativen gibt, die sich jenseits dieser Polarisierung bewegen. Auch das kann man im israelisch-palästinensischen Kontext immer wieder neu lernen. Es gibt Menschen in Israel und in Palästina, die für eine politische Lösung Risiken für ihr emotionales Selbstverständnis in Kauf nehmen. Am Vorabend des israelischen Gedenktags für gefallene Soldaten, am Donnerstag letzter Woche, führten die Combatants for Peace, die Kämpfer für den Frieden, ihre jährliche Kundgebung durch, die sich trotz enormer Anfeindungen immer größeren Zuspruchs erfreut. Dort herrscht ein anderer Ton als der einfacher Schuldzuweisungen. So eröffnete die palästinensische Schauspielerin Saraya die Zeremonie mit folgenden Worten: „Wir alle, Israelis und Palästinenser, sind Opfer des Konflikts, haben Schmerzen und Verluste erlitten. Aber wir sind auch Täter. Es steht deshalb in unserer Macht und es ist unsere Pflicht, für sein Ende zu sorgen und Hoffnung zu säen für unsere eigene Zukunft und die unserer Kinder.“ Seit 2006 finden diese Treffen statt.

Mitgetragen werden sie auch vom „Palästinensisch-Israelischen Eltern-Kreis“, der aus Familien besteht, die Angehörige durch den Konflikt verloren haben. Sie verletzen Tabus, die in beiden Gesellschaften vorhanden sind. Die Grundlage, auf der sie handeln, ist klar: Ein Ende der Besatzung und die Notwendigkeit der Versöhnung. Es wäre schön, wenn der Bundestag zu solchen Grundsätzen deutscher Außenpolitik zurückkehren würde, anstatt das schlusslose Geschäft politischer Meinungsmacher zu betreiben, die sich für die Lösung des Konfliktes nicht interessieren.

Veröffentlicht am 16. Mai 2019
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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